Dr. Katja Pähle (SPD):

Vielen Dank. - Herr Präsident und Hohes Haus! Die folgende Bemerkung schicke ich vorweg: Ich werde nicht auf das von dem Kollegen Herrn Kirchner Gesagte eingehen.

(Beifall bei der AfD)

Ich werde dazu keine Stellung nehmen, ganz einfach deshalb, weil dieses Datum und das Thema der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten,

(Zuruf)

für die ich sehr dankbar bin, es wert sind, sich genau auf dieses Thema zu konzentrieren und sich nicht mit irgendwelchem Unsinn, irgendwelchen Verhetzungen und Hassreden zu beschäftigen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach dem 7. Oktober 2023 war für die Menschen in Israel nichts mehr so wie vorher. Der hinterhältige Angriff der Hamas auf die Zivilbevölkerung, die grausamen Exzesse der Gewalt, die planmäßige Verbreitung von Bildern dieser Untaten durch die Täter und die Verschleppung zahlreicher Geiseln - das war Terror in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes; die Verbreitung von maßlosem Schrecken,

(Zustimmung von Stephen Gerhard Stehli, CDU)

um ein ganzes Volk einzuschüchtern und um es mutlos und wehrlos zu machen.

Der 7. Oktober 2023 zeigt uns einmal mehr: Terror ist nie Befreiungskampf.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU, bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Terrorismus ist fundamental gegen das friedliche Zusammenleben von Menschen gerichtet und vom Völkerrecht zu Recht geächtet. Der 7. Oktober hat erneut eine Dimension der Bedrohung gezeigt, die von gewalttätigem Islamismus ausgeht, und das keineswegs nur im Nahen Osten. Ob Boko Haram in Westafrika, der IS in Syrien und im Irak, die al Qaida-Attentäter vom 11. September, die Hamas im Gazastreifen, die Taliban in Afghanistan und das Mullah-Regime im Iran - bei allen ideologischen Unterschieden verbindet alle diese Gruppen die Gemeinsamkeit, dass sie eine Weltreligion für eine politische Agenda von Hass, Gewalt und Unterdrückung, und zwar auch gegenüber Menschen ihres eigenen Glaubens, instrumentalisieren wollen.

(Juliane Kleemann, SPD, nickt)

Ihre Gewalttat richten sich gegen Demokratie und gegen eine offene, aufgeklärte Gesellschaft. Sie richtet sich gegen Frauen, die selbstbestimmt leben wollen. Sie richtet sich gegen andere Richtungen des Islams und gegen säkulare Muslime. Sie richtet sich gegen Christen, Jesiden und andere religiöse Minderheiten. Vor allem richtet sie sich gegen Jüdinnen und Juden und gegen die Existenz des Staates Israel.

Die abscheulichen Verbrechen gegen israelische Bürgerinnen und Bürger vom 7. Oktober sind die blutige Konsequenz dieser Ideologie. Sie demonstrieren eindrücklich, wie menschenverachtend die Vorstellung ist, dass Israel verschwinden müsse, damit die Palästinenserinnen und Palästinenser eine Zukunft haben. Die Wachsamkeit gegenüber islamistischem Terrorismus bleibt auch über die aktuelle Kriegssituation in Israel und Gaza hinaus eine zentrale Aufgabe der inneren Sicherheit.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! In Halle haben wir in diesem Jahr zum vierten Mal an den Terroranschlag vom 9. Oktober 2019 erinnert. Nur zwei Tage nach den Attacken der Hamas auf Israel lag ein besonders düsterer Schatten über dem Gedenken auf dem Markt - Gedenken an den Angriff auf eine Synagoge und an die beiden brutalen Morde. 

Der Attentäter von Halle - das will ich heute ausdrücklich betonen - war kein Zugewanderter. Er war kein Muslim und kein Palästinenser. Antisemitismus, Judenhass und lupenreiner Terrorismus wächst an dieser Stelle auch in unserer Mitte, und zwar auch unter uns Deutschen, und ist nicht allein ein Problem von Zuwanderern.

(Beifall bei der SPD, bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Wir haben deshalb keine Veranlassung dazu, mit dem Finger auf andere zu zeigen

(Christian Hecht, AfD: Doch, doch!)

und uns vorrangig, so wie an dieser Stelle gerade wieder, mit importiertem Antisemitismus auseinanderzusetzen.

(Zuruf von der AfD: Millionenfach! - Weiterer Zuruf von der AfD)

In Deutschland führt die Linie von einer Jahrhunderte alten Tradition des christlichen Antijudaismus über den rassistisch begründeten Antisemitismus des 19. Jahrhunderts bis zur industriellen Vernichtungspolitik der Nazis. Die Pogrome des 9. November 1938 stehen nicht nur für staatlich geduldeten Naziterror, sondern auch für die Mittäterschaft von vielen aus unserer Gesellschaft. 

Ich möchte auf das Wegsehen und das Brandschatzen, das Mitausrauben und das Mitmachen, als Synagogen und Geschäfte geplündert wurden, oder das Sich-zu-eigen-machen von jüdischem Eigentum im Zuge der Arisierung - bis heute befinden sich in deutschen Museen und Wohnzimmern Kunstwerke und Kulturgegenstände, die ihren jüdischen Besitzerinnen und Besitzern gestohlen worden - hinweisen.

Deshalb: Wenn wir heute sagen, dass wir keine Form von Antisemitismus dulden dürfen, dann richtet sich das an alle in unserer Gesellschaft - ohne Ausnahme.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU, bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus spricht davon, dass Jüdinnen und Juden in Deutschland angesichts der zunehmenden antisemitischen Straftaten und Drohungen heute im Ausnahmezustand leben. Damit können und werden wir uns nicht abfinden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Von Deutschlands erstem frei gewählten Staatsoberhaupt Friedrich Ebert stammt der Satz „Demokratie braucht Demokraten“. Genauso braucht eine Gesellschaft, die den Antisemitismus überwinden will, Menschen, die sich aktiv für ein gleichberechtigtes Zusammenleben aller Menschen stark machen - unabhängig von Herkunft, Religion und Weltanschauung. 

Sachsen-Anhalt hat solche Menschen. Wir können froh sein über jeden und jede Einzelne von ihnen. Es sind die Menschen, die in der DDR jüdisches Gemeindeleben unter schwierigen Bedingungen aufrechterhalten haben, und die, die als Zuwanderer nach 1990 den Mut hatten, neue und größere Gemeinden aufzubauen, und die dem jüdischen Leben in Sachsen-Anhalt wieder einen Platz verschafft haben. Es sind all diejenigen, die dabei mitgeholfen haben, dass in Dessau vor zweieinhalb Wochen eine neue Synagoge eingeweiht werden konnte und dass in Magdeburg eine neue Synagoge entsteht. Ich finde, jeder Baustein für aktives jüdisches Leben in Deutschland ist ein Beleg dafür, dass Hitler nicht gewonnen hat.

(Zustimmung bei der SPD und von Jörg Bernstein, FDP)

Das ist eine gute Nachricht vor allen Dingen für Juden, aber auch für Nichtjuden.

Zu denen, die zum Zusammenleben in unserem Land beitragen, gehören die, die an der Moses-Mendelssohn-Akademie an den jüdischen Anteil an deutscher Kultur und Geschichte erinnern, und die Menschen, die sich in der deutsch-israelischen Gesellschaft für den Austausch zwischen den Völkern engagieren. Dazu gehören die Menschen, die in christlichen, jüdischen und islamischen Gemeinden und in der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit und für religiöse Toleranz einstehen, und alle, die bei LAMSA und ihren Mitgliedsverbänden daran arbeiten, dass Zuwanderer unterschiedlicher Herkunft in Sachsen-Anhalt eng kooperieren und sich in unsere Gesellschaft einbringen.

(Zustimmung bei der SPD)

Bei diesen und allen anderen, die sich in der Zivilgesellschaft für Demokratie, Vielfalt, Weltoffenheit und gegen Antisemitismus engagieren, bedanke ich mich. Ich denke, das tue ich auch im Namen der Mehrheit des Hohen Hauses.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU, bei der LINKEN, bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Leiden hat in Israel und in der ganzen Region nach dem 7. Oktober nicht aufgehört. Menschen überall auf der Welt sorgen sich um die anhaltende Gewalt, um das Risiko weiterer Eskalationen und um eine Ausweitung der Auseinandersetzungen auf andere Länder. Ich will bekräftigen, was die SPD Sachsen-Anhalt bei ihrem Landesparteitag in der vergangenen Woche dazu erklärt hat - ich zitiere  :

„Wir trauern um die israelischen Opfer dieser sinnlosen Gewalt und um die palästinensischen Familien, die unter der gewalttätigen Politik der Hamas leiden. Inmitten dieser Eskalation der Gewalt bekräftigen wir unser Engagement für Frieden und Sicherheit und rufen zu einer sofortigen Deeskalation auf. Es ist unerlässlich, dass wir auf allen Ebenen unsere Bemühungen um friedliche Lösungen verstärken.“

Zugleich unterstreicht der einstimmige Beschluss - ich zitiere weiter  , dass nur mit einer von beiden Seiten getragenen Zweistaatenlösung eine akzeptable und dauerhafte Lösung des Konfliktes ermöglicht und damit auch Sicherheit für Israel erreicht werden kann.

Es tut gut zu sehen, dass sich die internationalen diplomatischen Bemühungen für eine humanitäre Feuerpause verstärken und dass sich insbesondere die USA in ihrer Rolle als stärkster Verbündeter Israels dafür einsetzen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist in diesen Tagen viel und zu Recht von deutscher Staatsräson die Rede. Deutsche Staatsräson ist aber nicht nur die Existenz und Sicherheit Israels, sondern muss vor allem auch die Sicherheit und Freiheit von Jüdinnen und Juden in Deutschland sein. Wir können und wollen die Verantwortung für jüdisches Leben nicht an den Staat Israel delegieren.

(Zustimmung bei der SPD, bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Jüdische Kultur, Traditionen und Religion sind auch Teil der deutschen Kultur, Traditionen und Religionen - nicht nur historisch, sondern auch in Zukunft. Dafür wollen wir einstehen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU, bei der LINKEN, bei der FDP und bei den GRÜNEN)