Dr. Tamara Zieschang (Ministerin für Inneres und Sport):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Für heute wurde eine Aktuelle Debatte zum Flüchtlingsgipfel beantragt, der zwischen Bund und Ländern im Mai stattfand. Sie, Herr Abg. Siegmund, haben behauptet, dort sei von allen gesagt worden: Wir haben Platz.

(Ulrich Siegmund, AfD: Ja!)

Sie bestätigen gerade, dass Sie diese Behauptung getätigt haben. Sie ist schlicht und ergreifend falsch.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP - Siegfried Borgwardt, CDU: Richtig!)

Zur Not genügt ein Blick in den gemeinsamen Beschluss von Bund und Ländern, wo schriftlich gefasst ist und es eindeutig heißt: „Um Bund, Länder und Kommunen zu entlasten, ist die irreguläre Migration spürbar zu reduzieren.“

(Zuruf von der AfD: So erfolgreich wie die letzten zehn Jahre! - Daniel Roi, AfD: Das glaubt ihr doch alles selbst nicht mehr!)

Das ist der gemeinsame Beschluss von Bund und Ländern, also genau das Gegenteil von dem, was Sie hier behauptet haben.

Was sich bei Ihnen wie ein roter Faden durchzog     Das ist eben der große Unterschied zu dem, was der Ministerpräsident heute in der „Volksstimme“ und im Übrigen auch vor und auf dem Flüchtlingsgipfel gesagt hat: Selbstverständlich müssen wir differenzieren. Genau diese Differenzierung lassen Sie vermissen. Es gibt reguläre Migration. Es gibt ein Recht auf Asyl. Aber es gibt auch irreguläre Migration,

(Jan Scharfenort, AfD: Duldung ist das Problem! Das ist das Massenproblem, die Duldung!)

bei der Menschen ohne Asylgrund zu uns kommen, um womöglich in unsere sozialen Sicherungssysteme einzuwandern. Genau diese irreguläre Migration müssen wir in den Blick nehmen, um sie deutlich zu reduzieren. Dazu haben sich Bund und Länder beim Flüchtlingsgipfel deutlich bekannt. Ich sage auch: Es darf nicht nur bei einem Bekenntnis bleiben, sondern diesem Beschluss müssen natürlich auch Taten folgen, wie auch das aktuelle Zugangsgeschehen in Sachsen-Anhalt zeigt.

Wir wissen, dass wir im letzten Jahr eine herausfordernde Aufnahmesituation zu verzeichnen hatten. Ich kann für die ersten Monate im Jahr 2023 sagen: Wir bereits mehr als 2 400 Asylsuchende aufgenommen. Das ist im Vergleich zum Vorjahreszeitraum eine Steigerung um gut 55 %. Allein die Zahlen unterstreichen, dass die irreguläre Migration spürbar reduziert werden muss.

Wir kommen aber in jedem Fall unseren gesetzlichen Aufnahmeverpflichtungen nach dem Königsteiner Schlüssel nach. Dass wir das tun können, verdanken wir vor allem auch den Landkreisen und kreisfreien Städten sowie vielen Menschen, die sich dabei mit einbringen.

Aber ich sage auch: Wir lassen die kommunale Familie nicht im Stich, ganz im Gegenteil. Das Land versucht, die kommunale Familie bestmöglich zu unterstützen. Das machen wir nicht nur, indem wir den regelmäßigen Austausch pflegen, sondern vor allem auch, indem wir Kosten erstatten, die den Aufnahmekommunen durch die Bezieher von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz entstehen. Diese Kosten erstattet das Land auskömmlich. Auch unsere Landeserstaufnahmekapazitäten erweitern wir, um die Kommunen wiederum zu entlasten.

Ich kann nach diesem Flüchtlingsgipfel auch feststellen, dass die Leistungen des Bundes hinter den Leistungen von Ländern und Kommunen zurückbleiben. Das gilt sowohl mit Blick auf die finanzielle Lastenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen als auch mit Blick auf eine spürbare Begrenzung der irregulären Migration.

Ich fange an mit der finanziellen Lastenverteilung. Auch hierzu konnte im Mai nur ein erster Teilschritt erreicht werden. Sie alle wissen, dass der Bund eine um 1 Milliarde € erhöhte Kostenbeteiligung zugesagt hat. Auf Sachsen-Anhalt entfallen davon rund 28 Millionen €. Diese werden wir den Kommunen zur Verfügung stellen, um sie zu entlasten.

Worauf es aber ankommt - dafür hat sich auch unser Ministerpräsident stark eingesetzt, aber wir haben den zweiten Schritt noch nicht vollzogen - und was Länder und Kommunen brauchen, ist finanzielle Planungssicherheit. Die haben wir nicht, wenn wir von Jahr zu Jahr immer neue Finanzierungszusagen aushandeln. Vielmehr bedarf es einer dauerhaften Finanzbeteiligung des Bundes.

(Zustimmung bei der CDU und von Andreas Silbersack, FDP)

Diese dauerhafte Finanzbeteiligung des Bundes muss vor allem dynamisch oder ein atmendes System sein - sprich, in dem Augenblick, wo die Flüchtlingszahlen steigen, muss automatisch auch die Kostenbeteiligung des Bundes steigen. Nur so erhalten wir finanzielle Planungssicherheit für unser Land, für die Länder insgesamt und für die Kommunen.

Wir hatten bis Ende des Jahres 2021 das sogenannte Viersäulenmodell. Das hat sich wunderbar bewährt. Das hat damals die CDU-geführte Bundesregierung eingeführt. Ende 2021 lief es aus. Wir müssen dringend wieder dorthin kommen. Denn im Augenblick bekommen wir bei der Finanzbeteiligung des Bundes leider nur in Trippelschritten voran. Das ist nicht ausreichend.

Leider auch nur in Trippelschritten kommen wir bei der spürbaren Begrenzung der irregulären Migration voran. Deswegen - ich habe es vorhin gesagt - ist es entscheidend, dass es nicht nur Ankündigungen gibt, sondern dass die Ankündigungen tatsächlich auch umgesetzt werden. Das gilt für den Schutz der EU-Außengrenzen - dieser Schutz muss verstärkt werden - und genauso dafür, dass Asylverfahren an den Außengrenzen der EU durchgeführt werden sollen. Wie gesagt, das sind bislang Ankündigungen des Bundes; sie stehen auch in dem Beschlusspapier vom Mai. Aber diese Zusagen müssen jetzt auch mit Leben gefüllt und tatsächlich umgesetzt werden.

Gleiches gilt im Übrigen auch für die schon vielfach angekündigten Migrationsabkommen. Wenn es solche gibt, dann müssen auch diese mit Leben gefüllt werden. Denn Papier ist ansonsten geduldig.

Es gibt ein Migrationsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Indien. Das ist im Dezember letzten Jahres geschlossen worden. Leider trat es erst Monate später in Kraft. Aber auch seit dem Inkrafttreten ist wenig passiert. Wieso nenne ich gerade dieses Migrationsabkommen? - Ich nenne es deswegen, weil die indischen Staatsangehörigen unverändert die größte Gruppe der ausreisepflichtigen Ausländer in Sachsen-Anhalt bilden. Deswegen haben wir immer einen besonderen Fokus auf die Gruppe. Unsere Feststellung ist schlicht und ergreifend, dass mit Blick auf Sachsen-Anhalt weder im Jahr 2022 noch im Jahr 2023 bislang ein einziges Passersatzpapier durch die Republik Indien ausgestellt worden ist. Das ist ein Hemmnis dafür, deren ausreisepflichtige Staatsangehörige tatsächlich rückzuführen.

Ich kann nur noch einmal betonen: Ankündigungen und die Beschlüsse müssen tatsächlich umgesetzt und mit Leben gefüllt werden, weil wir nur dann eine spürbare Begrenzung der irregulären Migration erreichen werden.

Auch vollkommen in Ordnung ist: Nicht nur der Bund muss seine Aufgaben erfüllen - die Kommunen tun es sowieso  , auch das Land muss seine Aufgaben wahrnehmen. Und das tun wir auch. Zum einen erstatten wir - ich habe es schon gesagt - den Kommunen die Kosten, die sie für die Bezieher von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz tragen. Das Land erweitert aber auch seine Erstaufnahmekapazitäten, um wiederum die Kommunen zu entlasten.

Das Land schiebt auch ab. Wie Sie wissen, haben wir die Zahl der Abschiebungen im letzten Jahr im Vergleich zum Vorjahr, also zum Jahr 2021, um 34 % gesteigert. Auch im Jahr 2023 ist bereits ein spürbarer Anstieg der Abschiebungszahlen zu verzeichnen. Ende letzten Monats, also Ende Mai, konnte die Zahl der Abschiebungen im Vergleich zum Vorjahrszeitraum um mehr als 60 % gesteigert werden.

(Jan Scharfenort, AfD: Um wie viele Zahlen?)

Insofern sehen Sie: Wir setzen alles daran, um Abschiebungen tatsächlich auch umzusetzen.

(Zuruf von Felix Zietmann, AfD)

Ich sage aber auch: Ob sich dieser Trend verstetigen lässt, hängt stark davon ab, ob Herkunftsstaaten kooperieren. Die Kooperationsfähigkeit kann nur über den Bund sichergestellt werden. Das hängt eben auch stark davon ab, ob Dublin-Verfahren tatsächlich durchgesetzt werden können. Aber auch das ist Aufgabe des Bundes.

Auf der Innenministerkonferenz, die in zwei Wochen stattfindet, werde ich einen Antrag einbringen, um die Liste der sicheren Herkunftsstaaten zu erweitern, und zwar um die Herkunftsstaaten Georgien, Indien, Algerien, Marokko, Tunesien und Moldau. Sie sehen: Wir als Land tun das, was zu tun ist.

(Zustimmung bei der CDU - Zuruf von Ulrich Siegmund, AfD)

Mir bleibt als Fazit, insbesondere auch als Fazit des Flüchtlingsgipfels vom Mai, zu sagen: Sachsen-Anhalt erfüllt seine gesetzlichen Aufnahmeverpflichtungen und setzt wo auch immer möglich konsequente Rückführungsmaßnahmen um. Der Bund bleibt aufgefordert, Länder und Kommunen wirksamer zu unterstützen. Aber vor allem muss er die irreguläre Migration spürbar begrenzen.

(Zustimmung bei der CDU)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Danke, Frau Ministerin. - Zuerst gibt es eine Frage von Herrn Kirchner. - Herr Kirchner, Sie haben das Wort.


Oliver Kirchner (AfD):

Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Frau Innenministerin, ich habe eine recht einfache Frage mit der Bitte um eine ganz konkrete Antwort. Besteht das Recht auf Asyl hier in Deutschland auch für jemanden, der aus einem sicheren Drittstaat einreist und mehrere sichere Drittstaaten durchquert hat?


Vizepräsident Wulf Gallert:

Sie können antworten.

(Zuruf von der AfD: Ja oder Nein?)


Dr. Tamara Zieschang (Ministerin für Inneres und Sport):

In der Regel nicht.

(Lachen bei der AfD - Zuruf von der AfD: Dann schiebt endlich ab!)

Sie wissen, wenn die Person mehr als sechs Monate hier ist, dann kann das Asylverfahren sozusagen nach Deutschland kommen. Das ist das beschriebene Dublin-Verfahren, was im Augenblick - auch das habe ich gesagt - vielfach nicht funktioniert. Deswegen ist es auch Aufgabe des Bundes, Dublin-Verfahren durchzusetzen. Dazu gehört auch, dass Personen, die auf dem von Ihnen beschriebenen Weg zu uns gekommen sind, ihr Asylverfahren aber eigentlich in dem europäischen Mitgliedstaat durchgeführt werden müsste, in dem sie erstmals europäischen Boden betreten haben, rückgeführt werden müssen. Das funktioniert im Augenblick nicht so, wie es funktionieren müsste.

(Dr. Jan Moldenhauer, AfD: Das funktioniert seit Jahren nicht! - Oliver Kirchner, AfD: Schreib mal: „in der Regel nicht“!)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Es gibt noch eine Intervention von Herrn Scharfenort. - Bitte sehr.


Jan Scharfenort (AfD):

Wir haben von Ihnen jetzt wieder viele Lippenbekenntnisse gehört und vernommen, was man alles muss. Ich denke, die Landkreise werden, gerade mit Ihrer Antwort heute, nicht zufrieden sein. Denn in der Zeitung „Landkreistag aktuell“ - sie liegt eigentlich jedem Abgeordneten vor - wird ganz klar gesagt, dass die Aufnahmekapazitäten erschöpft sind. Die Landkreise können nicht mehr aufnehmen.

Ich sage Ihnen, was als nächstes passieren wird - die ersten CDUler tun dies bereits  : Sie werden von uns in Zukunft Resolutionen hören, in denen wir feststellen, dass eine Notfalllage eingetreten ist. Es wird einen Aufnahmestopp geben. Wir können einfach nicht mehr Menschen aufnehmen. Ich prophezeie, wenn Sie so weitermachen, dann wird der Tag kommen, an dem die Busse direkt zu den Erstaufnahmeeinrichtungen zurückgeschickt werden.


Vizepräsident Wulf Gallert:

Sie können darauf reagieren.


Dr. Tamara Zieschang (Ministerin für Inneres und Sport):

Erst einmal habe ich von den Äußerungen, die Sie getätigt haben, dass die Kommunen das Gefühl haben, das Land tut zu wenig, noch nicht gehört.

(Jan Scharfenort, AfD, ein Schriftstück hochhaltend: Steht hier drinnen!)

Ganz im Gegenteil: Der Präsident des Landkreistages hat in einem anderen Zusammenhang erklärt,

(Zuruf von Tobias Rausch, AfD)

dass gerade das Land letztlich seinen Unterstützungsmaßnahmen deutlich nachkommt. Insoweit habe ich hier nicht nur Lippenbekenntnisse getätigt,

(Tobias Rausch, AfD: Ist so! - Jan Scharfenort, AfD: Hier steht es! Aktuelle Ausgabe! Hier steht es drinnen!)

sondern eindeutig benannt, dass die Kosten, die den Kommunen letztlich für Leistungsbezieher nach Asylbewerberleistungsgesetz entstehen, durch das Land erstattet werden. Sie wurden in den letzten Jahren erstattet und werden auch in diesem Jahr erstattet werden.

(Tobias Rausch, AfD: Ja, aber nicht alle Kosten!)

Das ist im Zweifel ihre Aufnahmepauschale.

(Tobias Rausch, AfD: Zu wenig im Kreis!)

Ich spreche von den Leistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz. Diese Kosten erstatten wir den Kommunen seit Jahren über das übliche Verfahren.

(Tobias Rausch, AfD: Wir können im Landkreis keine Schulausstattung mehr machen!)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Warten Sie einmal. - Herr Rausch, Herr Scharfenort hat der Ministerin eine Frage gestellt. Ich glaube, er hat die Frage nicht Ihnen gestellt. Deswegen muss der Ministerin die Chance gegeben werden, sie zu beantworten.

(Zuruf von Tobias Rausch, AfD - Weitere Zurufe von der AfD)

Das ist offensichtlich geschehen. Damit sind wir jetzt am Ende des Redebeitrages angelangt. Wir können zum nächsten übergehen.