Monika Hohmann (DIE LINKE): 

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu Beginn habe ich eine Frage, und zwar an die CDU-Fraktion.

(Markus Kurze, CDU: Was? Wir waren noch gar nicht dran!)

Als ich heute Morgen in der Zeitung las, dass sich die CDU für das Bürgergeld einsetzen will und dass sie das Bürgergeld reformieren möchte, habe ich vor Schreck gedacht, ich hätte irgendetwas vergessen oder übersehen, einen Antrag oder irgendetwas. Vielleicht können wir das nachher besprechen, was damit gemeint gewesen ist.

(Sven Rosomkiewicz, CDU: Gegen! - Hendrik Lange, DIE LINKE: Man soll nicht alles glauben, was in der Werbung steht! - Zuruf von der CDU: „Bild“-Zeitung! - Weitere Zurufe)

Das war für mich schon irgendwie ein bisschen erklärungsbedürftig.

Es ist nun mittlerweile ein Jahr her, dass wir das Thema Bürgergeld hier im Landtag behandelt und darüber diskutiert haben. Schon damals verliefen die zwei Debatten vonseiten der AfD-Fraktion wenig konstruktiv und auf eine Art und Weise, welche arme Menschen nicht mehr hätte erniedrigen, stigmatisieren und diffamieren können. 

Die AfD-Fraktion hat für heute eine Aktuelle Debatte beantragt, um polemisch gegen Bürgergeldbezieherinnen, aber insbesondere auch gegen Ausländer zu hetzen, um eine Verteilungsdebatte mit jenen zu führen, die am Ende schon nicht viel haben, und propagiert das nochmalige Anlegen der Axt am Sozialstaat. 

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Traurige ist, dass die AfD nicht einmal einen Hehl daraus macht und tatsächlich auch den Zusammenhang mit dem Niedriglohnsektor anspricht. Wie wäre es denn, nicht gegen die Bürgergelderhöhung zu wettern, die in der aktuellen Zeit für die Bezieherinnen mehr als notwendig ist, sondern sich vielleicht für die Abschaffung des Niedriglohnsektors 

(Zustimmung bei der LINKEN)

oder für einen armutsfesten Mindestlohn in Höhe von 14 € pro Stunde einzusetzen, statt die soziale Unsicherheit voranzutreiben und damit Arbeiterinnen von heute in die Altersarmut von morgen zu treiben?

(Beifall bei der LINKEN)

Schauen wir es uns einmal genauer an. Ein Argumentationsstrang der AfD-Fraktion soll zeigen, dass im Niedriglohnsektor aufgrund der Bürgergelderhöhung eine Kündigungswelle im Bereich Gebäudereinigung stattfindet. Dann wird der Bogen zu Sachsen-Anhalt geschlagen, da Sachsen-Anhalt mit 18,6 % den höchsten Anteil an Beschäftigungsverhältnissen mit Mindestlohnverdienst aufweist. Diese Aussage wird mit Quellen des Statistischen Bundesamts sowie mit einem Artikel des „Karlsruher Insiders“ - ich musste erst einmal nachgucken, was das ist; also auch für mich ein sehr fragwürdiges Blatt - unterlegt. 

Ja, in den angegebenen Quellen lassen sich diese Informationen finden, aber in beiden verwendeten Quellen stand noch mehr, was uns die AfD-Fraktion hier verschwieg. So gibt das Statistische Bundesamt an, dass von der Mindestlohnerhöhung auf 12 € pro Stunde im Oktober 2022 insbesondere Ostdeutsche und Frauen profitiert haben. Folglich sind diese besonders oft vom Mindestlohn betroffen. Des Weiteren steht neben der bürgergeldbedingten Kündigungswelle à la AfD weiter unten im Text dieses „Karlsruher Insiders“, dass der Lohn in der Reinigungsbranche zum Jahreswechsel auf 13,50 € pro Stunde erhöht und somit die Lage teilweise verbessert wurde und somit weniger Kündigungen zu befürchten sind.

Demnach zeigt schon ein kleiner Blick in die angegebenen Quellen eine andere Kausalität. Also sollten wir das Thema auf einer anderen Ebene behandeln und nicht so, wie sich die AfD ihre Argumentation zurechtlegt. 

Erst einmal gilt es festzustellen - das haben meine beiden Vorrednerinnen auch gesagt  , dass viele Arbeitnehmerinnen im Niedriglohnsektor - hierzu zählen bspw. Verkäuferinnen, Reinigungskräfte oder auch Lagerarbeiterinnen - unsere Wirtschaft und Gesellschaft am Laufen halten, wofür wir diesen unseren Dank auszusprechen haben. 

(Zustimmung bei der LINKEN und von Dr. Katja Pähle, SPD)

Doch Applaus und warme Worte helfen einfach nicht in der Realität. Diese Berufsverhältnisse gehören unter anderem zu den 5,8 Millionen Jobs, die von der Mindestlohnerhöhung auf 12 € pro Stunde am 1. Oktober 2022 profitierten. Das zeigt uns, dass vor der Mindestlohnerhöhung ein Anteil von 14,8 % aller Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland rechnerisch bei einem Stundenlohn von unterhalb 12 € lag.

Dass Sachsen-Anhalt einen überdurchschnittlichen Anteil und im Vergleich mit den anderen Bundesländern den höchsten Anteil von Menschen hat, die nur auf dem Mindestlohnniveau verdienen, ist natürlich ein ernsthaftes Problem. Schon im Jahr 2022 lag die Niedriglohngrenze bei einem Bruttoverdienst von 12,50 € pro Stunde. Demnach wird alles, was unter diesen 12,50 € liegt, als Niedriglohn eingestuft. Dementsprechend entfällt ein Anteil von 18,6% der Beschäftigungsverhältnisse in Sachsen-Anhalt auf den Mindestlohnbereich unterhalb der Niedriglohngrenze. Das aktuelle Mindestlohnniveau schützt also nicht vor Armut. Es ist ein Mindestlohnniveau in Höhe von 14 € pro Stunde notwendig, 

(Guido Kosmehl, FDP: Oh!)

um den Menschen in Sachsen-Anhalt eine armutsfeste Zukunft zu gewähren.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wen betrifft das und wer sind die arbeitstätigen Menschen im Niedriglohnsektor? - Es betrifft am häufigsten Frauen, Erwerbstätige in einem Alter unter 25 Jahren und Beschäftigte im Alter von 65 Jahren und darüber. Es sind Menschen, die unter anderem aufgrund von Care-Arbeiten, Altersarmut, Ausbildung oder aus gesundheitlichen Gründen in Teilzeit oder geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen tätig sind. Zudem zeigt sich auch, dass besonders häufig Menschen ohne beruflichen Ausbildungsabschluss im Niedriglohnsektor arbeiten. 

Wenn man bedenkt, dass in Sachsen-Anhalt im Jahr 2022  2 070 Schülerinnen und Schüler die Schule ohne Abschluss verließen, dann gibt das Anlass zur Sorge. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass unter diesen Voraussetzungen deren Weg in den Niedriglohnsektor führt und dass somit die Armutsgefährdung im Land steigt. Um das Problem hier anzugehen, hat meine Fraktion bereits mehrere Anträge eingebracht. Ich erinnere nur an zwei Stichworte: „Ausbildungsumlage“ sowie „Praktikumsprämie für Schülerinnen und Schüler“.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Auch wenn die AfD immer wieder das Bild bedient, dass sich alle Bürgergeldbezieherinnen auf den ergiebigen Sozialleistungen ausruhten, entspricht das nicht der Realität.

(Ulrich Siegmund, AfD: Das machen wir nie! Das stimmt doch gar nicht!)

Schon vor der Reform des SGB II im Jahr 2022 waren ca. 50 % der Regelleistungsberechtigten Aufstockerinnen und nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte, also Kinder und Jugendliche in einem Alter unter 15 Jahren. Dieses Bild hat sich im vergangenen Jahr nur wenig verändert.

Die Veröffentlichung der Bundesagentur für Arbeit aus dem März 2023 zeigt eines ganz deutlich: Knapp drei Fünftel der Bürgergeldberechtigten beziehen Leistungen, ohne arbeitslos zu sein. Das sind 2,3 Millionen der 2,9 Millionen erwerbsfähigen Regelleistungsberechtigten, die täglich arbeiten gehen und dennoch auf Bürgergeldaufstockung angewiesen sind. Hierzu gehören hauptsächlich Alleinerziehende.

Sehr geehrte Damen und Herren! Bei immer mehr Rentnerinnen und Rentnern in Sachsen-Anhalt reicht die Rente nicht. Im März 2022 haben 7 865 Menschen Grundsicherung im Alter erhalten. Das sind rund 1 400 mehr als noch vor einem Jahr. Ein Jahr später, also im März 2023 sind es bereits 10 260 Menschen. Das entspricht einem Anstieg um rund 30 %, wie aus den Zahlen des Statistischen Bundesamtes hervorgeht, Tendenz steigend. Ebenfalls können viele Bewohnerinnen und Bewohner in Pflegeeinrichtungen ihren Eigenanteil an den Pflegekosten nicht mehr bezahlen und sind auf Sozialhilfe angewiesen.

Warum erzähle ich Ihnen das? - All diese Menschen profitieren ab dem nächsten Jahr von der Erhöhung des Bürgergeldes; denn an die Höhe des Bürgergeldes ist auch die Höhe der Sozialhilfe gekoppelt. Wenn also die AfD meint, das Bürgergeld ist zu hoch, dann ist sie auch der Meinung, dass die Sozialhilfe, also die Grundsicherung im Alter, zu hoch ist. 

(Unruhe bei der AfD - Lothar Waehler, AfD: Unsinn! - Weitere Zurufe von der AfD)

Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, erklären Sie den Tausenden von Rentnerinnen und Rentnern, die jahrzehntelang gearbeitet haben und jetzt mit einer geringen Rente unterhalb des Grundsicherungsniveaus auskommen müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Sehr geehrte Damen und Herren! Auch wenn die AfD hier wieder so tut, als sei sie an den Belangen der einfachen Arbeitnehmerinnenschaft interessiert,

(Zuruf von der AfD: Mehr als Sie!)

zeigen die Debatte und Ihr Einbringungstext nur wieder, dass Sie mit billiger Polemik gegen Bürgergeldempfängerinnen, insbesondere Ausländerinnen hetzen.

(Zustimmung von Felix Zietmann, AfD)

Sonst hätten Sie sich heute nicht gegen die Bürgergelderhöhung der mehrheitlich arbeitstätigen Leistungsberechtigten ausgesprochen, sondern für lösungsorientierte und armutsfeste Löhne, für Bildung für alle und vor allem für Arbeitszeitmodelle ausgesprochen, welche gerade für arbeitstätige Frauen wichtig sind. Aber nichts, aber auch gar nichts davon habe ich von Ihnen gehört. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN - Ulrich Siegmund, AfD: Sie verstehen das doch gar nicht! - Zuruf von Lothar Waehler, AfD)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Frau Hohmann, es gibt eine Intervention.

(Monika Hohmann, DIE LINKE: Die kann er gern machen!)

Herr Lizureck, bitte.


Frank Otto Lizureck (AfD):

Ich möchte hier einmal eines klarstellen: Wir als AfD kommen alle irgendwo aus dem Berufsleben und haben nicht vergessen, woher das Geld kommt, nämlich durch Arbeit.

(Ulrich Siegmund, AfD: Jawohl! - Dr. Katja Pähle, SPD: Ja!)

Eines darf man nicht vergessen: Wir können die Mindestlöhne anheben, wir können mehr Bürgergeld beantragen bzw. bewilligen. Aber mehr Geld ohne Steigerung der Effektivität bewirkt nur eines: die Inflation anheizen. Letztlich bewegen wir uns hier in einem Kreis und kommen immer wieder an dem Punkt an, dass wir quasi noch mehr Geld zahlen müssen und noch mehr Geld zahlen müssen und noch mehr Geld zahlen müssen.

Die Lösung des Problems ist einfach eine andere Politik. Wir müssen unsere Politik wieder auf wirtschaftlich gesunde Füße stellen. Wir befinden uns jetzt auf dem Stand der Industrieproduktion von 2004. Das sollte uns doch einmal zu denken geben, ob es hierzu nicht einen dringenden Handlungsbedarf gibt. - Danke.

(Beifall bei der AfD)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Frau Hohmann möchte nicht antworten, 

(Zuruf von der AfD: Kann sie nicht!)

sonst stünde sie hier vorn.