Tagesordnungspunkt 30

Erste Beratung

Offensive für die Fachkräfteausbildung - Ausbildungsumlage und Prämien für Schülerpraktika jetzt!

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/2804


Einbringerin für die Fraktion DIE LINKE ist Frau Hohmann. - Frau Hohmann, Sie haben das Wort.


Monika Hohmann (DIE LINKE): 

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In den letzten Jahren hat sich der Arbeitsmarkt für die Auszubildenden positiv entwickelt. Für die Schulabgänger*innen standen mehr Ausbildungsstellen zur Verfügung, als es hierfür Bewerber*innen gab. 12 973 gemeldete Ausbildungsstellen waren per Stand am 30. September 2022 in Sachsen-Anhalt zu verzeichnen. Zum gleichen Zeitpunkt schlossen aber nur 10 335 Bewerberinnen einen dualen Ausbildungsvertrag ab.

Aufgrund der demografischen Entwicklung wird die Sicherung von Fachkräften eine zunehmende Herausforderung darstellen. Bis zum Jahr 2040 werden 22,2 % der erwerbsfähigen Fachkräfte in Sachsen-Anhalt in Rente gehen. Sie werden fehlen.

Gleichzeitig verschenken wir aber zu viele Potenziale bereits bei dem Übergang von Schule in Beruf. Es gibt einen zu hohen Anteil junger Menschen ohne Berufsabschluss. Ursachen dafür sind unter anderem regionale berufs- und qualifikationsbezogene Unterschiede zwischen dem Angebot an und der Nachfrage nach Ausbildungsplätzen. Auch das geschlechtsspezifische Berufswahlverhalten spielt eine große Rolle. Denken wir an die typischen Frauen- oder die typischen Männerberufe. Ebenfalls eine Ursache ist die hohe Abbruchquote in der Ausbildung. 

Als weitere Ursache, die vor Jahren nicht denkbar war, mittlerweile aber an der Tagesordnung ist, sind die finanziellen Anreize hinzugekommen. Jugendliche überlegen: Begeben sie sich in eine Ausbildung oder gehen sie sofort in Jobs, also in ein reguläres Arbeitsverhältnis über?

Zunehmend zu verzeichnen ist auch das abnehmende Interesse an der dualen Ausbildung. Wir haben nach wie vor - das haben wir hier im Hohen Haus bereits mehrfach besprochen - einen riesengroßen Anteil sonderpädagogisch geführter Schülerinnen und Schüler. Das heißt also, wenn wir uns die Statistiken anschauen, dann stellen wir jedes Jahr weitere Steigerungen der Zahlen in den Förderschulen für geistig Behinderte oder Lernbehinderte fest. 

Neu ist zudem - das gab es vor Jahren auch noch nicht - der Anstieg der Zahl der sogenannten NEETs. Was sind NEETs? - Das sind die jungen Menschen, die weder in eine Ausbildung gehen noch eine Schule besuchen noch sich in Arbeit befinden. Als ich jüngst beim Jobcenter in Halle war, wurde mir bestätigt, dass viele Jugendliche nicht mehr greifbar sind. In der Gruppe der 15- bis 24-Jährigen lag der Anteil der NEETs im Jahr 2019 bundesweit bei 492 000 Personen. Zwei Jahre später war diese Gruppe schon auf 630 000 Personen angestiegen. Das ist eine durchaus mächtige Zahl; Tendenz steigend. Fachleute sagen deshalb, dass der Anstieg der Zahl der NEETs einen deutlich stärkeren Effekt hat als der demografisch bedingte Rückgang der Schulabgangszahlen.

Ein weiteres Problem - ich habe es angesprochen - ist die Lösungsquote. Im Jahr 2021 wurden in Sachsen-Anhalt 1 269 Ausbildungsverträge bereits innerhalb der Probezeit beendet. Das entspricht einem Anteil von 36,1 %. 

Wenn man sich die Zahlen näher anschaut, dann sieht man, dass bei Schülerinnen, die einen niedrigen Abschluss, also einen Hauptschulabschluss, oder keinen Abschluss, haben gegenüber denjenigen, die einen Realschulabschluss haben, eine höhere Quote zu verzeichnen ist. So lösten z. B. im Jahr 2021  45,7 % der Auszubildenden mit einem Hauptschulabschluss ihren Vertrag. Bei Personen ohne Abschluss waren es 40,4 %. Bei denjenigen, die einen Sekundarabschluss hatten, liegt die Quote bei 29,2 %. Je niedriger also der Abschluss ist, desto wahrscheinlicher ist die Lösung des Vertrages.

Die Betriebsgröße spielt bei der Frage der fachlichen Qualität ebenfalls eine gewisse Rolle. 74 % der befragten Auszubildenden aus kleinen Betrieben - das sind die mit bis zu 20 Beschäftigten - beurteilen die fachliche Qualität als sehr gut oder gut. In Betrieben von 21 bis 500 Mitarbeitern sinkt dieser Anteil, und zwar auf 71 %, während er in Großbetrieben mit mehr als 500 Beschäftigten wieder auf 84 % ansteigt. Dies deutet darauf hin, dass die professionellen Ausbildungsstrukturen in Großbetrieben, aber auch der persönliche Kontakt in kleinen Betrieben hierauf einen gewissen Einfluss haben. 

Sehr geehrte Damen und Herren! Welche Gründe für die Vertragslösungen gibt es? - Hierfür konnte ich im Berufsbildungsbericht des Landes Sachsen-Anhalt verschiedene Gründe finden. So führen z. B. die Auszubildenden aus, dass sie Konflikte mit ihrem Ausbilder oder mit den Vorgesetzten haben, oder sie bemängeln die Qualität der Ausbildung oder sagen, ungünstige Arbeitsbedingungen seien daran schuld, aber auch persönliche und gesundheitliche Gründe sowie - das haben wir mehrfach im Haus gehört - falsche Vorstellungen vom Ausbildungsberuf. 

Vonseiten der Betriebe werden überwiegend mangelnde Ausbildungsleistungen der Auszubildenden, deren mangelnde Motivation oder auch die fehlende Integration in das Betriebsgeschehen sowie falsche Vorstellungen vom angestrebten Beruf als Gründe genannt. Damit sage ich Ihnen nichts Neues. 

Das - in Anführungsstrichen - Perverse bei dieser Geschichte ist: Obwohl viele Betriebe fürchten, ihren Fachkräftebedarf zukünftig nicht mehr decken zu können, denken sie nicht daran, mehr Ausbildungskapazitäten anzubieten. Häufig ist es auch so, dass eine schlechte Erfahrung, die ein Betrieb mit einem Auszubildenden gemacht hat, dafür sorgt, dass die Betriebe sagen, ich bilde zukünftig nicht mehr aus. 

Sehr geehrte Damen und Herren! Der größte Teil der befragten Auszubildenden aus Sachsen-Anhalt hat einen Ausbilder. Das sind knapp 91 %. Normalerweise müsste man sagen, jeder Jugendliche hat eine Ansprechperson, einen Ausbilder, aber 9 % der Auszubildenden haben keinen Ausbilder an der Ausbildungsstelle zur Verfügung. Trotz wiederholter Hinweise auf dieses Problem hat sich die Anzahl der betroffenen Auszubildenden in den letzten Jahren sogar noch erhöht. Um also eine ausreichende Betreuung zu gewährleisten, sollte ein Ausbilder für nicht mehr als acht Auszubildende verantwortlich sein. Auch hierin sehen wir Probleme.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich könnte noch mehr über die Herausforderungen auf dem Ausbildungsmarkt berichten, doch ich denke, wir haben in den letzten Plenarsitzungen Etliches davon gehört. Wir wissen bereits, dass in diesem Zusammenhang mehrere Ursachen eine Rolle spielen. Deshalb plädieren wir in unserem Antrag dafür zu überprüfen, ob in unserem Bundesland eventuell die Möglichkeit besteht, einen Ausbildungsfonds einzurichten. Ich weiß, Bremen hat das mittlerweile, Hamburg auch. Niedersachsen ist in den Koalitionsverträgen auch in dieser Richtung tätig geworden. 

Die Frage ist, was ein solcher Fonds leisten soll. Auf alle Fälle müsste damit eine leistungsfähige Bildungsinfrastruktur finanziert werden. Er könnte den Betrieben Anreize und Hilfestellungen ermöglichen, um die betriebliche Ausbildung zu stärken. Natürlich gehören vor allem auch überbetriebliche Bildungszentren für die Verbundausbildung, die Förderung der Qualifizierung des Ausbildungspersonals und weitere Maßnahmen mit dem Ziel dazu, die Ausbildungsfähigkeit der Betriebe zu erhöhen. Ich weiß, dass momentan auf der Bundesebene das Ausbildungsgarantiegesetz beraten wird und diese Dinge bereits in den Fokus genommen wurden. Das sind nicht nur Überlegungen, die wir haben, sondern diese Überlegungen haben auch die Gewerkschaften bereits angestellt. 

Darüber hinaus sollen Betriebe von dem Fonds profitieren, indem ihnen ein bestimmter Teil der Ausbildungskosten erstattet wird. Hierbei wird ein Teil der Kosten für die Ausbildung angerechnet und auf alle Betriebe verteilt sowie ein Anreiz zu Schaffung von Ausbildungsplätzen gesetzt. 

Ebenfalls empfehlen wir eine wissenschaftliche Studie zur Umsetzung des Ausbildungsunterstützungsfonds und der Umlage in Sachsen-Anhalt. Dabei sollen die Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und Kammern einbezogen werden. Wir setzen auch - das haben wir in der Haushaltsberatung gesagt; wir werden nicht müde, das zu fordern - auf eine Praktikumsvergütung für Schülerinnen und Schüler im Bereich der Sozial-, Erziehungs- und Pflegeberufe. Das, was im Wirtschaftsministerium für das Handwerk machbar ist und zukünftig, wie ich Herrn Schulze verstanden haben, auch für die Landwirtschaft möglich sein soll, müssen wir auch für diesen Bereich ermöglichen; denn hier fehlen die Fachkräfte. 


Vizepräsident Wulf Gallert: 

Frau Hohmann.


Monika Hohmann (DIE LINKE): 

Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. 

(Beifall bei der LINKEN) 


Vizepräsident Wulf Gallert: 

Es gibt zwei Fragen. Die erste ist von Herrn Lieschke, wenn Sie sie zulassen. 


Monika Hohmann (DIE LINKE): 

Mal gucken.


Vizepräsident Wulf Gallert:

Die Redezeit beträgt eine Minute.


Matthias Lieschke (AfD): 

Es ist eine ganz sachliche Frage, und zwar zu dem Ausbildungsunterstützungsfonds. Welches Volumen haben Sie sich vorgestellt, mit dem der Fonds untersetzt werden sollte, damit dies erfolgreich wird? Das würde mich interessieren.


Monika Hohmann (DIE LINKE): 

Wir haben in unserem Antrag die Forderung vorgesehen zu prüfen, ob so etwas möglich ist. Im Rahmen dieser Prüfung sollten wir schauen, wie die Gegebenheiten hier im Land sind. Danach richtet sich, wie viel Geld wir hineinstecken. Wir würden nicht im Vorfeld     Dann würden wir im Vorfeld wieder alles wegnehmen. Wir setzen darauf, dass wir überprüfen lassen, wie die Situation ist, damit wir das so machen können.


Vizepräsident Wulf Gallert: 

Jetzt Herr Keindorf, bitte sehr. Sie haben das Wort-


Thomas Keindorf (CDU): 

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Hohmann, zunächst bin ich Ihnen dankbar, dass Sie in Ihren Ausführungen bestätigt haben, dass der Mindestlohn mitunter ein Hemmnis für die Ausbildung sein kann. Das haben wir als Wirtschaft schon immer zum Ausdruck gebracht.

(Beifall bei der CDU) 

Aber ich habe eine Frage zu diesem Fonds. Ich sage es einmal so: Das, was Sie für das Land fordern, ist schon Bestandteil verschiedener Tarifverträge für einzelne Gewerke. Wie soll mit diesen Berufen umgegangen werden? Wollen Sie das in den Tarifverträgen abschaffen und beim Land integrieren oder kann das jedes Gewerk oder jede Berufsgruppe für sich individuell im Tarifvertrag lösen?


Monika Hohmann (DIE LINKE): 

Ich denke, hierfür könnte Bremen ein gutes Vorbild sein; denn dort hat man es mittlerweile umgesetzt, in Hamburg auch. Wir könnten uns anschauen, wie man es dort gemacht hat. Das gehört, wie gesagt, zu diesem Prüfungsauftrag dazu. 

Wir sind - das muss ich ganz ehrlich sagen - nicht gegen den Mindestlohn, sondern für eine Erhöhung des Mindestlohns. Aber das Problem, das wir momentan haben, ist, dass Schülerinnen und Schüler, wenn sie die Schule verlassen, gleich in ein Arbeitsverhältnis gehen wollen, weil sie dann mehr verdienen, als wenn sie eine Ausbildung absolvieren. Wir müssen schauen, welche Mechanismen an der Stelle greifen. Aber ich lehne nicht pauschal den Mindestlohn ab oder sage, dass dieser zu hoch sei; vielmehr geht es mir genau um diese Zielgruppe. Ich habe in meiner Rede gesagt, die Zahl derer steigt immer mehr. Wir müssen schauen, wie wir es sinnvoll hinbekommen, damit wir die Schülerinnen und Schüler erst einmal in eine Ausbildung bringen. 

Dann kommt das mit den Tarifen, was Sie gesagt haben. Wir haben noch nicht für alle Ausbildungsfelder Tarife, sondern es gibt noch etliche, in denen es keine gibt. Ich denke, an der Stelle haben wir Nachholbedarf. Aber wichtig wäre für uns, dass wir das im Ausschuss bereden. Dann können wir die Kriterien festlegen, auf welchen Prüfauftrag wir uns verständigen wollen. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN)