Tobias Krull (CDU): 

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren des Hohen Hauses! Heute vor 85 Jahren brannten in Deutschland Synagogen, wurden Geschäfte von jüdischen Mitbürgern geplündert und zerstört und Tausende Menschen unschuldig festgenommen.

Es war ein grausamer Schritt auf dem Weg, der schließlich im Holocaust, der Schoah, endete. Mehr als 6 Millionen Menschen, Kinder, Frauen und Männer, wurden von den Nationalsozialisten ermordet, weil sie jüdischen Glaubens waren. Diese Morde fanden aber nicht nur in den Vernichtungslagern statt, sondern im gesamten Bereich des sogenannten Dritten Reiches. Auch in Magdeburg-Rothensee gab es ein KZ-Außenlager, in dem Menschen durch unmenschliche Arbeitsbedingungen unter widrigsten Umständen ermordet wurden.

Die Ausgrenzung der jüdischen Deutschen hatte aber schon viel früher begonnen. Ihnen wurden die Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit, der Besuch von Bildungseinrichtungen, von kulturellen Angeboten oder sportlichen Ereignissen verboten. Sie sollten nicht nur sprichwörtlich aus der Gesellschaft und aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwinden.

Und das gehört zur Wahrheit dazu: Viele Menschen haben damals diese Methoden direkt oder indirekt gestützt, auch weil das Gift des Antisemitismus schon lange in Deutschland, aber nicht nur in Deutschland, seine schreckliche Wirkung entfaltet hatte. Ich könnte wohl Stunden damit verbringen, über die zahlreichen Pogrome, Vertreibungen, Gewalt und Verbrechen zu berichten, denen jüdische Menschen in Europa, auch auf dem Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalts, zum Opfer fielen. 

Was müssen wir also tun, um Antisemitismus, egal in welcher Form, zu bekämpfen? Als Erstes brauchen wir eine Erinnerungskultur, die die Erinnerung in die Opfer der Schoah lebendig hält, und zwar nicht nur in einer ritualisierten Form wie zum internationalen Gedenktag oder am 9. November.

Es bedarf auch der Erinnerung im Alltag, wie bspw. mit den sogenannten Stolpersteinen. Mehrere Hundert davon wurden in Magdeburg inzwischen am letzten frei gewählten Wohnort der Opfer verlegt. Sie wurden alle durch Spenden finanziert. Viele erinnern an Jüdinnen und Juden, die ermordet wurden. Vor Kurzem erfolgte eine Verlegung in Erinnerung an Alwine Krone, geboren im Jahr 1887. Im Jahr 1942 wurde sie nach Theresienstadt deportiert und dort im Februar 1943 ermordet. Diesen Stein habe ich selbst gespendet. 

Unsere Schülerinnen und Schüler sollten nicht nur im Unterricht dieses Geschichtswissen vermittelt bekommen, sondern auch entsprechende Gedenkstätten besuchen. Während Mitglieder von Parteien, die hier im Hohen Haus vertreten sind, von der Notwendigkeit einer 180-Grad-Wende bei der Erinnerungskultur und von einem Denkmal der Schande, wenn das Holocaust-Mahnmal in Berlin gemeint ist, schwadronieren und damit absichtlich zweideutig formulieren und provozieren wollen, 

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP) 

kann ich das nur auf das Schärfste ablehnen. Die Union hat aus der deutschen Geschichte gelernt.

(Oliver Kirchner, AfD: Das ist nun eine ganz billige Sache!) 

Für uns kann es keine Relativierung des Holocaust geben. Die Einsicht, dass dieses Menschheitsverbrechen in seiner Dimension so unfassbar ist, ist sicherlich schmerzhaft, aber mehr als notwendig.

Ein Satz aus einem Gespräch mit einer Holocaustüberlebenden, das ich führen durfte, ist mir besonders im Gedächtnis geblieben: Eure Generation trägt keine Verantwortung für die Verbrechen der Nazis. Aber ihr tragt die Verantwortung dafür, dass so etwas nie wieder passiert.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, muss der Leitsatz unserer Politik zur Bekämpfung und Verhinderung des Antisemitismus sein. 

In Deutschland erleben wir rechtsextremistischen, linksextremistischen und auch muslimischen Antisemitismus, aber auch Antisemitismus aus der Mitte der Gesellschaft heraus. So gibt es immer noch Menschen, die die Protokolle der Weisen von Zion nicht als das erkennen, was sie sind. Sie sind ein Machwerk des damaligen zaristischen Geheimdienstes. Oder denken wir daran, dass bei Protesten gegen die Schutzmaßnahmen gegen die Coronapandemie plötzlich Judensterne und Theorien von einer vermeintlichen jüdischen Weltverschwörung verbreitet wurden. Oder denken wir nur an den Terroranschlag in Halle im Jahr 2019.

Auch Personen des öffentlichen Lebens verbreiten an dieser Stelle gefährliche Unwahrheiten. So behauptet ein bekannter Philosoph, unterstützt vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk, dass es orthodoxen Juden nur gestattet sei, mit Diamantenhandel und im Finanzwesen ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Das ist natürlich blanker Unsinn. Abgesehen von der Tatsache, dass dabei keine Unterscheidung zwischen orthodoxen und ultraorthodoxen Juden stattfindet, arbeiten orthodoxe Jüdinnen und Juden selbstverständlich in jedem Beruf. Und dass im Mittelalter jüdische Menschen häufig in diesen Bereichen tätig waren, lag daran, dass ihnen die Zünfte die Aufnahme aufgrund ihres jüdischen Glaubens verweigerten.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Auch bei Fridays for Future International kann man nur Geschichtsvergessenheit reklamieren - und das ist eine positive Auslegung. Wenn sich Greta Thunberg für antiisraelische Propaganda einspannen lässt, muss man sich wirklich die Frage stellen, ob man sie mit ihrem wichtigen Anliegen des Klimaschutzes tatsächlich noch ernst nehmen kann.

(Beifall bei der CDU)

Die Distanzierung der deutschen Sektion war hierbei das Mindeste. Ich bin froh, dass das auch passiert ist. 

(Zustimmung von Anne-Marie Keding, CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Nachrichten, die uns zu den Terroranschlägen der Hamas am 7. Oktober 2023 erreichten, waren einfach nur schrecklich. Aufgrund persönlicher Verbindungen erhalte ich viele Schilderungen, die deutlich machen, welches menschenverachtende Handeln dort passiert ist, nicht zuletzt mit der Entführung von mehr als 200 Menschen, die sich immer noch in Geiselhaft befinden. Ich verzichte hier ganz bewusst darauf, Einzelheiten zu schildern.

(Zuruf von der AfD: Danke!)

Nur so viel: Wer Babys und Kleinstkinder auf die brutalste Art und Weise, teilweise vor den Augen ihrer Eltern, ermordet, der will keinen Frieden. Der will Angst, Schrecken und Terror verbreiten.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zustimmung von Dr. Katja Pähle, SPD)

Deswegen muss es Solidarität mit Israel geben ohne ein Aber bzw. eine Relativierung. In diesem Sinne ist es für mich unverständlich, dass sich die aktuelle Bundesregierung bei der Abstimmung bei den UN zu diesem Thema der Stimme enthalten hat. Die Nichtanerkennung der Opfer aufseiten Israels in dieser Erklärung hätte aus meiner Sicht zu einer Ablehnung führen müssen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zustimmung von Guido Heuer, CDU)

Auch die Tatsache, dass die Leipziger grüne Stadträtin Nuria Silvestre Israel Kriegsverbrechen vorwirft, ist aus meiner Sicht nicht zu tolerieren. 

Um es noch einmal klarzustellen: Für die CDU-Landtagsfraktion ist jedes zivile Opfer, egal auf welcher Konfliktseite, eines zu viel. Während die israelische Seite viele Maßnahmen ergreift, um die eigene Bevölkerung und auch die Zivilisten in Gaza zu schützen, töten die Terroristen der Hamas und ihre Verbündeten nicht nur gezielt israelische Zivilisten, sondern sie nutzen auch die eigene Zivilbevölkerung als Schutzschild. Ich will es vielleicht mit einem Bild deutlich machen: Israel bringt seine Zivilisten in die Bunker, die Hamas ihre Waffen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn auf den deutschen Straßen Terroranschläge bejubelt und Süßigkeiten verteilt werden, dann ist das unter keinen Umständen zu rechtfertigen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Alle Rechtsmittel sind zu nutzen, um diejenigen, die Antisemitismus verbreiten, mit allen Rechtsmitteln zu verfolgen. Dazu gehört auch die Überprüfung des Aufenthaltsstatus als Flüchtling. Und alle Vereine und Verbände sind aufzulösen, die einen solchen Hass befeuern.

Die deutliche Steigerung antisemitischer Straftaten seit dem 7. Oktober 2023 darf uns nicht ruhen lassen. Ein klares Bekenntnis aller muslimischen Verbände gegen Antisemitismus und für das Existenzrecht Israels ist für mich eine Grundvoraussetzung dafür, dass diese weiter für staatliche Stellen als Ansprechpartner und Projektpartner fungieren können.

Ausdrücklich stelle ich nicht alle Muslime unter den Generalverdacht, judenfeindlich zu sein. Dennoch hätte ich mir einen deutlich stärkeren Aufschrei auch von dieser Seite gewünscht, als bspw. in Berlin, zuletzt auch in erschreckender Weise in Essen, aus diesem Teil der Gesellschaft offen zur Schau gestellter Antisemitismus vernehmbar war. 

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin sehr froh darüber, dass mit vielen Erklärungen und Aktivitäten auch gegen die Verbreitung von sogenannten Fake-News und mit verschiedenen Veranstaltungen wie den Tagen der jüdischen Kultur deutlich gemacht wird, dass jüdisches Leben einfach zu unserer Gesellschaft gehört.

Neubauten wie die Synagogen in Dessau und in Magdeburg sind wichtig. Mindestens ebenso wichtig ist es, dass an jedem Tag deutlich wird, dass Menschen jüdischen Glaubens in unserem Land willkommen sind und dass Deutschland selbstverständlich für sie eine sichere Heimat ist. Das ist der Auftrag unseres Staates. In diesem Sinne begreife ich auch unser Landesprogramm „Jüdisches Leben stärken - Sachsen-Anhalt gegen Antisemitismus“. 

Wir haben heute viele gute Reden gehört. Wir haben eine Rede gehört, mit der ich mich natürlich nicht einverstanden erklären kann. Aber eines ist wichtig: Lassen wir unseren Reden an dieser Stelle auch Taten folgen. Zeigen wir, dass Judentum in Deutschland Vergangenheit, Gegenwart und vor allem auch eines hat: Zukunft.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

In diesem Sinne möchte ich beenden mit dem Satz: Aus Erinnerung erwächst Verantwortung, für heute und für die Zukunft.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Es gibt eine Intervention von Herrn Tillschneider. - Sie haben das Wort.


Dr. Hans-Thomas Tillschneider (AfD): 

Ja, Herr Krull, Sie haben gesagt, Sie wollen verhindern, dass sich nationalsozialistisches Unrecht wiederholt. Geschichte aber wiederholt sich nicht. Und ich bin sehr Oliver Kirchner sehr dankbar dafür, dass er das in seiner Rede herausgestellt hat. Geschichte wiederholt sich nicht. Jede Zeit ist neu, sie steht unter neuen Bedingungen, unter neuen Voraussetzungen. 

(Zurufe) 

Wer gebannt ist vom Unrecht der Vergangenheit und auf dieses Unrecht starrt, der wird blind für das ganz neue Unrecht, das uns die neue Zeit vielleicht bringt.

(Zustimmung bei der AfD - Zuruf von Sebastian Striegel, GRÜNE)


Vizepräsident Wulf Gallert: 

Sie können dann antworten.

(Zuruf: Wahnsinn!)


Tobias Krull (CDU):

Herr Dr. Tillschneider, manchmal frage ich mich, ob unser Bildungssystem in Deutschland so gut ist, dass jemand wie Sie promovieren kann.

(Zuruf von der AfD: Junge, Junge, Junge!) 

Aber das müssen Ihre Doktormütter und Doktorväter entscheiden. 

(Unruhe bei der AfD) 

Ich kann dazu nur sagen: 

(Tobias Rausch, AfD: Das ist so billig und traurig!) 

Natürlich ergeben sich immer wieder neue Situationen.

(Tobias Rausch, AfD: Billig und traurig!) 

Wer aber aus der Vergangenheit nicht lernt 

(Zuruf: Genau!) 

und nicht erkennt, wann es wieder zu Untaten kommen kann, wenn man nicht dagegen wirkt, der hat aus der Geschichte nichts gelernt. 

(Zurufe: Genau! - Unruhe bei der AfD) 

Die Verantwortung, die wir auch hier in diesem Parlament tragen, ist, 

(Unruhe) 

deutlich zu machen, dass sich die Ereignisse von damals nicht wiederholen dürfen, und dass wir alles dafür tun müssen, 

(Unruhe) 

dass überall, wo sich so etwas andeutet, wir als Demokraten dagegenstehen und deutlich machen: Hier sind Grenzen, die nicht zu überschreiten sind. 

(Beifall bei der CDU - Zurufe) 

Das ist eine Voraussetzung, der wir uns alle stellen müssen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zuruf: Wie wahr! - Zuruf von der AfD: Wahnsinn!)