Carsten Borchert (CDU):

Vielen Dank, Herr Präsident. Ich sage jetzt nichts dazu. - Sehr geehrte Damen und Herren! Mein Vorredner hat einige Worte zu dem Thema gesagt. Der Antrag der Koalitionsfraktionen scheint ähnlich zu sein, ist aber anders. Ich werde versuchen, Ihnen das in den nächsten Minuten zu erklären. Es ist nicht einfach, deshalb bitte ich Sie um Aufmerksamkeit. 

Die Bundesjugendspiele kennt jeder, denn jeder hat sie in der Schule erlebt - das behaupte ich einmal. Das ist eine Veranstaltung, die auf Beschluss der Kultusministerkonferenz seit dem Jahr 1979 als verpflichtend eingeführt worden ist. Das ist eine lange Zeit her.

Interessanterweise ist es gar kein Sportthema, sondern eigentlich ein Thema im Bereich der bildungspolitischen Sprecher. Es ist im Bereich der Bildung ansässig und nicht im Bereich des Sports. Das kann man aber nicht trennen. Darüber staune ich auch des Öfteren, wie wir über Sport und Schule, dann wieder über Sport für sich allein und dann wieder mit Schule zusammen genommen sprechen. „Jugend trainiert für Olympia“ ist ein gutes Beispiel, das zeigt, wie sich die Bereiche überlappen. Das könnte man vielleicht irgendwann einmal klären, ob es das eine oder das andere ist.

Wie ging es dann weiter? - Im Jahr 1991 wurde ein entscheidender Schritt gemacht, der im Jahr 1979 so noch nicht bestand - hören Sie bitte genau zu. Im Jahr 1979 hat man die Ehren- und Siegerurkunden eingeführt. Das war der erste Punkt. Irgendwann hat man gemerkt: Das ist nicht das Richtige. Im Jahr 1991 wurden die Teilnehmerurkunden eingeführt. 

Spätestens ab diesem Zeitpunkt, meine Damen und Herren, haben die Bundesjugendspiele eine Form von Wettkampfcharakter erreicht, die einzigartig ist. Denn jeder Schüler ist ein Gewinner. Darum geht es uns heute. Es geht uns nicht darum, dass wir die Leistungsgesellschaft erklären möchten. 

Es geht uns darum, aufzuzeigen, warum wir möchten, dass die Bundesjugendspiele wieder für die Grundschule - das ist ja in diesem Jahr ausgesetzt worden - dieselbe Bedeutung erhalten, wie sie sie für die oberen Klassenstufen, die noch in diesem System sind, hat: Ein Erfolgserlebnis der besonderen Art, das es für unsportliche Kinder eigentlich gar nicht gibt. Doch, das gibt es wirklich. 

Kritiker der Bundesjugendspiele sagen, dass diese für die Motivation unsportlicher Kinder kontraproduktiv seien. Denn durch eine schriftlich bestätigte schlechte Leistung würden körperlich schwächere Schüler zum Sport eher demotiviert als ermutigt werden. Wer das geschrieben bzw. dafür verantwortlich ist, hat keine Ahnung von den Bundesjugendspielen.

Denn jeder Schüler, der an dem Dreikampf - den Sie alle kennen, mehr oder weniger positiv; das kann ich nicht beurteilen - teilnimmt, bekommt seit dem Jahr 1991 eine Teilnehmerurkunde. In dem Moment ist es für die Kinder, welche unsportlich sind, bereits ein Erfolg, wenn sie sagen können: Ich habe diesen Dreikampf bestanden. Für mich ist es nicht wichtig, ob Müller, Meier, Schulz schneller oder langsamer waren. Ich bekomme das erste Mal im Leben eine Urkunde für Sport, obwohl ich überhaupt kein Sportler bin. 

Das haben wir unseren Kindern jetzt genommen, weil wir die in Berlin getroffene Festlegung, dass das in der Grundschule nicht mehr möglich sein soll, akzeptieren müssen, sollen, dürfen. Das ist falsch. Ich hoffe, Sie verstehen, was ich damit meine.

Das System, das mein Vorredner bereits erklärt hat - ich muss das mit den 20 % oder 30 %, 50 % usw. nicht wiederholen     Stellen Sie sich eine vierte Klasse vor. Es ist ja teilweise so, dass manchmal drei Jahre Altersunterschied in einer Klassenstufe bestehen; zwei Jahre sind dabei fast die Regel. Die Schuleingangsphase: ein Jahr mehr. Ist man sitzengeblieben, dann wiederholt man die vierte Klasse; ist man nicht sitzengeblieben, ist man in der vierten Klasse. Der Jüngste ist zehn, der Älteste zwölf Jahre alt. 

So, wie es gegenwärtig ist, müssten diese Schüler alle gegeneinander laufen. Die davon besten 20 % bekommen eine Ehrenurkunde. Ich bin ein lieber, netter Schüler; ich bin nicht einmal zurückgestellt worden: Ich habe ja gar keine Chance gegen die anderen, die zwei Jahre älter sind als ich. Denn ich kann nie unter den ersten 20 % sein, wenn in meiner Klasse Schüler sind, die älter sind, weil sie bisher länger als ich zur Schule gegangen sind. Das ist nicht schlimm. 

Aber mit Blick auf die Art Bedingungen, die nun gestellt werden, ist es kontraproduktiv. So werde ich niemals die Urkunde bekommen. Denn diejenigen, die älter sind, sind vor mir und sie kommen unter die ersten 20 %. Das habe ich dann verinnerlicht; ich denke, das ist so richtig. 

Wenn ich Kinder zum Sport bringen will, dann muss ich ihnen nicht erklären, dass das ein Wettkampf gegen andere ist - die Bundesjugendspiele können das  , sondern dass es ein Wettkampf gegen mich selbst ist. Es ist nicht entscheidend, ob ich der Erste bin, sondern entscheidend ist, dass ich durchhalte, mich herantraue, es ausprobiere. In der Grundschule wird nun den Kindern diese Möglichkeit genommen.

Diejenigen, die das in Berlin festgelegt haben, scheinen keine Ahnung davon zu haben, was Lehrer für Möglichkeiten haben, um pädagogisch darauf einzuwirken, dass diese Wettkampfform so genutzt wird, wie ich sie Ihnen jetzt gerade versucht habe zu erklären. Das ist entscheidend. Dafür ist natürlich jeder Lehrer - das ist wie in der Politik; jeder redet anders, jeder hat andere Argumente - dann verantwortlich, es entsprechend umzusetzen.

Ich denke, das ist Grund genug, zu sagen: Wir in Sachsen-Anhalt möchten und fordern, dass der alte Charakter für die Grundschulen wieder hergestellt werden soll, damit die Lehrer an den Schulen selbst die Möglichkeit haben, zu entscheiden, wie sie es durchführen oder wie sie es nicht durchführen.

Ich hoffe, ich habe Ihnen mit den kurzen Ausführungen erklären können, warum wir diesen Antrag gestellt haben; warum es auch wichtig ist. Es ist sicherlich nicht lebensentscheidend, aber in diesem Bereich ist es doch ganz wichtig. 

Denn mir oder uns als CDU ist es wichtiger, dass viele Kinder im Wald langsam laufen - nicht weil sie irgendetwas gewinnen, sondern weil sie sich selbst bestätigen möchten, weil sie gesund bleiben sollen  , als dass wir sie in dem Moment unter Druck setzen: Du musst gegen den anderen gewinnen. Nein, du musst gegen dich selbst gewinnen. Das ist entscheidend. 

Mehr muss man zu diesem Antrag, glaube ich, gar nicht sagen. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und ich hoffe, dass Sie unserem Antrag zustimmen. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der CDU, von Dr. Falko Grube, SPD, und von Jörg Bernstein, FDP)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Herr Borchert, es gibt noch eine Intervention des Kollegen Striegel. - Bitte, Herr Striegel, Sie haben das Wort.


Sebastian Striegel (GRÜNE):

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Borchert! Ich möchte, damit es sich nicht falsch festsetzt, darüber informieren: Es gibt weiterhin Urkunden für alle Teilnehmer der Bundesjugendspiele. Sie können es auf der Seite der Bundesjugendspiele nachlesen. Dort können Sie tatsächlich für alle, ob für die Teilnehmer, ob für die erfolgreichen Schüler, welcher Klassenstufe auch immer, Urkunden bestellen. Sie können sie auch weiterhin allen aushändigen. Das ist schlicht eine Falschinformation, die Sie an dieser Stelle verbreitet haben.


Carsten Borchert (CDU):

Darf ich dazu etwas sagen?


Vizepräsident Wulf Gallert:

Natürlich dürfen Sie darauf reagieren.


Carsten Borchert (CDU):

Herr Striegel, ich habe das 20 Jahre selbst gemacht; meinen Sie, ich bin blöd? 

(Matthias Büttner, Staßfurt, AfD, lacht - Sebastian Striegel, GRÜNE: Aber Sie sind offensichtlich raus aus der aktuellen Entwicklung!)

- Das weiß ich selbst, das es so ist.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Ich habe nicht erklärt, dass es die Urkunden nicht gibt. Ich habe erklärt, dass der Sinn der Bundesjugendspiele, mit dem System, für den Kopf der Kinder wichtig ist. Die Urkunden habe ich nicht infrage gestellt.

Wenn ich das noch ergänzen darf: Wenn ich es mit den Urkunden - die nicht infrage standen - so weiterführe, wie es bisher der Fall gewesen war, dann sieht das Kind: Auch in diesem Jahr habe ich 1 200 Punkte erreicht, im nächsten Jahr erreiche ich 1 400 Punkte.

(Zuruf von Sebastian Striegel, GRÜNE)

Denn die gleiche Leistung bringt immer die gleiche Punktzahl, aber das Kind wird ja immer älter, schneller und besser. 

Wenn Sie das alles besser wissen, dann schreiben Sie das nächste Mal den entsprechenden Antrag.

(Zustimmung von Alexander Räuscher, CDU)