Tagesordnungspunkt 32

Beratung

Medimobil: Haus- und fachärztliche Versorgung im ländlichen Sachsen-Anhalt sicherstellen

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/3404

Änderungsantrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/3487


Einbringerin ist Frau Anger. Frau Anger steht bereits vorn und hat das Wort. Bitte schön.


Nicole Anger (DIE LINKE):

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Sachsen-Anhalt ist ein Flächenland. Vier von fünf Personen leben im ländlichen Raum.

(Unruhe - Eva von Angern, DIE LINKE: Aber dann jetzt zuhören bitte, wenn ihr das wolltet! Sonst ist es ein bisschen unfair!)

- Es wäre schön, wenn ich ein bisschen Aufmerksamkeit bekommen würde, wenn wir den Tagesordnungspunkt schon auf heute vorziehen.

Vier von fünf Personen leben im ländlichen Raum. Das sind etwa 80 % aller Menschen hier im Land. Der ländliche Raum umfasst rund 4 000 Ortsteile und kleinere Ansiedlungen in Sachsen-Anhalt. Rund 20 % der Menschen, die dort leben, sind älter als 70 Jahre. Sachsen-Anhalt ist eines der Bundesländer mit einem großen Anteil an älteren Menschen. 

Ja, es ist auch gut, dass wir im Durchschnitt alle immer älter werden. Zum Älterwerden gehört aber auch, dass uns allen ein möglichst selbstbestimmtes und selbstständiges Leben an allen Orten des Landes bis ins hohe Alter ermöglicht wird. Das betrifft neben den Dingen des alltäglichen Lebens insbesondere auch die ärztliche Versorgung. Denn mit zunehmendem Alter ist das Risiko, krank zu werden, chronische Erkrankungen zu bekommen, einfach höher. Ältere Menschen leiden oft an multiplen Erkrankungen. Kurzum: Sie bedürfen einer regelmäßigen und häufigeren medizinischen Kontrolle.

Meine Damen und Herren! Die hausärztliche Versorgung ist vor allen Dingen im ländlichen Raum Sachsen-Anhalts nicht mehr flächendeckend gegeben. Der Landesausschuss der Ärzt*innen und der Krankenkassen des Landes Sachsen-Anhalt hat eine drohende Unterversorgung mit Hausärztinnen festgestellt. Das betrifft bereits 14 der Planungsbereiche, also knapp die Hälfte. Es betrifft z. B. die Regionen um Gardelegen und um Sangerhausen, um nur zwei Regionen zu nennen.

Die Wege zu den Hausärztinnen werden immer länger, vorausgesetzt man findet noch eine. Hinzu kommt: Patient*innen warten zunehmend länger auf Termine. Arztpraxen sind immer schwerer zu erreichen, insbesondere mit dem öffentlichen Personennahverkehr. Für chronisch kranke, ältere und immobile Menschen ist das bereits ein Problem in unserem Land und es wird zusehends ein größeres.

(Unruhe)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Warten Sie einmal, Frau Anger. - Wissen Sie, so geht das nicht.

(Eva von Angern, DIE LINKE: Das ist doch unverschämt! - Zustimmung bei der LINKEN)

Wir haben den Tagesordnungspunkt in einer Last-Minute-Aktion vorgezogen, aber das verlangt ein Stück weit auch Disziplin, damit wir das im Plenum noch so abarbeiten können, wie es dem Thema gerecht wird.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Ich möchte nicht übermäßig auf die Tränendrüse drücken, aber es geht hierbei um die medizinische Versorgung im ländlichen Raum. Ich glaube, das dürfte ein Thema sein, das Aufmerksamkeit verlangt und das Aufmerksamkeit verdient.

(Ulrich Siegmund, AfD: Das haben Sie nicht zu bewerten, Herr Präsident!)

Bitte, Frau Anger.


Nicole Anger (DIE LINKE):

Vielen Dank, Herr Präsident. - Die Versorgung ist nicht mehr an allen Orten des Landes vollends sichergestellt. Das hat Auswirkungen auf den Gesundheitszustand der Menschen.

Aber auch die Arbeitssituation der Hausärztinnen ist angespannt. Es bilden sich Schlangen vor Praxen. Aber viel schlimmer ist, dass die Zeit für die einzelnen Patientinnen immer weniger wird. Je mehr behandelt werden müssen, desto weniger Zeit bleibt für die Einzelnen. Hinzu kommt auch ein massiver Anstieg an Verwaltungsaufgaben.

Die Versorgung mit Hausärztinnen liegt in 25 der 32 Planungsregionen des Landes deutlich unter 100 %. Das heißt, überall dort sind Stellen vakant. Insgesamt haben wir momentan etwa 250 vakante Stellen von Hausärztinnen im Land.

Machen wir das einmal für den Altmarkkreis Salzwedel konkret: Die praktizierenden Hausärztinnen - es sind genau 27 - müssen mehr Patient*innen behandeln als eigentlich vorgesehen. Im Schnitt - rechnet man die Kinder und Jugendlichen in der Region heraus - sind es rund 2 200 Patient*innen pro Vollzeitstelle Hausärztin. Allerdings sind im Schnitt 1 300 Patientinnen pro Hausärztin vorgesehen. Damit haben die verbleibenden Hausärztinnen deutlich mehr Patientinnen zu versorgen. Dass die Zeit für die einzelnen Patienten dann knapper wird, versteht sich von selbst.

Im Altmarkkreis Salzwedel sind insgesamt 17,5 Stellen vakant. Das sind 17,5 Stellen, die die Überlastung der einzelnen Hausärztinnen reduzieren könnten. Meine Damen und Herren! 

Aber auch die Versorgung mit Fachärzt*innen im Flächenland Sachsen-Anhalt ist nicht gleichermaßen sichergestellt.

(Zuruf von Ulrich Siegmund, AfD)

So gibt es auch im Altmarkkreis Salzwedel keinen Hautarzt mehr. Dort ist die Unterversorgung bereits eingetreten. In den Landkreisen Anhalt-Bitterfeld, Börde, Mansfeld-Südharz, Stendal und Wittenberg droht ebenso zeitnah eine Unterversorgung mit Hautärztinnen. Schreitet das weiter fort, dann haben wir in vor allen Dingen in den drei großen nördlichen Landkreisen keine fachärztliche Versorgung auf dem Gebiet der Dermatologie mehr. Das heißt dann auch, dass die Praxen in Magdeburg oder im Jerichower Land mehr und mehr Zulauf bekommen werden, natürlich nur, sofern die Menschen mobil sind und lange Wege auf sich nehmen können. Das bedeutet für alle längere Wartezeiten, vorausgesetzt man wird in den Praxen überhaupt noch aufgenommen.

Eine drohende Unterversorgung gibt es auch bei den Augenärztinnen, besonders im Altmarkkreis Salzwedel, im Harz und in Stendal. Spürbare Engpässe treten darüber hinaus insbesondere bei Nervenärztinnen, Kinder- und Jugendpsychiater*innen und Frauenärzt*innen auf.

Meine Damen und Herren! Wir sind uns sicherlich darin einig, dass hinsichtlich der Versorgungsaufträge von Fachärztinnen im Land Sachsen-Anhalt ein hoher Bedarf an einer Nachbesetzung besteht.

Die Kassenärztliche Vereinigung hat bereits im Jahr 2002 davon gesprochen, dass es einen Ärztinnenmangel geben wird. Als dessen Problem nennt sie aber nicht die Bedarfsplanung, sondern die schrittweise verringerte Anzahl von Medizinstudienplätzen in den 90er-Jahren. Mehr als 1 100 fachärztliche und knapp 700 hausärztliche Versorgungsaufträge müssen innerhalb der kommenden zehn Jahre sichergestellt werden. Das sind im Durchschnitt 70 Hausärztinnen pro Jahr, die wir dringend benötigen. Momentan, ich sagte es, fehlen bereits mehr als 250. Die Landarztquote umfasst nur 25 pro Jahrgang. Das passt nicht zusammen. 

Die Zahlen zu den bevorstehenden Versorgungslücken sind alarmierend. Betroffen sind vor allen Dingen die Menschen in den ländlichen Regionen. Betroffen sind vor allen Dingen die Menschen, die nicht mobil oder nur wenig mobil sind. Angesichts der drohenden Unterversorgung müssen wir umgehend neue Ideen entwickeln und Maßnahmen ergreifen.

Meine Damen und Herren! Man sollte meinen, dass genau all das und mehr Thema im Gesundheitskabinett Ende November gewesen sein muss. Ihre Tagesordnung dort war jedenfalls sehr ambitioniert. Von Ärztinnen- und Zahnärztinnenmangel über einen Mangel bei medizinischen Fachangestellten, über die Zusammenarbeit von ambulant und stationär bis hin zur Krankenhausreform war in den zwei Stunden der Beratung augenscheinlich alles dabei. Aber ganz ehrlich: So kann man sich doch nicht wirklich fokussieren und kaum echte Lösungen schaffen. Ein Teil der Teilnehmenden wird sicherlich enttäuscht den Raum des Gesundheitskabinetts verlassen haben. 

Dennoch - das unterstelle ich der Landesregierung an dieser Stelle einfach - gibt es kein Erkenntnisproblem. Ihnen sind genau wie mir die Situation und die Zahlen präsent. Dennoch bin ich sehr irritiert, dass man im Gesundheitskabinett nur auf Lösungen kommt, die alle erst langfristig greifen werden und die vor allem den Menschen, die in den nächsten Wochen einen Termin brauchen, nicht helfen werden. Niemand hat Zeit, 14 Jahre, also bis jemand das Studium abgeschlossen hat, auf einen Facharzttermin zu warten. Denn so lange dauert es im Durchschnitt, bis das Studium beendet ist.

(Guido Kosmehl, FDP: 14 Jahre?)

Es braucht daher Konzepte, die zeitnah wirken, die deutlich früher ansetzen und die, ja, möglicherweise die Zeit überbrücken.

Meine Damen und Herren! Mir geht es mit unserem Antrag um zwei wesentliche Aspekte: erstens die Ergänzung und Sicherung der haus- und fachärztlichen Versorgung in der Fläche des Landes und zweitens die Entlastung der Hausärztinnen vor Ort. Deswegen beantrage ich namens meiner Fraktion die Entwicklung eines Modellprojektes für ein sogenanntes Medimobil, eine rollende Arztpraxis. 

Das ist ein Bus, der ähnlich wie eine Hausarztpraxis ausgestattet ist. Er fährt nach einem festgelegten Fahrplan gerade abgelegene und unterversorgte Regionen an. Dorthin können die Menschen dann zur Routineuntersuchung gehen. Gerade für chronisch Kranke, die häufiger eine Praxis aufsuchen müssen, und auch für wenig mobile Menschen ist es eine gute Ergänzung. Das Medimobil kann so das hausärztliche Angebot ergänzen und die wohnortnahe Versorgung gewährleisten. Es arbeitet mit den Hausärztinnen zusammen. Hinzu kommt, dass durch telemedizinische Möglichkeiten auch Fachärztinnen hinzugezogen werden können.

Meine Damen und Herren! Wir möchten gern, dass hierfür gemeinsam mit der Kassenärztlichen Vereinigung ein entsprechendes Konzept im Land entwickelt wird. Das Gute ist: Sie müssen das gar nicht neu erfinden. In Hessen fährt der Medibus seit fünf Jahren über das Land, und das sehr erfolgreich.

Ich gebe Ihnen noch einen kleinen Tipp: In das Corona-Sondervermögen wurden Mittel in Höhe von 800 000 € für ein Impfmobil eingestellt. Lassen Sie es mich einmal so sagen: Hausärztinnen sind geübt im Impfen und der Finanzminister in kreativer Haushaltsführung.

(Zurufe)

Meine Damen und Herren! Selbstverständlich kann ein Medimobil nicht eine umfassende Gesundheitsreform im Land ersetzen. Diese benötigen wir nach wie vor, ohne Frage.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Wir alle wissen aber, dass eine solche Reform viel Zeit kosten wird, Zeit, die viele Menschen hier im Land nicht haben; denn sie sind gerade im ländlichen Raum tagtäglich mit Fragen konfrontiert wie: Wie komme ich an eine hausärztliche Versorgung? Wie komme ich an eine fachärztliche Versorgung? Wie komme ich zeitnah an Termine? Wie kann ich, wenn ich einen Termin habe, dorthin gelangen?

Wir dürfen nicht riskieren, dass gesundheitliche Probleme, die eigentlich zu Beginn noch gut zu behandeln sind, wegen einer zu späten Behandlung aufgrund der Nichterreichbarkeit von Praxen einen schwerwiegenden Verlauf nehmen. Darum müssen wir schnell handeln, um zumindest die akute Problemlage zu mildern. Ich würde mich freuen, wenn unser Antrag Ihre Zustimmung findet und wir mit einem Medimobil zeitnah etwas für die ärztliche Versorgung und Unterstützung im Land Sachsen-Anhalt tun können. Das tut den Patientinnen, aber auch den Hausärztinnen und Fachärztinnen gut. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)