Tagesordnungspunkt 13

Beratung

Fürsorge in der Winterzeit ist Menschlichkeit - Energiesperren verbieten

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/3429


Einbringen wird diesen Antrag der Abg. Herr Gallert.


Wulf Gallert (DIE LINKE): 

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieser Antrag versucht, die Perspektive auf eine Gruppe von Menschen zu richten, die sich möglicherweise nicht immer in unserer unmittelbaren sozialen Umgebung befinden und die vielleicht auch nicht immer so sehr im Fokus dessen sind, worüber wir hier reden. Aber natürlich ist es so, dass in unserem Land durchaus auch existenzielle Ängste existieren, wie man über diesen nächsten Winter kommt. Die existieren an verschiedenen Stellen und die haben sehr verschiedene Ursachen, aber sie haben natürlich auch und gerade mit den großen Unsicherheiten wegen der Entwicklung von Energiepreisen, von Preisen für die Heizung zu tun. Das ist hier unser Thema.

Wir haben in den letzten vier Wochen, vor allen Dingen in den letzten zwei Tagen, sehr viel darüber gestritten, woran es liegt oder liegen könnte oder wer daran schuld sein wird, dass Energiepreise steigen. Das ist aber nicht Gegenstand dieses Antrages.

Gegenstand dieses Antrages ist, mit dem Umstand umzugehen, dass diese hohen Energiepreise dazu führen können, dass Menschen in unserem Land in existenzielle Not geraten. Denen ist es, wenn sie ihre Energiepreisrechnung nicht mehr bezahlen können, völlig egal, ob daran die AfD, die CDU, die FDP, die LINKE, die GRÜNEN oder die SPD oder wer auch immer schuld ist. Sie sind in einer Lage, in der sie sich Heizung oder Strom nicht mehr leisten können. Sie müssen befürchten, im Winter im Dunkeln und im Kalten zu sitzen. Das muss von uns gemeinsam verhindert werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. Deswegen dieser Antrag von uns hier.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich will am Anfang ein paar Risiken aufzählen, die beim Endverbraucher im nächsten Jahr, entweder ab dem 1. Januar 2024 - das wissen wir noch nicht - oder erst ab dem 1. April 2024, ankommen werden, die aber sehr wohl massiv dazu beitragen können, dass Energiepreise durch die Decke knallen oder möglicherweise bei dem einen oder anderen die Rechnung zum dritten Mal hereinflattert, und zwar mit der Mahnung, dass die Energie demnächst abgestellt wird.

Ich komme zum Ersten. Wir hatten bisher eine Reduzierung der Mehrwertsteuer auf Energiepreise, Fernwärme, Gas von 19 % auf 7 %. Das sind minus 12 % auf den Endpreis. Eigentlich war beabsichtigt, dass diese Reduzierung zumindest bis zum Ende der Kernheizperiode Ende März 2024 weiterlaufen soll.

Jetzt gab es schon vor dem Bundesverfassungsgerichtsurteil Debatten dazu, ob man sich dies nicht eigentlich sparen könne, ob nicht schon ab dem 1. Januar 2024 sämtliche Mehrwertsteueraufschläge auf solche Energiepreise wieder auf 19 % raufgehen sollen. 

Wir werden es heute noch nicht wissen und wir wissen es wahrscheinlich auch noch nicht in den nächsten drei, vier Tagen, was wann wirklich passieren wird. Aber wir müssen leider damit rechnen, dass wir mitten in die Kälteperiode im Winter hinein eine Mehrwertsteuererhöhung auf Energiepreise von 7 % auf 19 % bekommen. Das ist natürlich mehr als ein Zehntel dessen, was dann als Preisaufschlag bei den Leuten im Einzelnen ankommt. Aber - das will ich auch ganz klar sagen - dabei bleiben wir noch nicht einmal.

(Zuruf: Eben!)

Wir haben außerdem bereits jetzt die Ankündigung, dass die privilegierten Tarife für den Strom für Wärmepumpen von einer ganzen Reihe von Versorgern im Land Sachsen-Anhalt erhöht werden. Und wir haben als Nächstes wirklich das große Risiko, dass nach dem Urteil zum Klima- und Transformationsfonds der geplante Zuschuss in Höhe von mehr als 5,5 Milliarden € zur Deckung der Netzentgelte wegfallen wird. Das bedeutet ein Minus für das Land Sachsen-Anhalt von etwa 160 Millionen € pro Jahr oder - besser gesagt - der Landeshaushalt hat damit nichts zu tun. Es gibt Berechnungen, dass das pro Haushalt im Schnitt eine zusätzliche Erhöhung um 120 € bis 170 € im Jahr ergeben wird. Das kommt zusätzlich zu der Mehrwertsteuererhöhung obendrauf. 

Abgesehen davon wissen wir, dass die Märkte alle extrem volatil sind. Wir können nicht prognostizieren, wie der Gaspreis in drei Monaten tatsächlich ist. Bisher stehen die Signale auf Entwarnung, aber das können wir nicht garantieren.

Gleichzeitig haben wir es in dieser Situation damit zu tun, dass die Energiepreisbremse - 40 ct/kWh bei Strom und 12 ct/kWh bei Gas - wegfallen wird. Nun kann man sagen: Ja, Leute, wir sind doch jetzt alle deutlich darunter. - Ja,   j e t z t   sind wir deutlich darunter. Aber wir wissen nicht, was passiert, wenn die Mehrwertsteuer wieder auf 19 % steigt. Wir wissen nicht, was passiert, wenn die Netzentgeltzuschüsse von mehr als 5,5 Milliarden € nicht kommen werden. Und wir wissen nicht, was passiert, wenn an irgendeiner anderen Stelle das nächste Mal wieder eine Naturkatastrophe oder was auch immer die entsprechenden Märkte durcheinanderbringt. Das heißt, wir haben es mit einer sehr, sehr hohen Risikolast für viele Menschen zu tun. 

Jetzt will ich auch auf das Problem der Bürgergelderhöhung zu sprechen kommen. Die Bürgergelderhöhung im Jahr 2024 haben sich nicht Politiker ausgedacht; die Bürgergelderhöhung errechnet sich aus der Inflation, und zwar gerade auch in diesem Stromsegment, nicht Heizung, die ist außen vor. Strom ist in diesem Bürgergeld enthalten und die Inflationsberechnung hat nun die vorgesehene Erhöhung des Bürgergeldes zur Folge. Das ist auf der Grundlage eines Verfassungsgerichtsurteils passiert.

Wer hier permanent erzählt, dass diese Bürgergelderhöhung nicht kommen darf, der muss auch klar sagen, dass er das Bundesverfassungsgericht und die dort erteilten Auflagen ignoriert, dass es ihm egal ist. Aber der möge mir dann bitte auch nicht mehr mit der Schuldenbremse kommen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN)

All das führt natürlich zu einer erheblichen Verunsicherung in der Bevölkerung. Nun kann man sagen: Wen trifft das schon? Diejenigen, die hier im Saal sitzen, kennen wahrscheinlich kaum jemanden, den das betrifft. 

Aber ich will an dieser Stelle auch klar sagen: Sachsen-Anhalt hat hierbei einen traurigen Spitzenplatz. In Sachsen-Anhalt sind im Jahr 2022 in mehr als 10 000 Fällen Stromsperren und Heizungsabschaltungen passiert. Mehr als 10 000 Fälle! Nun kann man sagen: Ach ja, 10 000. - 10 000 Fälle entsprechen etwa 0,7 % der Endverbraucherhaushalte. Nun kann man sagen: Ach, 0,7 %. Ich will bloß daran erinnern: Wir hatten hier gestern eine extrem emotionale Debatte, da sind die Vorwürfe nur so hin und her geflogen. Es ging im Zusammenhang mit der Coronaimpfung um 0,7 % der Menschen, die die Spritze bekommen haben, die dann gesagt haben, sie haben negative Folgen von der Impfung.

(Ulrich Siegmund, AfD: Nein, der Arzt sagt das!) 

Da sind die Emotionen durch die Decke gegangen. Wenn wir heute zumindest halb so emotional über 0,7 % der Haushalte diskutieren, die schon in der Vergangenheit damit konfrontiert worden sind, im Winter im Kalten und im Dunkeln zu sitzen, dann wäre ich echt froh, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN)

Was ist nun die Lösung, die wir vorschlagen? Dazu vielleicht ein Satz. Nun kann man sagen: 0,7 %, 10 000 Haushalte - für die Wahlen uninteressant. Aber wir haben doch eine Situation in diesem Land, in der die drohende Möglichkeit, dass das passiert, bei einer viel, viel größeren Gruppe von Menschen zu extremen Verunsicherungen, zu Angst und auch, sage ich, zu Wut führt. Deswegen ist es wichtig, dass wir als Land Sachsen-Anhalt ein ganz klares Stoppsignal setzen und sagen: Nein, wir sorgen dafür, dass niemand im Dunkeln sitzt, dass niemand frieren muss. Das ist die soziale Sicherheit, die wir euch geben, deswegen musst du davor keine Angst haben.

(Beifall bei der LINKEN) 

Jetzt ist die Frage: Wie löst man das Problem? - Wir sind dafür, dass solche Sperren grundsätzlich untersagt werden, wie übrigens in einer ganzen Reihe europäischer Länder, z. B. in Frankreich in der Coronazeit längst passiert. Aber wir wissen auch, dass dies nur auf einem bundesgesetzgeberischen Weg möglich ist. Das heißt, wir können an die Versorger appellieren, aber wir können keine gesetzliche Grundlage schaffen, mit der wir das ausschließen.

Was ist nun unser Vorschlag? - Unser Vorschlag ist, dass wir im Nachtragshaushalt 2024 - alle, die sich mit der Materie auskennen, wissen, der muss sowieso kommen; schön, dass wir morgen einen beschließen werden, aber wir werden definitiv mit einem Nachtragshaushalt zu tun haben - einen Härtefonds mit einem Volumen von 10 Millionen € einstellen. Warum wollen wir das? - Weil wir wissen, dass der Versorger, der jemanden, der zahlungsunfähig und überschuldet ist, trotzdem mit Energie beliefern muss, natürlich nichts dafür kann und deshalb natürlich die Möglichkeit haben muss, sich diese Ausfälle wieder hereinzuholen. Dafür gehen wir mit einem Härtefallfonds mit einem Volumen von 10 Millionen € in das Jahr 2024. 

Wenn wir die Zahlen aus dem Jahr 2022 zum Vergleich nehmen - hinsichtlich der Energiepreisentwicklung kann man durchaus Parallelen ziehen  , wäre das eine Vorsorge von etwa 1 000 € pro betroffenen Haushalt. Ich denke, das ist sehr wohl eine vernünftige Kalkulation. Wenn wir so etwas machen, könnten wir mit einem solchen Härtefallfonds diese Dinge aussetzen bzw. verhindern.

(Beifall bei der LINKEN)

Natürlich gehen wir in unseren Forderungen auch in diesem Antrag noch darüber hinaus. Wir wollen ausdrücklich im Land den Ausbau von Energie- und Schuldnerberatung vorantreiben. Wir wissen: Wenn jemand die Stromrechnung nicht bezahlen kann, ist das meist nicht sein alleiniges Problem, sondern er kann viele andere Rechnungen auch nicht bezahlen, befindet sich häufig in der Überschuldung. 

Es ist überhaupt nicht arrogant zu sagen, dass viele Menschen, die in einer solchen Situation stecken, von der Situation einfach überfordert sind, dass sie häufig in einem Teufelskreis von Verschuldung, von Ausflüchten stecken, aus dem sie allein nicht herauskommen. Ja, es ist auch nicht immer so, dass jeder von uns, selbst wenn er ein absoluter Energieexperte wäre, hundertprozentig in der Lage ist, sämtliche Ressourcen und Quellen, die man noch zur Energieeinsparung finden kann, wirklich findet. 

Wir sagen also ausdrücklich: Stärkung der Schuldnerberatung, Stärkung auch der Energieberatung, übrigens auch gegenüber Vermietern, die manchmal sehr viel mehr als der Mieter selbst in der Lage sind, Strom-, Energie- und Heizungsverbrauch durch entsprechende Maßnahmen zu senken. Das wollen wir ausdrücklich.

Aber wir sagen: Natürlich kann dieses Problem wirklich rational, real und endgültig nur auf der Bundesebene gelöst werden. Auch hierfür haben wir eine ganze Reihe von Forderungen. 

Die Forderungen bestehen eben z. B. darin, dass der Zuschuss zur Netzentgeltdämpfung in Höhe von 5,5 Milliarden €, welchen der Bund bereitstellen wollte, kommen muss; sie bestehen darin, dass der Bund nicht mitten in dieser Heizperiode die Mehrwertsteuer von 7 % auf 19 % erhöht; sie bestehen darin, die Energiepreisbremse beizubehalten. 

Wenn wir sie wirklich nicht brauchen, weil Energie nicht so teuer wird, dann ist es doch gut. Aber warum will man sie denn aufheben? - Das braucht man doch nicht, wenn man gar keine Angst davor hat, dass sie überhaupt wieder greift, weil die Preise nicht so weit ansteigen. Dann kann man sie doch bestehen lassen. - Natürlich sind das unsere Forderungen an den Bund.

Wir gehen weiter. Wir sagen, dass wir die Stromsteuerung auf das EU-Mindestmaß reduzieren wollen. Wir sprechen hierbei über einen Satz von 2 ct/kWh, um den wir reduzieren können, um dieses Problem generell ein Stück weit anzugehen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Noch einmal, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns an vielen, vielen Stellen, insbesondere bei dem Thema Energie, nicht einig. Aber können wir vielleicht einmal einen gemeinsamen Punkt finden, um die extremsten Auswirkungen dieser Preissteigerungen für diejenigen abzumildern oder zu verhindern, die am wenigsten etwas dafür können? 

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist unsere Frage, die sich an eine Fraktion richtet, die das Wort christlich in ihrem Namen führt. Das richtet sich als Frage an die Koalitionsfraktionen, die sich der sozialen Politik und auch der Energiewende verpflichtet fühlen. Ich sage auch ganz klar, Andreas Silbersack, diese Frage richtet sich auch an die FDP. Denn ich bin eben nicht der Überzeugung, dass sozialer Anspruch und liberale Grundsätzen sich widersprechen müssen. 

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist mein Angebot. Das ist unser Angebot. Lassen Sie uns im Interesse der Schwächsten, die von den Energiepreissteigerungen betroffen sind, dieses Stoppzeichen setzen. Nehmen Sie mit einem solchen Stoppzeichen die Angst von vielen, vielen Schultern, die vielleicht nicht davon betroffen sein werden, aber die in der Unsicherheit leben, ob sie diese Preise noch bezahlen können. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)