Sebastian Striegel (GRÜNE):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! - Herr Tillschneider, nur die Indemnität schützt Sie an dieser Stelle vor Strafverfolgung. Das muss man sehr deutlich sagen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Oh! bei der AfD)

Was Sie hier an Volksverhetzendem und an Billigung eines Angriffskrieges von sich geben, ist einfach nur noch widerwärtig.

Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Der Flüchtlingsgipfel war ein notwendiger und ein längst überfälliger Schritt. Es war enorm wichtig, dass die Bundesinnenministerin mit den Kommunen, den Ministerpräsident*innen und den Integrationsminister*innen in diesem Jahr alle verantwortlichen staatlichen Stellen in der Flüchtlingspolitik an einen Tisch geholt hat. Denn die Hilferufe aus den Städten, Gemeinden und Landkreisen waren kaum zu überhören.

Sie zeigten, dass wir einen Paradigmenwechsel in der Migrationspolitik brauchen, einen der dafür sorgt, dass Solidarität und Rechtsstaatlichkeit im Fokus stehen. Abschottung, Wegweisen von Verantwortung und Unterfinanzierung der Kommunen - das muss ein Ende haben. Uns ist daher wichtig, dass Bundesregierung, Landesregierungen und Kommunen gemeinsam aktiv werden. Dabei kann ich mich ebenfalls nur Herrn Kosmehl anschließen.

Meine Damen und Herren! Der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine hat Millionen von Menschen unglaubliches Leid gebracht, und nein, nicht nur den Menschen aus der Ostukraine. Rund 9 000 Zivilist*innen sind seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine russischen Angriffen zum Opfer gefallen, darunter mehr als 500 Kinder.

Weitere 15 000 Zivilist*innen wurden verletzt. Hunderttausende Wohnhäuser und kritische Infrastruktur, wie Krankenhäuser, wurden zerstört. Mehr als 8 Millionen Menschen sind laut UNHCR vorläufig als Flüchtlinge in Europa registriert. Allein mehr als eine Million Menschen aus der Ukraine haben Schutz vor Krieg und Gewalt bei uns in Deutschland gesucht und, Gott sei Dank, auch gefunden. Wir sind in der Pflicht, Solidarität zu üben und wir üben sie.

(Beifall bei den GRÜNEN)

In Sachsen-Anhalt bieten wir seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine rund 30 000 Menschen Schutz. In meiner Betreuungsregion, dem Burgenlandkreis, und ganz konkret in der Stadt Zeitz sind es allein mehr als 1 200 Menschen.

Zeitz mit gerade rund 27 000 Einwohnern, eine Stadt, die seit Jahren unter einer schrumpfenden Einwohnerzahl leidet, hat angepackt und sich in einer wirklich herzerwärmenden Art und Weise engagiert und solidarisiert. In Zeitz haben Menschen ein Netzwerk aus zivilgesellschaftlichem Engagement gebildet, indem Kriegsflüchtlinge Halt finden.

Ich will nur ein Beispiel, nur ein einziges Beispiel, aus der Vielzahl an Initiativen nennen, die dort entstanden sind: In einem Kinderzirkus, in dem jeden Tag trainiert wird, vergessen die vielen Kinder den Schrecken und die Bilder des Krieges.

Es ist wichtig, dass wir unseren Nachbarn in Europa vor dem brutalen Krieg Schutz gewähren. Ich bin überzeugt davon, dass dies so schnell nur gelang, weil wir enorme Erleichterungen für die Menschen und auch für unsere Intuitionen geschaffen haben. Dabei ist natürlich die Massenzustrom-Richtlinie der EU zu nennen sowie der Rechtskreiswechsel und die fehlende Wohnsitzverpflichtung.

Der Blick auf die Zahlen zeigt uns: Hier gibt es die große Gruppe der Geflüchteten aus der Ukraine, dort eine weiterhin relativ geringe Zahl an Asylsuchenden. Geflüchtete aus anderen Ländern machten im Jahr 2020 in Sachsen-Anhalt nur ein Fünftel der Anzahl an Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine aus, also rund 6 000 Menschen. Auch dies sind Menschen, die vor Krieg, Verfolgung und Klimakatastrophen geflohen sind und die auf dem Weg zu uns oftmals unvorstellbare Gefahren auf sich genommen haben.

Die aktuellen Überbelastungen in den Gemeinschaftseinrichtungen und insbesondere in den Kommunen haben also zum größeren Teil mit dem Krieg in der Ukraine zu tun. Ich bin daher nicht bereit, einmal mehr über Abschottung und über neue Beschränkungen des Grundrechts auf Asyl zu diskutieren. Es handelt sich dabei um eine Scheindebatte. Restriktionen werden weder zu einem Rückgang von Fluchtursachen führen, noch zu einem Rückgang der Flüchtlingszahlen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich sage es sehr deutlich - der Ministerpräsident ist leider nicht mehr da  : Sie, Herr Haseloff, führen die Menschen in die Irre, wenn Sie glauben, höhere Mauern würden irgendetwas verhindern. Wir brauchen nicht mehr Abschottung. Wir brauchen mehr Verlässlichkeit und Solidarität. Sie lügen den Menschen in die Tasche.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Von allen Menschen, die hier Schutz suchen - das ist hier häufig vom rechten Rand bezweifelt worden  , beträgt die bereinigte Gesamtschutzquote aufgrund von Sachentscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge aktuell rund 72 %. Meine Damen und Herren, Dreiviertel der Menschen, die hierherkommen, kommen hier berechtigt her. Das muss man doch einmal zur Kenntnis nehmen.

(Zuruf von Ulrich Siegmund, AfD)

- Ja, Sie können gegen die Zahlen und gegen die Gerichtsentscheidung anargumentieren; das wird Ihnen nichts nutzen, das ist ein Fakt.

(Zurufe)

Auch die Debatte um Abschiebungen verkennt, dass diese in den meisten Fällen nicht möglich sind. Bei den rund 1 459 in Sachsen-Anhalt im letzten Jahr angesetzten Rückführungsmaßnahmen bestanden bei 1 111 Vollzugshindernisse. Dabei handelt es sich um vermeintliche Abschiebedefizite, die sich bei dem Blick auf den Einzelnen vor allem durch verschiedene Duldungsgründe, wie der Ausbildungsduldung oder einen faktischen Abschiebestopp nach Syrien, Afghanistan, Russland oder Iran erklären lassen.

Wir brauchen nicht mehr Abschottung, sondern geordnete Verfahren, Verlässlichkeit und Solidarität. Die helfen uns in der Flüchtlingspolitik. Wir werden nur zu einer Entlastung kommen, wenn wir die Finanzsituation der Kommunen verbessern und wenn wir gleichzeitig - auch das scheint mir Elementar - den Verwaltungsaufwand minimieren.

(Jan Scharfenort, AfD: Am Ende zahlt es wieder der Steuerzahler!)

Dazu brauchen wir eine auskömmliche und dauerhafte Finanzierung durch den Bund, und zwar nach dem Viersäulenmodell. Der Flüchtlingsgipfel hat zunächst nur eine kurzfristige Finanzspritze gebracht. Es ist daher wichtig, dass wir im Herbst zu einer besseren und zu einer verstetigten Handhabe kommen.

Die erfolgreichen Regelungen, die für die Ukrainer*innen geschaffen worden, zeigen auch, dass wir unbedingt auch den Rechtskreiswechsel und den Zugang zum Gesundheitssystem für alle Geflüchteten benötigen. Weiterhin müssen wir zusehen, dass unsere Ausländerbehörden zusätzlich entlastet werden. Wie wir am Beispiel des Burgenlandkreises sehen, ist es möglich, auch in Sachsen-Anhalt eine funktionsfähige Ausländerbehörde zu führen.

(Zurufe von der AfD: Sachleistungen! Was meinst du, wie schnell das geht!)

Ich bitte die Landesregierung im Rahmen ihrer Kompetenz endlich die möglichen Erleichterungen per Erlass hier auf den Weg zu bringen.

Auch auf der Bundesebene muss noch einiges passieren. Dazu gehört meiner Ansicht nach die Aussetzung der Wohnsitzverpflichtung in den Erstaufnahmeeinrichtungen, die Aussetzung der Wohnsitzauflagen, die Abschaffung der Sachbezüge und die Abschaffung der anlasslosen Widerrufsprüfung.

Wir müssen zusehen, dass jeder Mensch, der sich rechtmäßig in Sachsen-Anhalt aufhält und bei dem eine Sicherheitsgründe dagegensprechen, in eine Ausbildung oder in eine Arbeit kommen. Wir haben Arbeitskräftemangel, ich glaube, das sollte auch dem Letzten inzwischen aufgegangen sein.

(Zuruf: Fachkräftemangel! - Zuruf von der AfD: Haben wir nicht! Herr Striegel! - Ulrich Siegmund, AfD: Sie haben gar keine Ahnung!)

Duldung, Leid und Arbeitsverbote gehören abgeschafft. Diese und weitere Maßnahmen würden zu einer beständigen Entlastung der Behörden führen. Die Bearbeitungsdauer von Verfahren würde sich reduzieren. Wir kämen von der Überlastung der Bediensteten weg. Asylsuchende könnten von einer entstehenden Willkommenskultur profitieren. Ich glaube, die ist notwendig; denn uns wird kein attraktiver Aufbau unseres Standortes für Arbeitsmigration gelingen, wenn wir nicht insgesamt eine Willkommenskultur haben.

Vieles, was auf dem Flüchtlingsgipfel durch die Ministerpräsidenten beschlossen wurde, geht in die falsche Richtung. Hier wird dem Koalitionsvertrag zum Teil widersprochen und beabsichtigte Regelungen lesen sich wie eine Kompetenzüberschreitung der MPK. Wir haben deshalb als GRÜNE im Bundestag weitreichenden Änderungsbedarf angemeldet. Eine erfolgreiche Flüchtlingspolitik setzt nicht auf Abschottung, sondern auf Verlässlichkeit und Solidarität. - Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)