Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):

Vielen Dank. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Autonomie oder Selbstbestimmung, nicht schaden, Wohlergehen oder Fürsorge und Gerechtigkeit. Das sind die vier medizinethischen Grundprinzipien, nach denen Ärztinnen weltweit Therapieentscheidungen abwägen - insbesondere dann, wenn Fälle ungewöhnlich, ethisch herausfordernd oder besonders sind, insbesondere dann, wenn Medikamente off Label genutzt werden sollen, insbesondere dann, wenn ein Therapieerfolg nicht so einfach aus dem Lehrbuch zu entwickeln ist, insbesondere am Beginn oder am Ende des Lebens oder in besonders vulnerablen Lebensphasen. Immer dann wägen Ärztinnen- und Behandlerinnenteams ab - mit ihrer Expertise, ihrer Erfahrung und ihrem wissenschaftlichen Hintergrund.

Autonomie der Patienten, nicht schaden, Wohlergehen und Gerechtigkeit. Diese vier Prinzipien werden gefüllt und gewogen, um zu schwierigen Entscheidungen zu finden. Das Bauchgefühl oder die Meinung von Personen, auch wenn es sich dabei um Landtagsabgeordnete handelt, ist zum Glück kein Abwägungskriterium für medizinische Entscheidungen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Das sollte es auch nicht sein. Nicht nur dieser Antrag, sondern auch die Geschichte zeigt uns, was passiert, wenn sich populistisch aufgeladene Moral in die Medizinethik einmischt. Und mehr wäre zu diesem Antrag eigentlich nicht zu sagen, nicht hier und auch nicht in einem Ausschuss.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Einige wenige inhaltliche Worte dennoch: Was Sie in Ihrem Antrag als scheinbar modisch assoziierten Transhype benennen, beschreiben seriöse Wissenschaftlerinnen weitaus differenzierter. Zwar ist in den letzten Jahren objektiv - das bestreitet niemand - ein Anstieg der Zahl der Jugendlichen zu beobachten, die mit einer sogenannten Geschlechtsinkongruenz im Jugend- und Erwachsenenalter - ICD-11 - Hilfe, Beratung und Unterstützung suchen. Dies wird aber vor allem mit einer sich verändernden gesellschaftlichen Umgebung verbunden, die durch die Sichtbarkeit von queeren Lebensrealitäten überhaupt erst Worte gibt für das, was mit einem selbst anders ist, die durch gewachsene Toleranz überhaupt erst die Möglichkeit gibt, sich zu outen und die durch neue Behandlungsansätze überhaupt erst Wege aufzeigt, das eigene Geschlecht zu leben, wenn es sich im eigenen Körper falsch anfühlt.

Ähnliche Phänomene waren schon im Bereich der Homosexualität beschrieben worden. Der Begriff der sozialen Ansteckung war schon bei der Zunahme von homosexuellen Outings keine passende Beschreibung. Und er ist für das hier beschriebene Feld schlichtweg nicht anwendbar. Das ist lange widerlegt.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Das von Ihnen angeführte sogenannte ROGD-Syndrom ist kein anerkanntes medizinisches Phänomen. Die Beschreibung dieses Syndroms ist mindestens als hoch umstritten zu betrachten und keinesfalls als gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis. Und selbstverständlich darf und sollte ein solch umstrittener Ansatz keinesfalls Anlass sein, sich politisch in die Behandlung von Minderjährigen einzumischen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Das wäre im Übrigen auch eine unfassbare Anmaßung gegenüber der Fachlichkeit und der Expertise von Behandlerinnen.

(Eva von Angern, DIE LINKE: Ich finde das echt unfassbar!)

Meine Herren, immer wieder halten Sie uns hier im Landtag Stöckchen hin, weil Sie auf die Entfesselung des Kulturkampfes hoffen. Aber, meine Herren, Ihre Stöckchen sind einfach viel zu kurz. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Zurufe: Oh! - Hendrik Lange, DIE LINKE: Hat sie schön gesagt! - Unruhe)