Dr. Reiner Haseloff (Ministerpräsident): 

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Seit Jahren beobachten wir und inzwischen auch der Verfassungsschutz den Weg der AfD von einer ursprünglich euroskeptischen zu einer offen rechtsextremen Partei. Viele Gründungsmitglieder haben die Partei wegen dieser verhängnisvollen Entwicklung inzwischen verlassen und warnen davor, die Gefahren, die von der AfD mittlerweile ausgehen, zu bagatellisieren. Die Positionen, die von herausgehobenen Funktionsträgern der Partei vertreten werden, werden immer radikaler.

Deutschland im Jahr 2023, nicht 1933 - in Potsdam diskutieren Rechtsextreme unverhohlen rassistische Fantasien. Menschen aus unserer Mitte werden stigmatisiert, ausgegrenzt und ihre organisierte Vertreibung aus Deutschland wird erörtert. In Potsdam wurde in geschlossener Gesellschaft Klartext gesprochen. Gut, dass Journalisten es in die Öffentlichkeit getragen haben.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Treffens haben sich endgültig demaskiert und ihr wahres Gesicht gezeigt. Ich frage mich, wie geschichtsvergessen kann man eigentlich sein? Was dort verhandelt worden ist, erinnert an die finstersten Zeiten deutscher Geschichte.

(Zustimmung bei der CDU und von Andreas Silbersack, FDP - Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Auch das bleibt festzuhalten: Die AfD distanziert sich von diesem Treffen und den dort propagierten Thesen allenfalls halbherzig.

(Zustimmung bei der LINKEN, bei der SPD, bei den GRÜNEN, von Anne-Marie Keding, CDU, von Andreas Silbersack, FDP, und von Guido Kosmehl, FDP)

Die Partei sieht sich in klassischer Täter-Opfer-Umkehr vielmehr als Opfer einer von Politik und Medien inszenierten Kampagne.

(Zurufe von der AfD: Ja, das ist ja auch so! - Gut festgestellt!)

Das zeigt, wes Geistes Kind die AfD ist.

(Tobias Rausch, AfD: Ja, genau!)

- Wer so reagiert, hat nichts verstanden.

Die Thesen von Potsdam sind nicht klein zu reden. Das Treffen zeigt uns drastisch die vom Rechtsextremismus zunehmend ausgehenden Gefahren für unser Land auf.

(Zustimmung bei der LINKEN, bei der SPD, bei den GRÜNEN, von Andreas Silbersack, FDP, und von Guido Kosmehl, FDP)

Reden auch wir Klartext. Unsere freiheitliche Gesellschaft und unsere Demokratie sind herausgefordert. Klare Reaktionen zeigen - das ist das Gebot der Stunde. Seit vielen Tagen gehen in ganz Deutschland Hunderttausende Menschen auf die Straßen, Tausende auch in Halle und in Magdeburg. Frau Pähle hat die Orte, an denen entsprechende Veranstaltungen in der Planung sind, benannt. Und das ist sicherlich noch nicht vollständig gewesen. Die Menschen wenden sich gegen Rassismus und Rechtsextremismus. Dafür bin ich sehr dankbar. Das sind ermutigende Signale.

Für unsere Überzeugungen und demokratischen Institutionen müssen wir entschlossen eintreten. Wir haben Verantwortung vor der Geschichte und für die Gestaltung der Zukunft. „Wehret den Anfängen!“ ist keine Floskel, sondern in der wehrhaften Demokratie unseres Grundgesetzes ein moralischer Imperativ.

(Zustimmung bei der CDU, bei der LINKEN, bei der SPD, bei der FDP und bei den GRÜNEN)

In ihr trägt jeder Einzelne Verantwortung für sich selbst und für die Allgemeinheit. Das gilt heute mehr denn je. Auch für den Staat, der handeln muss und auch weiter handeln wird.

Der Nationalsozialismus lässt sich nicht aus der Kontinuität der deutschen Geschichte lösen. Kann sich Ähnliches wiederholen? - Man sollte diese Frage nicht allzu leichtfertig mit Nein beantworten. Die liberale Demokratie stabilisiert sich nicht automatisch, sondern nur durch bürgerschaftliches Handeln.

Wir beobachten seit Längerem einen schwindenden Respekt gegenüber demokratischen Normen und Institutionen. Die Grenzen des Sagbaren verschieben sich immer mehr. Radikale, ja menschenverachtende Parolen werden hoffähig. Rassisten und Rechtsextreme vertreten unverhohlen anachronistische Geschichts- und Weltbilder. Für sie scheint es das 20. Jahrhundert nie gegeben zu haben. Dahinter verbirgt sich auch eine Sehnsucht nach einfachen Lösungen für komplexe Modernisierungsprozesse.

Jacob Burckhardt warnte schon im 19. Jahrhundert hellsichtig vor den „schrecklichen Vereinfachern“. Gegen sie, ihre Politik und ihre Weltbilder muss man mit aller Entschiedenheit vorgehen. Patentrezepte gibt es zwar nicht, aber gerade auch die Auseinandersetzung mit der Geschichte kann uns sensibilisieren und wachsamer machen gegenüber diesen evidenten Bedrohungen.

Wir können aus der Geschichte lernen. Sie ist kein Strom ohne Lenkung und kein bloßes Sich-Ereignen. Geschichte ist das Ergebnis menschlicher Handlungen. Aufklärung ist wichtig und sie muss in die Breite wirken. Die Lehre aus dem Nationalsozialismus kann nur lauten, unsere Gegenwart nach anderen, menschlicheren Maßstäben zu gestalten. Unser demokratischer Verfassungsstaat ist die Antithese zum politischen Extremismus.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP - Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Der erste Artikel unserer Verfassung beginnt mit dem Satz: „Die Würde des Menschen“ - und das meint alle Menschen - „ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ - Das war die bewusste Antwort der Verfassungsväter und  mütter auf die menschenverachtenden nationalsozialistischen Verbrechen.

Ganz bewusst stehen die individuellen Grundrechte am Anfang des Grundgesetzes. An diesen Werten hat sich unsere Gesellschaft auszurichten und sie muss sie wehrhaft verteidigen. Sie sind nicht verhandelbar. Die Grundrechte gelten für alle in Deutschland lebenden Menschen ohne Ausnahme.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP - Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Potsdamer Treffens wollen eine andere Gesellschaft. Denn ihre Thesen sind mit dem Leitbild des Grundgesetzes schlechthin unvereinbar. Sie haben ein ganz anderes Menschenbild, in dem nicht jedem Geschöpf Gottes dieselbe Würde innewohnt.

Ihre Bewegung geht allein von der Vorstellung eines geeinten und homogenen Volkes aus, in dem alle anderen Menschen Fremdkörper sind. Sie distanzieren sich radikal von allem, was ihnen fremd ist. Ihre von Ressentiments geleitete Politik bietet keine Lösungen, sondern verschärft die Probleme. Ihr Vokabular ist unmenschlich, zynisch und abscheulich. - Wir gegen die anderen.

Demokratie ist aber immer auch Schutz von Minderheiten und sie fußt auf Mitmenschlichkeit und Solidarität.

(Beifall bei der CDU, bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der FDP)

Treffen und Thesen wie in Potsdam gefährden unsere Demokratie. Der Schaden ist immens. Das Ausland registriert solche Vorfälle sehr genau. Erst kürzlich hat sich der renommierte US-Ökonom Adam Posen verstört gezeigt über die Wahlerfolge der AfD. Qualifizierte Fachkräfte werden abgeschreckt, nach Deutschland zu kommen. Nationale Abschottung ist Gift für jede Volkswirtschaft.

(Oliver Kirchner, AfD: Die kommen ja schon seit 2015!)

Denken wir an Intel oder an die vielen anderen ausländischen Investoren in Sachsen-Anhalt. Wenige Länder haben in der Vergangenheit so sehr von Europa und der Globalisierung profitiert wie das Exportland Deutschland. Das muss aber nicht so bleiben. Angesichts unserer Geburtenzahlen müssen wir eine vernünftig geordnete Zuwanderung als Chance begreifen und nicht als Bedrohung.

Fachkräfte werden heute weltweit umworben. Wir stehen in einem globalen Wettbewerb um die besten Köpfe. Für die gut ausgebildeten Menschen aus aller Welt muss es attraktiv sein, in Deutschland zu leben und zu arbeiten, für die Pflegekraft ebenso wie für den Facharbeiter und die Facharbeiterin oder wie für die Akademikerin und den Akademiker.

Doch das allein reicht nicht aus. Ebenso wichtig ist ein Klima der Weltoffenheit. Eine aufrichtige Willkommenskultur zielt auf Teilhabe und Integration ab. Einwanderer müssen sich wohl und sicher in unserem Land fühlen. Ihnen müssen nicht nur beruflich gute Perspektiven geboten werden; nur dann werden sie dauerhaft bleiben.

Sachsen-Anhalt ist und bleibt weltoffen, tolerant und pluralistisch.

(Beifall bei der CDU, bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der FDP)

Und ich sage es ausdrücklich, für diese Werte stehe ich als Ministerpräsident. Ich bin mir sicher, der weitaus größte Teil unserer Bevölkerung teilt diese Einstellung.

(Beifall bei der CDU, bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der FDP)

Die Menschheit will eine Gesellschaft ohne Ressentiments. Ihr ist der gesellschaftliche Zusammenhalt wichtig. 

Richtig ist aber auch: Zuwanderung darf die Menschen nicht überfordern. Ein Menschenrecht auf Einwanderung gibt es nicht. Artikel 16a des Grundgesetzes garantiert das Recht auf Asyl. Einwanderung können und müssen wir aber so gestalten, dass die Willkommenskultur nicht leidet.

(Zustimmung bei der CDU, bei der SPD und bei der FDP)

Das Bild der Deutschen vom Migrationsgeschehen hat sich seit einigen Jahren stark verändert, und zwar nicht zum Positiven, wie die „FAZ“ vor einigen Tagen schrieb. Zugleich hat die irreguläre Zuwanderung einen historischen Höchststand erreicht. Wir dürfen das im Interesse des gesellschaftlichen Zusammenhalts nicht ignorieren. Hierbei ist vor allem die Bundesregierung gefordert. Sie muss dagegen noch viel entschlossener vorgehen und konsequenter durchgreifen. Ob hier und heute das neue Staatsangehörigkeitsrecht tatsächlich ein richtiges Signal ist, wird von vielen, auch von Fachleuten, infrage gestellt.

(Zustimmung bei der CDU)

Ist ein Militärdienst ohne Staatsangehörigkeit sinnvoll? - Es geht auch um Loyalität gegenüber dem Staat und das Bekenntnis zu ihm. Das schließt auch die Verantwortung für unsere Geschichte und ihre Folgen ein, auch gegenüber Israel.

Sehr geehrte Damen und Herren! Die Ministerpräsidentenkonferenz hat im Dezember des vergangenen Jahres gemeinsam mit dem Bund neue Regeln zur Steuerung der Migration beschlossen, und zwar einstimmig: LINKE, GRÜNE, CDU, SPD und CSU. Nun hat der Bundestag vor einer Woche ein neues Gesetz unter anderem zur Erleichterung von Rückführungen verabschiedet. Es geht zwar in die richtige Richtung, bleibt aber hinter unseren Beschlüssen zurück. Ich hoffe, wir werden in der Ländergemeinschaft des Bundesrates nachbessern können, um die irreguläre Zuwanderung nach Deutschland zu stoppen. Was will ich damit sagen? - Ja, es gibt viele schwerwiegende Probleme. Wir werden sie aber gewiss nicht mit fundamentalistischen Parolen lösen können, sondern nur mit harter politischer Arbeit. Dabei orientieren wir uns an den Vorgaben unseres Grundgesetzes. Denn zu unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und ihren Werten gibt es in Deutschland keine Alternative.

(Zustimmung bei der CDU, bei der LINKEN, bei der SPD, bei der FDP und bei den GRÜNEN)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Herr Haseloff, es gibt eine Intervention und eine Frage. Die Intervention kommt von Herrn Scharfenort. - Herr Scharfenort, Sie haben das Wort.



Jan Scharfenort (AfD): 

Herr Haseloff, ich weise Ihre Anschuldigungen, Ihre Behauptungen - auch ganz persönlich - zurück, was die AfD anbelangt. Ich selbst bin verheiratet mit einer Nigerianerin, einer wirklichen Fachkraft, die über ein Visum eingewandert ist, sich angestrengt hat und ihren Masterabschluss gemacht hat. Ich wäre nicht in der AfD, wenn wir eine ausländerfeindliche Partei wären. Das möchte ich als Erstes sagen.

(Beifall bei der AfD - Oh! bei der SPD und bei den GRÜNEN)

All diese Behauptungen und Lügen sind letztlich ein Ausdruck Ihrer Schwäche, Ihres Machtverlustes. Das ist die Sorge. Sie haben nicht Angst um die Demokratie, sondern vor der Demokratie. Das ist Ihr Problem.

(Beifall bei der AfD - Zurufe von der AfD: Jawohl! - Bravo!)

Der Popanz, der hier aufgebaut wird, soll nur helfen, die einzige demokratische Opposition zu diffamieren und zu diskreditieren

(Lachen bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zuruf: Oi, oi, oi!)

und die Umfragewerte zu senken. Das ist das Ziel, nichts anderes.

Jetzt zitiere ich mal aus dem „Spiegel“, internationale Ausgabe, unseren lieben Bundeskanzler Scholz. Ich zitiere:

„We have to deport people more [...] and faster.“

Das hat Herr Scholz im „Spiegel“-Interview gesagt, wortwörtlich. Das kann jeder nachlesen. Mehr muss ich dazu nicht sagen, was „deport“ heißt.

(Zuruf von Dr. Katja Pähle, SPD)

Nicht wir haben das gesagt, sondern der Bundeskanzler hat das gesagt. In der englischen Ausgabe des „Spiegel“ hat er sich als starker Mann ausgegeben, was er eben nicht ist.

(Beifall bei der AfD)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Sie können antworten.


Dr. Reiner Haseloff (Ministerpräsident): 

Ich nehme keinen der von mir gesprochenen Sätze zurück,

(Zustimmung bei der CDU, bei der LINKEN, bei der SPD, bei der FDP und bei den GRÜNEN)

auch nicht, was die Einschätzung der rechtsextremistischen Tendenz dieser Partei anbelangt. Unser Verfassungsschutz hat dazu klare Erkenntnisse und hat gehandelt. Wir stehen genau dahinter. Das, was in Potsdam passiert ist, hätte ich mir in meinem langen Leben nie vorstellen können.

(Zustimmung bei der CDU, bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zuruf von der AfD: Ohne Argumente!)

Das kann ich Ihnen sagen: nie vorstellen können.


Vizepräsident Wulf Gallert:

Dann gibt es noch eine Frage von Herrn Tillschneider. - Herr Tillschneider, Sie haben das Wort.


Dr. Hans-Thomas Tillschneider (AfD): 

Herr Ministerpräsident, Sie gehen sehr leichtfertig mit den Vorwürfen des Rechtsextremismus und des Rassismus um. Deshalb frage ich Sie jetzt: Ist es denn schon rassistisch und rechtsextremistisch, wenn man z. B. die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts durch die erste rot-grüne Bundesregierung rückgängig machen will und z. B. das Staatsbürgerschaftsrecht wiederherstellen will, das Mitte der Neunzigerjahre in der Bundesrepublik gegolten hat? Ist es schon Rassismus, wenn man das will?

(Zustimmung bei der AfD - Dr. Katja Pähle, SPD: Das ist überhaupt nicht besprochen worden in Potsdam! Das ist ein reines Ablenkungsmanöver!)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Sie können antworten, Herr Haseloff. Bitte sehr.


Dr. Reiner Haseloff (Ministerpräsident): 

Wissen Sie, es gibt ganz klare demokratische Verfahren in unserem Staat. Wir haben zwei Kammern. Sie wissen, wie die Gesetzgebungsprozesse ablaufen. Dafür, dass wir mit Blick auf die internationale Entwicklung der letzten Jahre vieles anpassen müssen und nachführen müssen, gibt es nicht nur eine demokratische Prozedur, sondern dazu gibt es auch einen Konsens der demokratischen Parteien. Es gibt eine ganz klare Abschneidegrenze, zu welchen Themen, zu welchen Mechanismen und zu welchen Dingen, die in unserem Land im letzten Jahrhundert schon einmal stattgefunden haben, wir keinerlei Kompromisse bzw. keinerlei Dinge zulassen werden, die eine Wiederholung dieser furchtbaren Zeiten der deutschen Geschichte ermöglichen. Es gibt eine ganz klare Abschneidegrenze.

(Zustimmung bei der CDU, bei der LINKEN, bei der SPD, bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Eine Konsequenz folgt aus der Zeit der Weimarer Republik und dem Scheitern der Weimarer Republik. Ich habe das vorhin auch ausdrücklich gesagt. Es gibt eine staatliche Verantwortung dafür, dass diese Demokratie auf immer gesichert bleibt. Diese staatliche Verantwortung werden auch wir als Landesregierung und auch wir in diesem Parlament, die sich dem Grundgesetz verpflichtet fühlen, sicherstellen und ihr nachkommen.

(Zustimmung bei der CDU, bei der LINKEN, bei der SPD, bei der FDP und bei den GRÜNEN)