Tagesordnungspunkt 4

Aktuelle Debatte

Für eine aktive Industriepolitik - für gute Arbeits- und Lebensbedingungen in Ostdeutschland

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/3443


Dazu ist eine Zehnminutendebatte vorgesehen; die Redezeit beträgt also zehn Minuten. - Herr Gallert steht schon Gewehr bei Fuß und möchte einführen. Bitte.


Wulf Gallert (DIE LINKE): 

Guten Morgen auch noch einmal von mir, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir drängend dieses Thema ist, das hat bereits die Fragestunde heute Morgen gezeigt; denn wir haben es tatsächlich mit einem zentralen Problem zu tun: Wie kriegen wir die industrielle Entwicklung in Ostdeutschland und die Verbesserungen der Lebensbedingungen, die damit einhergehen, auf die Reihe?

Wir haben es   das überschattet offensichtlich die gesamte Landtagssitzung   mit einem grandiosen Erfolg der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu tun. Sie hat nicht nur erfolgreich gegen die Haushaltspolitik der Ampel geklagt, sondern auch erfolgreich gegen den Landeshaushalt Sachsen-Anhalt, mit dem wir uns gestern beschäftigt haben, 

(Beifall bei der LINKEN) 

und ausdrücklich erfolgreich auch gegen die Mittel für die wirtschaftliche Entwicklung Ostdeutschlands in den nächsten Jahren.

Das haben wir alle registriert und zur Kenntnis genommen. Die einzige, die sich darüber auch noch gefreut hat, war allerdings die CDU-Landtagsfraktion. Man kann hierüber nur staunen. Ich werde sagen, warum man darüber nur staunen kann.

Schauen wir uns diesen erfolgreich beklagten Klima- und Transformationsfonds der Bundesregierung an. Dort waren bis zum Jahr 2027 Mittel in Höhe von 80 Milliarden € dafür geplant, industrielle Projekte voranzubringen. Von den Mitteln in Höhe von 80 Milliarden € sollten sage und schreibe Mittel in Höhe von 50 Milliarden € in Ostdeutschland verwendet werden. Ich sage: Das ist eine ausdrücklich richtige Schwerpunktsetzung gewesen. 

(Zustimmung von Hendrik Lange, DIE LINKE)

Nur jetzt, nachdem die Mittel in Höhe von 60 Milliarden € zur Disposition stehen, ist diese Schwerpunktsetzung, und zwar massiv, infrage gestellt. Ich sage ausdrücklich: Sie ist bitter nötig. 

Allein Sachsen-Anhalt hat im ersten Halbjahr 2023 einen Einbruch des Bruttoinlandprodukts um mehr als 3 % verzeichnet. Das hat Ursachen, die unmittelbar mit industriepolitischen Entscheidungen zu tun haben.

Schauen wir uns darüber hinaus den Ost-West-Vergleich an. Für eine Vollzeitstelle rechnet man in Westdeutschland mit einem durchschnittlichen Bruttoverdienst in Höhe von 58 000 € im Jahr. Im Osten sind es nach wie vor 45 000 € im Jahr. Was glauben Sie, woher der Frust bei den Menschen kommt? - Er kommt genau aufgrund dieser Differenz zustande, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Woher kommt diese Differenz? - Dafür gibt es zwei Ursachen. Erstens schauen wir uns das ganz einfach einmal im Bereich der Autozulieferindustrie an. Wenn wir uns anschauen, welche Löhne es in unserer kleinteiligen Zulieferindustrie und welche Löhne es in Wolfsburg gibt, dann weiß man bereits sehr viel.

Es gibt ein zweites Problem, nämlich die sehr, sehr geringe Tarifbindung, die wir im Osten im Vergleich zum Westen haben. Ich rede dabei nicht so sehr über die Arbeitnehmer. Nein, ich rede über die Unternehmen, die in den meisten Fällen, wenn sie eine Tarifbindung haben, nur Haustarife haben.

All diese Dinge, die jetzt praktisch mit einer solchen Strategie in Angriff genommen werden könnten, stehen wegen der Schuldenbremse dezidiert infrage. Ich muss ganz klar sagen: Es waren nicht alle in der CDU, die das nicht geahnt und davor gewarnt hätten.

Der Ministerpräsident unseres Landes Herr Haseloff hat bereits im November 2022 im Bundestag dafür plädiert, eine Notlage auf der Bundesebene für die Haushaltsjahre 2023 und möglicherweise auch für 2024 zu erklären. Denn er hat genau das kommen sehen.

Das Problem ist nur: Wen hat er nicht überzeugen können? - Seine eigene Bundestagsfraktion, die genau in die entgegengesetzte Richtung gegangen ist und die damit, zusammen mit der katastrophalen Haushaltspolitik der Ampel, all diese Dinge infrage gestellt hat. Das ist ein Skandal, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Zustimmung bei der LINKEN - Zuruf von Alexander Räuscher, CDU)

Jetzt schauen wir uns an, welche Folgen wir für das Land Sachsen-Anhalt haben. - Herr Räuscher, ich komme gleich noch einmal zu den Bundesverfassungsgerichtsurteilen und dazu, wer in dieser Bundesrepublik Bundesverfassungsgerichtsurteile akzeptiert und wer nicht. Warten Sie einmal ab.

Was sind die Folgen dieses Gerichtsurteils für Sachsen-Anhalt? - Zunächst das zentrale Megathema Intel. Ich finde es super, wie das alles wieder passiert. Alle Beteiligten und Nichtbeteiligten garantieren, dass Intel kommen wird. Keiner von denjenigen, die diese Garantien ausgesprochen haben, weiß, wie die Subventionsmittel in Höhe von 3 Milliarden €, die durch dieses Urteil infrage gestellt worden sind, finanziert werden sollen. Bei der Untersetzung von Mitteln in Höhe von 700 Millionen € ist man bereits vorangekommen. Die Herkunft der Mittel in Höhe von 2,3 Milliarden € steht noch immer in den Sternen.

Solange die Subventionsmittel in Höhe von 2,3 Milliarden € nicht abgesichert sind, ist das Projekt Intel nicht abgesichert. Man kann ja trotzdem daran glauben. Aber dann geht man bitte auf die andere Seite des Domplatzes. Dort steht eine Kirche. Dort kann man glauben. Hier muss man wissen. Wir wissen es nicht; Intel ist nicht gesichert, solange die Subventionen nicht gesichert sind.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Wir kommen zur nächsten Geschichte. Wir gehen von der Bundeseite weg und kommen zu der Landesseite. In den Haushaltsberatungen gibt es eine Last-Minute-Entscheidung der Landesregierung. Sie sagt: Wir übernehmen selbst die Verantwortung für den High-Tech-Park Intel.

Dazu sage ich, Herr Schulze: vollkommen richtig. Das haben wir seit anderthalb Jahren an dieser Stelle gefordert. Das Problem ist nur, dafür müssen wir neue Schulden aufnehmen. Dafür müssen Schulden in Höhe von mehr als 250 Millionen € aufgenommen werden. Wirtschaftlich vollkommen richtig, weil man sie refinanzieren kann, indem man es wieder verkauft. 

Nur, Entschuldigung, die Schuldenbremse im Grundgesetz kennt genau diesen Fall nicht. Sie kennt genau zwei Ausnahmen für Kredite: Sie kennt die Naturkatastrophe und sie kennt die Notlage. Sagen Sie mir bitte: Was ist denn Intel? Ist Intel eine Naturkatastrophe oder eine Notlage? 

(Jörg Bernstein, FDP: Eine finanzielle Transaktion!)

Die Antwort darauf habe ich in diesem Haus bisher noch nicht gehört. Wir sehen an diesem Beispiel, wie bescheuert die Schuldenbremse ist. Sie gehört abgeschafft, weil sie genau zu den falschen Konsequenzen führt.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Gehen wir weiter: Wasserstoffkernnetz - das hat der Minister gerade erläutert. Warum haben wir einen Einbruch des Bruttoinlandsprodukts um 3 % zu verzeichnen? - Die chemische Industrie ist im ersten Halbjahr 2023 um 34 % eingebrochen. Dabei geht es um die Energieversorgung. Die Energieversorgung der Zukunft ist das Wasserstoffkernnetz. Warum haben wir damit ein Problem? - Bundesmittel in Höhe von 110 Millionen € stehen nicht mehr zur Verfügung, zumindest nicht zurzeit. Hier wird die Axt an die Zukunft unserer Industrie gelegt, die dieses Wasserstoffkernnetz braucht.

Kommen wir zu dem nächsten Punkt, dem GRW-Bewilligungsstopp. Natürlich, das ist ein super Erfolg der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Das ist ein super Erfolg der Haushaltspolitik der Ampel. Mittel in Höhe von 50 Millionen € - so kam es aus dem Ministerium - stehen zur Debatte.

Gehen wir weiter zu den Netzentgelten. Im KTF waren Mittel in Höhe von mehr als 5,5 Milliarden € zur Unterstützung der Netzentgelte enthalten. Wenn sie nicht kommen, bedeutet das für jeden durchschnittlichen Haushalt eine jährliche Mehrbelastung in Höhe von 125 €. Für einen mittleren Industriebetrieb, der energieintensiv ist und 50 Beschäftigte hat, bedeutet das eine Zusatzbelastung im sechsstelligen Bereich. 

Das alles sind Dinge, die im Osten stärker wirken als im Westen, und zwar ganz einfach aus einem Grund: Hier sind die Rücklagen geringer. All das ist die Konsequenz dieser Situation. 

Was ist der Ausweg? - Jetzt redet die CDU über die Reduzierung bzw. Nichterhöhung des Bürgergeldes. Super, Kollege Merz! Super, Kollege Linnemann! Super, dass die CDU-geführten Länder ihnen eine rote Karte gezeigt haben.

Denn - ich fange an der Stelle langsam einmal an, an eine Persönlichkeitsspaltung bei der CDU zu glauben  : Zur Angelegenheit des KTF sagt man: Bundesverfassungsgericht   das Urteil. Wir verteidigen die Verfassung. 

Bei der Erhöhung des Bürgergeldes geht es um die Umsetzung eines Bundesverfassungsgerichtsurteils zum Existenzminimum. Was sagt der CDU-Chef? - Mir völlig egal; ich fordere die Bundesregierung auf, das zu ignorieren. Was ist das für eine Doppelmoral, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU?

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von Alexander Räuscher, CDU)

Ich sage aber auch ganz deutlich: Wir müssen endlich aus dem ideologischen, veralteten Relikt des letzten Jahrhunderts, der Schuldenbremse, heraus. Wir sehen doch, dass es ein massiver Fehler ist. Deswegen gibt es auch hierbei nicht die Möglichkeit der Korrektur. Wer die Industrieentwicklung im Osten haben will, der muss sich von der Schuldenbremse verabschieden, liebe Kolleginnen und Kollegen, und zwar eindeutig.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN - Zuruf von Jörg Bernstein, FDP)

Wir sagen allerdings auch: Fördermittel allein reichen nicht. Fördermittel allein sind noch lange keine Garantie dafür, dass wir vernünftige Arbeits- und Lebensbedingungen schaffen können. Wir haben damit durchaus traurige Erfahrungen in Sachsen-Anhalt gemacht, nämlich: Wir haben Industriebetriebe, die massiv mit dreistelligen Millionenbeträgen subventioniert worden sind, die hier produzieren, die hier hochproduktiv sind, und die trotzdem Arbeitsverhältnisse haben, als wären sie irgendwo in einer kleinen Billigklitsche; die eben keine vernünftigen Einkommen und Arbeitsverhältnisse garantieren.

(Jörg Bernstein, FDP: Wo denn? - Thomas Staudt, CDU: Wo denn?)

- Das sage ich Ihnen sofort. - Als Erstes zum Glück eine Geschichte aus der Vergangenheit: Eine der größten Investitionsprojekte, die wir im Land hatten, war Mercer in Arneburg. Die Arbeitsverhältnisse in dem produktivsten Zellstoffbetrieb Europas waren über Jahre hinweg so miserabel, dass sie im Lohnbereich überhaupt erst durch den gesetzlichen Mindestlohn gehoben werden konnten. 

Inzwischen haben wir durch den Kampf der Gewerkschaften dort sehr gute Arbeits- und Lebensbedingungen, und zwar mit Blick auf Urlaub, auf entsprechende Einkommen, auf Aspekte der Betreuung innerhalb des Betriebes und der sozialen Standards. Aber das mussten die Menschen sich erkämpfen. Wir hätten es ihnen garantieren können. Denn dieses Investitionsprojekt im Norden ist zu einem großen Teil durch öffentliche Mittel überhaupt erst möglich gemacht worden.

Wir haben im Übrigen genau dieselbe Situation an einer anderen Stelle, und zwar bei Aryzta in Eisleben. Das ist eine der hochproduktivsten Anlagen im Bereich der Lebensmittelindustrie - mit erheblichen Mitteln im dreistelligen Millionenbereich aus der Landeskasse und insgesamt mit öffentlichen Mitteln organsiert.

Trotzdem müssen die Menschen dort für einen Manteltarifvertrag streiken. Sie müssen sich gegen die Geschäftsführung wehren, weil sie ansonsten viel, viel weniger Urlaub, viel, viel weniger Geld, viel, viel weniger Ausgleich für Nachtschichten und Ähnliches bekommen als ihre Kollegen in Bayern oder Baden-Württemberg, die im Übrigen in Betrieben arbeiten, die nicht so produktiv sind wie der in Eisleben.

Das bedeutet: Wir als Politiker haben die Aufgabe, nicht nur Fördermittel zu geben, sondern mit ihnen auch zu garantieren, dass vernünftigen Arbeitsbedingungen zu herrschen haben. Wenn ich auf Intel schaue, sage ich ganz klar: Wir stellen Steuermittel in Höhe von 10 Milliarden € zur Verfügung, aber - das sage ich in aller Deutlichkeit - diese Mittel in Höhe von 10 Milliarden € sind faktisch nicht gebunden.

Im Übrigen macht Präsident Biden das in den USA deutlich cleverer. Dort ist im Inflationsbekämpfungsgesetz ganz klar festgelegt, welche Garantien es für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Lohnbereich geben soll, welche Garantien es für die Kommunen geben soll, in denen diese Dinge umgesetzt werden. 

Hier passiert das alles ganz offensichtlich nicht oder wir wissen es nicht, weil der Bund die Mittel zur Verfügung stellt. Ich hoffe nur inständig, dass diese Mittel auch daran gebunden sind, dass - im Übrigen auch für die Contractors und alle diejenigen, die hinzukommen - vernünftige Rahmenbedingungen, vernünftige Arbeits- und Lebensbedingungen sichergestellt werden. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Das hat man bei Tesla auch gedacht. Wir sehen inzwischen, dass es an dieser Stelle eben genau nicht garantiert ist.

Wir unterstützen ganz eindeutig diejenigen, die diese Fehler von Landes- und Bundespolitik bisher ausbaden. Das sind z. B. die Kolleginnen und Kollegen, die in Eisleben streiken, die dort für einen vernünftigen Manteltarifvertrag sind, die es vorher bei Mercer in Arneburg organisiert haben und bei vielen anderen.

Ich sage in aller Deutlichkeit: Wenn es uns als Politiker nicht gelingt, endlich vernünftige Signale und Zeichen im Kontext dieser Fördermittel zu setzen, dann können wir uns jede Fachkräftewerbung sparen - ganz eindeutig!

(Beifall bei der LINKEN)

Die Menschen gehen dorthin, wo sie gute Arbeits- und Lebensbedingungen haben; nicht dorthin, wo sie in hochproduktiven Betrieben befürchten müssen, weniger Geld, weniger Urlaub und weniger soziale Absicherung zu bekommen. 

Wir brauchen eine aktive Wirtschaftspolitik. Dafür brauchen wir Geld. Dafür muss die Schuldenbremse weg. Wir benötigen klare Rahmenbedingungen und Konditionen, wenn diese Mittel ausgegeben werden, im Interesse der Menschen im Land. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Tagesordnungspunkt 4

Aktuelle Debatte

Für eine aktive Industriepolitik - für gute Arbeits- und Lebensbedingungen in Ostdeutschland

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/3443


Dazu ist eine Zehnminutendebatte vorgesehen; die Redezeit beträgt also zehn Minuten. - Herr Gallert steht schon Gewehr bei Fuß und möchte einführen. Bitte.


Wulf Gallert (DIE LINKE): 

Guten Morgen auch noch einmal von mir, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir drängend dieses Thema ist, das hat bereits die Fragestunde heute Morgen gezeigt; denn wir haben es tatsächlich mit einem zentralen Problem zu tun: Wie kriegen wir die industrielle Entwicklung in Ostdeutschland und die Verbesserungen der Lebensbedingungen, die damit einhergehen, auf die Reihe?

Wir haben es   das überschattet offensichtlich die gesamte Landtagssitzung   mit einem grandiosen Erfolg der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu tun. Sie hat nicht nur erfolgreich gegen die Haushaltspolitik der Ampel geklagt, sondern auch erfolgreich gegen den Landeshaushalt Sachsen-Anhalt, mit dem wir uns gestern beschäftigt haben, 

(Beifall bei der LINKEN) 

und ausdrücklich erfolgreich auch gegen die Mittel für die wirtschaftliche Entwicklung Ostdeutschlands in den nächsten Jahren.

Das haben wir alle registriert und zur Kenntnis genommen. Die einzige, die sich darüber auch noch gefreut hat, war allerdings die CDU-Landtagsfraktion. Man kann hierüber nur staunen. Ich werde sagen, warum man darüber nur staunen kann.

Schauen wir uns diesen erfolgreich beklagten Klima- und Transformationsfonds der Bundesregierung an. Dort waren bis zum Jahr 2027 Mittel in Höhe von 80 Milliarden € dafür geplant, industrielle Projekte voranzubringen. Von den Mitteln in Höhe von 80 Milliarden € sollten sage und schreibe Mittel in Höhe von 50 Milliarden € in Ostdeutschland verwendet werden. Ich sage: Das ist eine ausdrücklich richtige Schwerpunktsetzung gewesen. 

(Zustimmung von Hendrik Lange, DIE LINKE)

Nur jetzt, nachdem die Mittel in Höhe von 60 Milliarden € zur Disposition stehen, ist diese Schwerpunktsetzung, und zwar massiv, infrage gestellt. Ich sage ausdrücklich: Sie ist bitter nötig. 

Allein Sachsen-Anhalt hat im ersten Halbjahr 2023 einen Einbruch des Bruttoinlandprodukts um mehr als 3 % verzeichnet. Das hat Ursachen, die unmittelbar mit industriepolitischen Entscheidungen zu tun haben.

Schauen wir uns darüber hinaus den Ost-West-Vergleich an. Für eine Vollzeitstelle rechnet man in Westdeutschland mit einem durchschnittlichen Bruttoverdienst in Höhe von 58 000 € im Jahr. Im Osten sind es nach wie vor 45 000 € im Jahr. Was glauben Sie, woher der Frust bei den Menschen kommt? - Er kommt genau aufgrund dieser Differenz zustande, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Woher kommt diese Differenz? - Dafür gibt es zwei Ursachen. Erstens schauen wir uns das ganz einfach einmal im Bereich der Autozulieferindustrie an. Wenn wir uns anschauen, welche Löhne es in unserer kleinteiligen Zulieferindustrie und welche Löhne es in Wolfsburg gibt, dann weiß man bereits sehr viel.

Es gibt ein zweites Problem, nämlich die sehr, sehr geringe Tarifbindung, die wir im Osten im Vergleich zum Westen haben. Ich rede dabei nicht so sehr über die Arbeitnehmer. Nein, ich rede über die Unternehmen, die in den meisten Fällen, wenn sie eine Tarifbindung haben, nur Haustarife haben.

All diese Dinge, die jetzt praktisch mit einer solchen Strategie in Angriff genommen werden könnten, stehen wegen der Schuldenbremse dezidiert infrage. Ich muss ganz klar sagen: Es waren nicht alle in der CDU, die das nicht geahnt und davor gewarnt hätten.

Der Ministerpräsident unseres Landes Herr Haseloff hat bereits im November 2022 im Bundestag dafür plädiert, eine Notlage auf der Bundesebene für die Haushaltsjahre 2023 und möglicherweise auch für 2024 zu erklären. Denn er hat genau das kommen sehen.

Das Problem ist nur: Wen hat er nicht überzeugen können? - Seine eigene Bundestagsfraktion, die genau in die entgegengesetzte Richtung gegangen ist und die damit, zusammen mit der katastrophalen Haushaltspolitik der Ampel, all diese Dinge infrage gestellt hat. Das ist ein Skandal, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Zustimmung bei der LINKEN - Zuruf von Alexander Räuscher, CDU)

Jetzt schauen wir uns an, welche Folgen wir für das Land Sachsen-Anhalt haben. - Herr Räuscher, ich komme gleich noch einmal zu den Bundesverfassungsgerichtsurteilen und dazu, wer in dieser Bundesrepublik Bundesverfassungsgerichtsurteile akzeptiert und wer nicht. Warten Sie einmal ab.

Was sind die Folgen dieses Gerichtsurteils für Sachsen-Anhalt? - Zunächst das zentrale Megathema Intel. Ich finde es super, wie das alles wieder passiert. Alle Beteiligten und Nichtbeteiligten garantieren, dass Intel kommen wird. Keiner von denjenigen, die diese Garantien ausgesprochen haben, weiß, wie die Subventionsmittel in Höhe von 3 Milliarden €, die durch dieses Urteil infrage gestellt worden sind, finanziert werden sollen. Bei der Untersetzung von Mitteln in Höhe von 700 Millionen € ist man bereits vorangekommen. Die Herkunft der Mittel in Höhe von 2,3 Milliarden € steht noch immer in den Sternen.

Solange die Subventionsmittel in Höhe von 2,3 Milliarden € nicht abgesichert sind, ist das Projekt Intel nicht abgesichert. Man kann ja trotzdem daran glauben. Aber dann geht man bitte auf die andere Seite des Domplatzes. Dort steht eine Kirche. Dort kann man glauben. Hier muss man wissen. Wir wissen es nicht; Intel ist nicht gesichert, solange die Subventionen nicht gesichert sind.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Wir kommen zur nächsten Geschichte. Wir gehen von der Bundeseite weg und kommen zu der Landesseite. In den Haushaltsberatungen gibt es eine Last-Minute-Entscheidung der Landesregierung. Sie sagt: Wir übernehmen selbst die Verantwortung für den High-Tech-Park Intel.

Dazu sage ich, Herr Schulze: vollkommen richtig. Das haben wir seit anderthalb Jahren an dieser Stelle gefordert. Das Problem ist nur, dafür müssen wir neue Schulden aufnehmen. Dafür müssen Schulden in Höhe von mehr als 250 Millionen € aufgenommen werden. Wirtschaftlich vollkommen richtig, weil man sie refinanzieren kann, indem man es wieder verkauft. 

Nur, Entschuldigung, die Schuldenbremse im Grundgesetz kennt genau diesen Fall nicht. Sie kennt genau zwei Ausnahmen für Kredite: Sie kennt die Naturkatastrophe und sie kennt die Notlage. Sagen Sie mir bitte: Was ist denn Intel? Ist Intel eine Naturkatastrophe oder eine Notlage? 

(Jörg Bernstein, FDP: Eine finanzielle Transaktion!)

Die Antwort darauf habe ich in diesem Haus bisher noch nicht gehört. Wir sehen an diesem Beispiel, wie bescheuert die Schuldenbremse ist. Sie gehört abgeschafft, weil sie genau zu den falschen Konsequenzen führt.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Gehen wir weiter: Wasserstoffkernnetz - das hat der Minister gerade erläutert. Warum haben wir einen Einbruch des Bruttoinlandsprodukts um 3 % zu verzeichnen? - Die chemische Industrie ist im ersten Halbjahr 2023 um 34 % eingebrochen. Dabei geht es um die Energieversorgung. Die Energieversorgung der Zukunft ist das Wasserstoffkernnetz. Warum haben wir damit ein Problem? - Bundesmittel in Höhe von 110 Millionen € stehen nicht mehr zur Verfügung, zumindest nicht zurzeit. Hier wird die Axt an die Zukunft unserer Industrie gelegt, die dieses Wasserstoffkernnetz braucht.

Kommen wir zu dem nächsten Punkt, dem GRW-Bewilligungsstopp. Natürlich, das ist ein super Erfolg der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Das ist ein super Erfolg der Haushaltspolitik der Ampel. Mittel in Höhe von 50 Millionen € - so kam es aus dem Ministerium - stehen zur Debatte.

Gehen wir weiter zu den Netzentgelten. Im KTF waren Mittel in Höhe von mehr als 5,5 Milliarden € zur Unterstützung der Netzentgelte enthalten. Wenn sie nicht kommen, bedeutet das für jeden durchschnittlichen Haushalt eine jährliche Mehrbelastung in Höhe von 125 €. Für einen mittleren Industriebetrieb, der energieintensiv ist und 50 Beschäftigte hat, bedeutet das eine Zusatzbelastung im sechsstelligen Bereich. 

Das alles sind Dinge, die im Osten stärker wirken als im Westen, und zwar ganz einfach aus einem Grund: Hier sind die Rücklagen geringer. All das ist die Konsequenz dieser Situation. 

Was ist der Ausweg? - Jetzt redet die CDU über die Reduzierung bzw. Nichterhöhung des Bürgergeldes. Super, Kollege Merz! Super, Kollege Linnemann! Super, dass die CDU-geführten Länder ihnen eine rote Karte gezeigt haben.

Denn - ich fange an der Stelle langsam einmal an, an eine Persönlichkeitsspaltung bei der CDU zu glauben  : Zur Angelegenheit des KTF sagt man: Bundesverfassungsgericht   das Urteil. Wir verteidigen die Verfassung. 

Bei der Erhöhung des Bürgergeldes geht es um die Umsetzung eines Bundesverfassungsgerichtsurteils zum Existenzminimum. Was sagt der CDU-Chef? - Mir völlig egal; ich fordere die Bundesregierung auf, das zu ignorieren. Was ist das für eine Doppelmoral, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU?

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von Alexander Räuscher, CDU)

Ich sage aber auch ganz deutlich: Wir müssen endlich aus dem ideologischen, veralteten Relikt des letzten Jahrhunderts, der Schuldenbremse, heraus. Wir sehen doch, dass es ein massiver Fehler ist. Deswegen gibt es auch hierbei nicht die Möglichkeit der Korrektur. Wer die Industrieentwicklung im Osten haben will, der muss sich von der Schuldenbremse verabschieden, liebe Kolleginnen und Kollegen, und zwar eindeutig.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN - Zuruf von Jörg Bernstein, FDP)

Wir sagen allerdings auch: Fördermittel allein reichen nicht. Fördermittel allein sind noch lange keine Garantie dafür, dass wir vernünftige Arbeits- und Lebensbedingungen schaffen können. Wir haben damit durchaus traurige Erfahrungen in Sachsen-Anhalt gemacht, nämlich: Wir haben Industriebetriebe, die massiv mit dreistelligen Millionenbeträgen subventioniert worden sind, die hier produzieren, die hier hochproduktiv sind, und die trotzdem Arbeitsverhältnisse haben, als wären sie irgendwo in einer kleinen Billigklitsche; die eben keine vernünftigen Einkommen und Arbeitsverhältnisse garantieren.

(Jörg Bernstein, FDP: Wo denn? - Thomas Staudt, CDU: Wo denn?)

- Das sage ich Ihnen sofort. - Als Erstes zum Glück eine Geschichte aus der Vergangenheit: Eine der größten Investitionsprojekte, die wir im Land hatten, war Mercer in Arneburg. Die Arbeitsverhältnisse in dem produktivsten Zellstoffbetrieb Europas waren über Jahre hinweg so miserabel, dass sie im Lohnbereich überhaupt erst durch den gesetzlichen Mindestlohn gehoben werden konnten. 

Inzwischen haben wir durch den Kampf der Gewerkschaften dort sehr gute Arbeits- und Lebensbedingungen, und zwar mit Blick auf Urlaub, auf entsprechende Einkommen, auf Aspekte der Betreuung innerhalb des Betriebes und der sozialen Standards. Aber das mussten die Menschen sich erkämpfen. Wir hätten es ihnen garantieren können. Denn dieses Investitionsprojekt im Norden ist zu einem großen Teil durch öffentliche Mittel überhaupt erst möglich gemacht worden.

Wir haben im Übrigen genau dieselbe Situation an einer anderen Stelle, und zwar bei Aryzta in Eisleben. Das ist eine der hochproduktivsten Anlagen im Bereich der Lebensmittelindustrie - mit erheblichen Mitteln im dreistelligen Millionenbereich aus der Landeskasse und insgesamt mit öffentlichen Mitteln organsiert.

Trotzdem müssen die Menschen dort für einen Manteltarifvertrag streiken. Sie müssen sich gegen die Geschäftsführung wehren, weil sie ansonsten viel, viel weniger Urlaub, viel, viel weniger Geld, viel, viel weniger Ausgleich für Nachtschichten und Ähnliches bekommen als ihre Kollegen in Bayern oder Baden-Württemberg, die im Übrigen in Betrieben arbeiten, die nicht so produktiv sind wie der in Eisleben.

Das bedeutet: Wir als Politiker haben die Aufgabe, nicht nur Fördermittel zu geben, sondern mit ihnen auch zu garantieren, dass vernünftigen Arbeitsbedingungen zu herrschen haben. Wenn ich auf Intel schaue, sage ich ganz klar: Wir stellen Steuermittel in Höhe von 10 Milliarden € zur Verfügung, aber - das sage ich in aller Deutlichkeit - diese Mittel in Höhe von 10 Milliarden € sind faktisch nicht gebunden.

Im Übrigen macht Präsident Biden das in den USA deutlich cleverer. Dort ist im Inflationsbekämpfungsgesetz ganz klar festgelegt, welche Garantien es für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Lohnbereich geben soll, welche Garantien es für die Kommunen geben soll, in denen diese Dinge umgesetzt werden. 

Hier passiert das alles ganz offensichtlich nicht oder wir wissen es nicht, weil der Bund die Mittel zur Verfügung stellt. Ich hoffe nur inständig, dass diese Mittel auch daran gebunden sind, dass - im Übrigen auch für die Contractors und alle diejenigen, die hinzukommen - vernünftige Rahmenbedingungen, vernünftige Arbeits- und Lebensbedingungen sichergestellt werden. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Das hat man bei Tesla auch gedacht. Wir sehen inzwischen, dass es an dieser Stelle eben genau nicht garantiert ist.

Wir unterstützen ganz eindeutig diejenigen, die diese Fehler von Landes- und Bundespolitik bisher ausbaden. Das sind z. B. die Kolleginnen und Kollegen, die in Eisleben streiken, die dort für einen vernünftigen Manteltarifvertrag sind, die es vorher bei Mercer in Arneburg organisiert haben und bei vielen anderen.

Ich sage in aller Deutlichkeit: Wenn es uns als Politiker nicht gelingt, endlich vernünftige Signale und Zeichen im Kontext dieser Fördermittel zu setzen, dann können wir uns jede Fachkräftewerbung sparen - ganz eindeutig!

(Beifall bei der LINKEN)

Die Menschen gehen dorthin, wo sie gute Arbeits- und Lebensbedingungen haben; nicht dorthin, wo sie in hochproduktiven Betrieben befürchten müssen, weniger Geld, weniger Urlaub und weniger soziale Absicherung zu bekommen. 

Wir brauchen eine aktive Wirtschaftspolitik. Dafür brauchen wir Geld. Dafür muss die Schuldenbremse weg. Wir benötigen klare Rahmenbedingungen und Konditionen, wenn diese Mittel ausgegeben werden, im Interesse der Menschen im Land. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN)