Olaf Meister (GRÜNE): 

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vertreter der AfD haben sich mit anderen Rechtsextremisten getroffen, um über die Vertreibung und Deportation von Menschen aus Deutschland zu beraten.

(Oliver Kirchner, AfD: Junge, Junge, Junge! - Frank Otto Lizureck, AfD: Was ist mit der CDU?)

- Das ist bisher unstrittig, meine ich.

Das Treffen wurde in den Medien zum Teil als Wannseekonferenz 2.0 bezeichnet. Ein makaberer und angesichts des Ausmaßes und der Intensität der in der Wannseekonferenz des Jahres 1942 geplanten Verbrechen unangemessener Vergleich.

(Zustimmung bei der AfD)

Trotzdem - das gebe ich zu - ging es mir beim Lesen des Berichts genauso. Auch mir kam sofort dieser Vergleich in den Sinn: Rechtsextremisten planen Deportation, Villa am See, auch in räumlicher Nähe; denn die Villa ist nur 8 km von der Gedenkstätte der Wannseekonferenz entfernt. Man kann sich der Parallelität tatsächlich nur schwer entziehen. Es hat natürlich in der Lächerlichkeit der Möchtegernpotentaten auch etwas von einer Farce. Ich meine, man muss es trotzdem ernst nehmen.

So gruselig es ist, keine einzige der kolportierten Äußerungen hat mich wirklich überrascht. Vertreter der AfD haben sich vielfach eindeutig erklärt. Eine Partei, die die anderen Parteien von der LINKEN bis zur CDU als Systemparteien bezeichnet - Herr Kirchner hat heute in seiner Rede von der „Systempresse“ gesprochen; das ist ganz typisch  , die Widerstand an der Wahlurne plakatiert, ist genau das, was sie selbst sagt: eine Antisystempartei.

(Oliver Kirchner, AfD: Eine Bürgerpartei! Sagen Sie es, wie es ist!)

Was ist denn aber das System, gegen das sie kämpft? Was eint die anderen doch sehr unterschiedlichen Parteien? - Es ist unser gemeinsames Eintreten für die freiheitlich-demokratische Grundordnung,

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der LINKEN und bei der SPD)

für den Rechtsstaat, für die Demokratie. Das ist das verhasste System und dagegen wird Widerstand eingefordert.

Die Gegenfrage drängt sich auf: Für welches andere System steht denn eigentlich die AfD ein? - Ich hatte hier schon einmal auf die Bewerbungsrede Dr. Tillschneiders auf dem AfD-Listenparteitag 2020 hingewiesen, in der er Volksverräter und Volksfeinde benannte. Darunter auch namentlich unseren Ministerpräsidenten.

In der Geschichte - diesbezüglich muss ich nicht nur die deutsche Geschichte bemühen - endet es zuverlässig immer in unsäglichem Leid, wenn sich eine politische Bewegung durchsetzte, die Volksfeinde und Verräter benannte. Denn was passiert mit solchen Feinden und Verrätern, wenn man die Macht hätte, es zu entscheiden? Dürfen ihre Volksfeinde dann eigentlich noch frei herumlaufen, und wie es in der Demokratie üblich und ihr Recht wäre, versuchen, wieder die Mehrheit und die Macht zu erlangen?

Hört den Rechtsextremisten zu! Sie sagen immer wieder, wohin ihrer Meinung nach die Reise gehen sollte. Nehmen Sie das ernst und nehmen Sie es beim Wort und tun Sie es nicht als Übertreibung ab. In deren Welt ist kein Platz für Demokraten gleich welcher Farbe.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der LINKEN und bei der SPD)

Insofern war es sehr interessant, in den Berichten zu sehen, dass auch die Delegetimation von Wahlen ein eigener Tagesordnungspunkt war.

In dieser Konferenz der Rechtsextremisten im November 2023 trat ein besonders typisches Element einer totalitären Weltsicht hervor. Der AfD selbst scheint es gar nicht so recht klar zu sein. Sie wirkte daher etwas ratlos und hilflos in ihrer Reaktion. Sie haben doch eigentlich nur wie immer gegen Ausländer gehetzt und plötzlich regen sich alle auf und gehen gleich zu Millionen auf die Straße.

In dieser Konferenz maßt sich der Rechtsextremismus, und mittendrin die AfD, an, zu entscheiden, wer noch zu unserem Staatsvolk gehört und wer nicht.

(Oliver Kirchner, AfD: War die CDU auch dabei?)

Sie sortieren nach ethnischen und rassistischen Merkmalen, aber vor allem auch nach Wohlverhalten aus. Ein totalitärer Staat soll tief in die Rechte seiner Bürger eingreifen und ihnen die bestehende Staatsbürgerschaft entziehen, sie ausbürgern. Sellner sprach gleich von 15 Millionen.

(Zuruf von der AfD)

Sie kommen dann nach Nordafrika, und zwar auch so missliebige Personen, wie all diejenigen, die sich für Flüchtlinge einsetzen - so war das Zitat.

Wer könnte denn damit gemeint sein, wenn nicht der politische Gegner? Was passiert denn in der in der Konferenz skizzierten totalitären Welt mit Menschen, die ihre Heimat nicht auf Anweisung einer AfD-Regierung in Richtung Nordafrika verlassen, mit Richtern, die denen recht geben, mit Journalisten, die das kritisieren, mit Pfarrern, die sich dem entgegenstellen? - Wären das nicht auch die Volksfeinde, die Herr Dr. Tillschneider erwähnt, von denen er spricht. Was passiert in Ihrem Staat mit diesen Menschen?

Herr Siegmund - er wurde natürlich wie so oft schrecklich missverstanden - möchte ausländische Restaurants unter Druck setzen. Wie macht man das rechtsstaatskonform? Es ist auch ein ziemlich krudes Ziel, gegen den Griechen an der Ecke zu kämpfen, aber das ist ein anderes Thema. Druck auf Gewerbetreibende anhand rassistischer Kriterien. Es soll für diese Klientel möglichst unattraktiv sein, in Sachsen-Anhalt zu leben. Dass wir einen Staat mit genau solchen Prämissen schon einmal hatten und wo das endete, sollte klar sein.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der LINKEN und bei der SPD)

Für die Politik, die Sie in Ihrer Konferenz verfolgt und vorbereitet haben, gibt es einen ganz simplen Begriff, man muss auch nicht drum herumeiern und sich etwas Neues einfallen lassen: Das ist Faschismus.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der LINKEN und bei der SPD)

Wir alle müssen uns fragen, wie wir mit dieser Situation umgehen. Die AfD muss für sich klären, ob das ihr Weg ist. Die kurze Geschichte der AfD ist eine der kontinuierlichen Radikalisierung. Die Vorsitzenden kamen immer von rechts auf die Bühne und fielen links wieder herunter, weil die AfD wie im Zeitraffer immer rechtsextremer wurde: Lucke, Petry, Meuthen. Nun ist man längst bei faschistischen Positionen angelangt.

Ja, es ist so, eine Demokratie muss dazu bereit sein, viel auszuhalten. Sie muss auch extreme Ansichten hinnehmen und in Kauf nehmen, dass Menschen das System infrage stellen. Rechtsextreme werden gewählt und sitzen in den Parlamenten. Ob das den demokratischen Parteien gefällt, ist rechtlich keine sinnvolle Kategorie.

(Oliver Kirchner, AfD: Das bestimmen Sie nicht!)

- Ich sage ja, das stellen wir gerade nicht fest.

(Zuruf von Oliver Kirchner, AfD)

Es gibt aber eben eine Grenze. Es gibt das Toleranzparadox: Uneingeschränkte Toleranz führt zu ihrer Abschaffung. Muss die Demokratie so tolerant sein, dass ihre eigene Abschaffung ein ganz normaler Teil des politischen Meinungsspektrums ist?

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Nein! - Zustimmung von Cornelia Lüddemann, GRÜNE)

Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben, wortwörtlich in den Trümmern der gegenteiligen Ansicht sitzend, diese Frage deutlich mit Nein beantwortet.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN und bei der SPD)

Damit sind wir bei der Frage, was sollte die wehrhafte Demokratie tun. Ich bin kein Freund von Parteiverboten. Sie ändern keine Einstellungen. Die Demokratie liefert ihren Gegnern inhaltliche Munition, wenn ein politischer Akteur repressiven Maßnahmen ausgesetzt wird. Doch gibt es diese Linie: Die Abschaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, 

(Oliver Kirchner, AfD, lacht)

des Rechtsstaats ist keine hinnehmbare Option. Wenn Sie Volksfeinde ausmachen und auf die Liste setzen oder Leute bejubeln, die das tun, wenn Sie die Deportation von missliebigen Staatsbürgern betreiben oder Leute in Funktionen bringen oder belassen, die das tun, dann sind Sie deutlich auf der anderen Seite dieser Linie.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN und bei der SPD)

Eine Partei wird nicht wegen Äußerungen einzelner Extremisten einem Verbotsverfahren unterzogen, sondern man muss die Position der Gesamtpartei zurechnen können.

(Daniel Roi, AfD: Ach!)

Die AfD muss sich entscheiden, ob sie diesen rechtsextremistischen, ja, letztlich faschistischen Weg weitergeht und die freiheitlich-demokratische Grundordnung bekämpft oder ob ein Ende der Radikalisierung erfolgt und diese Linie, von der ich sprach, Beachtung findet. Dass Sie bundesweit in bewusster Fortsetzung der Konferenz diese Remigrationsdebatten beantragt haben - wir haben gleich nach der Mittagspause eine  , zeigt, dass bisher keine Einsicht besteht.

(Ulrich Siegmund, AfD: Sie können ja mal zuhören!)

Die Antwort auf Ihre Position wird gar nicht in der Aktuellen Debatte gegeben, sondern haben die Leute draußen gegeben mit diesen Großdemonstrationen. Ich hatte den Eindruck, dass das tatsächlich auch im rechtsextremen Lager für Überraschung sorgte, 

(Zuruf von Oliver Kirchner, AfD)

mit welch kurzem Vorlauf welch große Demonstrationen aus der Mitte der Gesellschaft stattfanden, weil sich die Leute für unsere Republik einsetzen.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN, bei der SPD und von Guido Kosmehl, FDP)

Die Großdemonstrationen sollten Ihnen gezeigt haben, dass die demokratischen Kräfte stark sind und dass wir, wenn es ans Eingemachte geht, zusammenstehen und für diese Republik kämpfen. Berlin ist nicht Weimar.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN und bei der SPD)


Vizepräsident Wulf Gallert: 

Es gibt wie immer eine Intervention von Herrn Scharfenort. - Herr Scharfenort, Sie haben das Wort. Bitte sehr.


Jan Scharfenort (AfD): 

Herr Meister, ich habe Ihren Ausführungen sehr gut zugehört. Ihr ganzes Konstrukt bricht auch bei Ihnen zusammen, weil Sie das Ganze auf Annahmen gründen, die einfach nicht zutreffen. Auch Sie übernehmen einfach Spekulationen und Lügen. Sie wissen ganz genau, dass es nicht bewiesen ist und dass es dort auch nicht gesagt wurde. Ich möchte das alles hier nicht noch einmal wiederholen. Es ist mittlerweile auch einfach zu lächerlich für mich.

(Holger Hövelmann, SPD: Was ist denn dann beredet worden? Sagen Sie es doch einmal!)


Vizepräsident Wulf Gallert: 

Sind Sie fertig, Herr Scharfenort? - Okay. Dann können Sie antworten. Bitte.


Olaf Meister (GRÜNE): 

Naja, was dort in Potsdam passiert ist, das weiß ich nicht. Ich glaube das, was darüber berichtet wird. Ich habe aber ein konkretes Zitat gebracht; das war vor zehn Minuten. Also, Ihr Vorsitzender sprach von „Systempresse“. Das sind häufiger gehörte Wörter: „Systempresse“, „Systemparteien“. - Welches System? Was meinen Sie denn?

Wofür steht denn die gesamte deutsche Presse? Das ist ja nicht nur der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Wir haben private Zeitungen. Wir haben privaten Rundfunk. Das ist die Systempresse. Wofür stehen sie? Das beantworten Sie nicht. Das habe ich in meiner Rede dargelegt.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN und bei der SPD)

Das eine ist die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Wenn man gegen das System ist, dann ist man gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung.

(Unruhe bei der AfD)

Das ist Ihr Problem. Darauf baut es auf.

Zur Volksverräterrede und zu den Volksfeinden wird vielleicht Herr Dr. Tillschneider jetzt etwas sagen.

(Lachen bei den GRÜNEN)


Vizepräsident Wulf Gallert: 

Das kann er nur dann, wenn Sie seine Frage zulassen.


Olaf Meister (GRÜNE): 

Das würde ich machen.


Vizepräsident Wulf Gallert: 

Das tut er. - Jetzt haben Sie die Chance.


Dr. Hans-Thomas Tillschneider (AfD): 

Nein, ich weiß nicht mehr, was ich im Jahr 2020 gesagt habe. Das ist auch irrelevant.

(Lachen bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN - Dr. Andreas Schmidt, SPD: Billig!)


Olaf Meister (GRÜNE): 

Das hört man ganz deutlich.


Dr. Hans-Thomas Tillschneider (AfD): 

Nein, nein. - Ich will Ihnen eine andere Frage beantworten. Wen meinen wir, wenn wir das System kritisieren? - Natürlich meinen wir nicht unsere Verfassung mit ihren freiheitlichen und demokratischen Grundwerten, 

(Dr. Falko Grube, SPD: Doch!)

sondern wir meinen die Altparteien-Oligarchie, die im Verbund mit den Medien ein System gebildet hat, 

(Zuruf von Dr. Katja Pähle, SPD)

das unserer Demokratie schadet.

Jetzt komme ich zur Frage. Sie haben etwas sehr Interessantes gemacht, und zwar haben Sie sich und die anderen Altparteien gleichgesetzt mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

(Dr. Falko Grube, SPD: Zu Recht!)

Sie haben gesagt, wir sind identisch mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und ihr nicht.

(Dr. Falko Grube, SPD: Genau!)

Jetzt ist die Frage, muss ich das schlucken oder darf ich Sie kritisieren, diese Annahme nicht teilen und einen Unterschied machen zwischen Ihnen und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung oder muss ich das so annehmen? Wenn ich nicht mitgehe und Sie kritisiere, bin ich dann schon Rechtsextremist?

(Zustimmung bei der AfD - Jan Scharfenort, AfD: Es gibt kein Recht auf linkes Meinungsmonopol!)


Olaf Meister (GRÜNE): 

Sie dürfen das selbstredend. Also, das ist ihr gutes Recht zu sagen, dass wir irgendwie jenseits der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen.

(Holger Hövelmann, SPD: Das macht er ja auch!)

Ob das eine sinnvolle Aussage ist, das ist eine andere Frage. Dabei wäre ich anderer Meinung.

Was Sie dann tun - das ist wieder einmal typisch  : Sie stellen einen Verbund von Parteien her, die extrem unterschiedlich sind.

(Lachen bei der AfD - Daniel Rausch, AfD: Das sehen wir doch immer! - Weitere Zurufe von und Unruhe bei der AfD)

- Ja, ja. Das ist erstaunlich. - Die Kollegen von der CDU und wir GRÜNEN wissen,

(Zurufe von der AfD)


Vizepräsident Wulf Gallert: 

Warten Sie einmal!


Olaf Meister (GRÜNE): 

worin wir uns unterscheiden. So. Die Bevölkerung draußen weiß das auch, worin wir uns unterscheiden. Es gibt ganz große Diskussionen.

(Lachen bei und Zurufe von der AfD: Ja! - Oh! - Dr. Hans-Thomas Tillschneider, AfD: So wie über den Klimawandel und die Ukrainepolitik! So viele Unterschiede!)

Wir kriegen uns ständig in die Wolle. Das ist Demokratie. Das gehört sich so. Damit können wir umgehen.

(Zuruf von der AfD: Extreme Nuancen!)

Sie stehen soweit rechtsaußen, schon an der Wand, soweit rechts, 

(Matthias Büttner, AfD, Staßfurt: Ja! - Jan Scharfenort, AfD: Wir stehen für die Mehrheit der Bevölkerung!)

dass es aus Ihrer Sicht eine Gruppe ist, dass alle das Gleiche machen. Das ist Unfug!

(Zuruf von der AfD: Nein, das ist genauso!)

Und das ist letztlich der Beleg dafür, dass exakt diese Situation eintritt: Systemparteien, freiheitlich-demokratische Grundordnung und die Feinde dessen.

(Beifall bei den GRÜNEN)