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Plenarsitzung

„Terror in Halle war ein Anschlag auf uns alle“

Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff hat im Oktober-Plenum I – insbesondere im Hinblick auf das terroristische Überfall- und Tötungsgeschehen in Halle (Saale) und Landsberg – eine Regierungserklärung zum Thema „Freiheit. Sicherheit. Verantwortung. Solidarität mit der Jüdischen Gemeinschaft in Sachsen-Anhalt.“ gehalten. Im Anschluss hatten die Fraktionen die Möglichkeit, zu der Rede Stellung zu beziehen und eigene Aspekte in die Debatte einzubringen.

Parallel dazu wurden zwei Anträge behandelt. Die Fraktion DIE LINKE forderte die Einsetzung einer Enquete-Kommission noch in diesem Jahr. Diese soll sich mit Rassismus, Antisemitismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in der Gesellschaft auseinandersetzen und deren Bedeutung für aktuelle Entwicklungstendenzen rechten Terrors untersuchen. Die Koalitionsfraktionen stellten mit ihrem Antrag klar, dass Gewalt und Terror eine Bedrohung für unser Zusammenleben in einer offenen Gesellschaft darstelle.

Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff während seiner Regierungserklärung im Landtag von Sachsen-Anhalt. Foto: Stefanie Böhme

„Wir bestimmen, in welcher Gesellschaft wir leben“

„Nach Halle können wir nicht zur Tagesordnung übergehen, unsere Gedanken gelten den Opfern und ihren Angehörigen“, erklärte Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff (CDU). Der versuchte Massenmord an jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur sei „ein Angriff auf uns alle“ gewesen. Ziel und Motiv des Täters sei gewesen, möglichst viele Menschen in der Synagoge zu töten. „Ich schäme mich dafür, dass jüdische Mitbürger wieder um ihr Leben fürchten müssen, Sachsen-Anhalt hat ein antisemitisches und rechtsradikales Problem“, bekannte Haseloff. Er kritisierte jedoch den für die 40. Sitzungsperiode vorgesehenen Antrag der AfD-Fraktion zum Rücktritt von Innenminister Holger Stahlknecht. Die Polizei in Halle (Saale) habe besonnen und verantwortungsvoll gehandelt, betonte er. Weder ihr noch dem Innenminister sei ein Vorwurf zu machen. Die AfD instrumentalisiere die Anschläge in Halle für ihre parteipolitischen Zwecke.

Dass die Probleme keine Randerscheinung seien, zeige sich in Wort und Bild und Tat. Die sozialen Medien wirkten als Echoräume für die Verbreitung von kruden Ideen; Unwahrheiten, Verfälschungen von Zitaten und Berichten breiteten sich aus. Die Grenzen des Sagbaren seien längst verzogen. Es gelte, diesen abstrusen Gedankengängen entschieden zu widersprechen. „Der Rechtsstaat muss sich mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln wehren“, stellte der Ministerpräsident klar.

Derzeit werde auf Initiative des Ansprechpartners für jüdischen Leben und gegen Antisemitismus in Sachsen-Anhalt an einer „Problembeschreibung Antisemitismus in Sachsen-Anhalt“ gearbeitet. Aus verschiedenen Interviews sollen nun ein Gesamtbild entstehen und Handlungsvorschläge abgeleitet werden. Der größte Teil der Gesellschaft spreche sich gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus aus. Es sei das Gebot der Stunde, aufzustehen und eindeutig Stellung zu beziehen. „Wehret den Anfängen“ sei keine bloße Floskel. Haseloff lobte die Stadt Halle und ihre Menschen, dass sie geschlossen im Kampf gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus aufträten.

Die Schlüssel zu demokratischem Handeln seien eine intakte Zivilgesellschaft und ein hohes Maß an politischer Bildung und Aufklärung. Nur so könnten diffuse Zukunftsängste aufgelöst und nicht länger einfache Antworten auf komplexe Fragen gesucht werden. „Ich bin zutiefst vom Wert der Bildung überzeugt“, sagte der Ministerpräsident. Aufklärung beginne in der Familie, in der Schule, in den Universitäten. Zudem bedürfe es starker Kultureinrichtung, die Orientierung und Sinnstiftung böten. Zwischen Sachsen-Anhalt und Israel gebe es eine Reihe von Schulpartnerschaften und Jugendbewegungen, auch die Hochschulen und Universitäten arbeiteten zusammen. Diesem Austausch – beispielsweise auch mit der Partnerregion Masowien (wo sich die Gedenkstätte für das frühere NS-Vernichtungslager Treblinka befindet) komme eine besondere Bedeutung zu.

„Wir bestimmen, in welcher Gesellschaft wir leben wollen“, sagte Haseloff, „alle Menschen, die in Deutschland leben, müssen sich dieser Verantwortung gegenüber der Vergangenheit und der Zukunft stellen.“ Demokratie und Antisemitismus schlössen einander aus und jeder Antisemitismus sei eine der Folgen eines überstarken Nationalismus. Am 5. November 2019 findet in Magdeburg die Grundstücksübergabe an die jüdische Gemeinde von Magdeburg für eine neue Synagoge statt. „Wer Synagogen baut, will bleiben – das ist unser Zeichen, das wir vor dem Hintergrund des 9. Oktobers in die Welt hinaussenden wollen“, schloss Haseloff.

Blick ins Plenum während der Regierungserklärung von Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff. Foto: Stefanie Böhme

AfD distanziert sich von Täter

„Das, was am 9. Oktober in Halle passierte, ist von Grund auf verachtenswert“, erklärte Oliver Kirchner (AfD). Alle Bürger unseres Landes hätten das Recht, sich im Land sicher zu fühlen. Kirchner fragte, wo der starke Staat, den der Innenminister in der Vergangenheit versprochen hatte, an diesem Tag gewesen sei. Der mutmaßliche Täter Stephan B. hätte nichts mit der AfD zu tun, da er sich über Recht und Gesetz hinweggesetzt habe und zudem den Holocaust leugne. Beides werde man bei seiner Partei nicht finden, so der AfD-Fraktionsvorsitzende. Dennoch gebe man einer demokratischen Partei wie seiner eine Mitschuld an dem Geschehen.

Laut Kirchner müsste man stattdessen anerkennen, dass die Mehrzahl der Übergriffe auf jüdische Mitmenschen in Deutschland aus dem muslimischen Kulturkreis komme. Kirchner plädierte für ein gemeinsames Maßnahmenpaket aller Fraktionen und wunderte sich, dass wieder jede Fraktion ihre eigenen Anträge eingebracht hätte. Des Weiteren kritisierte er die Sicherheitsmaßnahmen des Innenministers vor dem Anschlag, Stahlknecht hätte versagt, deshalb sollte er zurücktreten.

SPD: Gleiche Feindbilder bei Täter und AfD

Dr. Katja Pähle (SPD) betonte, es werde der AfD nicht gelingen, „sich von ihrer Verantwortung freizuzeichnen“. Denn in der Motivation des Täters ließen sich zweifellos die von der AfD-Fraktion seit deren Einzug ins Parlament skizzierten Feindbilder erkennen.

Als Beweis zitierte Pähle den AfD-Abgeordneten Tillschneider, der in einer AfD-Veranstaltung in Bayern im Januar 2018 gesagt habe: „Der Islam wird von vielen, sowohl vom Zentralrat der Juden als auch von den etablierten Parteien, vom Establishment, von den Linksliberalen […] benutzt, um in Deutschland multikulturelle Verhältnisse herbeizuführen. Es geht ihnen […] nicht um den Islam, […] es geht ihnen darum, die deutsche Kultur zu schwächen, es geht ihnen um das, was sie Pluralität nennen, was nichts anderes ist als die Zersplitterung und letzten Endes die Abschaffung unseres Volkes.“ Dies sei nicht nur irgendwie antisemitisch, dies sei das antisemitische Narrativ schlechthin, betonte Pähle.

Nach Ansicht der SPD-Fraktionsvorsitzenden reiche es nach der Tat von Halle nicht aus, für einen stärkeren Schutz für jüdische Einrichtungen einzustehen, sondern es müsste in der gesamten Gesellschaft etwas getan werden. Für ihre Fraktion seien unter anderem verstärkte Maßnahmen zur Aufklärung über Antisemitismus und bei der Prävention von Radikalisierung im Netz besonders wichtig.

Linke: Beschämendes Krisenmanagement

„Man steht fassungslos vor der Tat und dem Täter, der Menschen wie in einem Computerspiel erbarmungslos abknallt“, sagte Thomas Lippmann (DIE LINKE). Allerdings fragte er sich auch, wie man nach einem solchen Desaster behaupten könne, dass niemand etwas falsch gemacht habe. Lippmann sei betroffen vom Krisenmanagement der Landesregierung und schäme sich dafür. Es sei schließlich nicht die Aufgabe der jüdischen Gemeinde, ihr Sicherheitsbedürfnis zu analysieren.

Für den Aufstieg der Rechten sei man mitverantwortlich, wenn man den Verbalattacken der Rechten Beifall zolle. Die AfD und ihre Gesinnungskumpane seien zweifellose die geistigen Brandstifter für solche Taten wie in Halle, ist Lippmann überzeugt. Seiner Meinung nach könne man der rechten Propaganda den Nährboden nur entziehen, wenn man es schaffe, das Vertrauen der Menschen in die Gestaltungskraft der Politik zurückzugewinnen. Dabei gehe es vor allem um die Sicherung der Lebensgrundlagen für die Menschen. 

Grüne: Demokraten müssen zusammenstehen

Cornelia Lüddemann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) konstatierte, dass diese Tat leider absehbar gewesen sei, zumindest für alle, die mit offenen Augen durch das Land gingen. Denn Begriffe wie „Judensau“ würden auf vielen Schulhöfen und in Fußballstadien als Schimpfwort genutzt und das Internet sei voll von antisemitischen Ressentiments. Aus Worten seien nun Taten geworden. Die Grünen-Abgeordnete forderte alle Demokrat/-innen auf zusammenzustehen, damit die Forderung „Nie wieder Faschismus!“ glaubhaft bleibe. Ihre Fraktion setzte sich vor allem dafür ein über die Bildungseinrichtungen des Landes „die geistigen Abwehrkräfte der Gesellschaft zu stärken“.

CDU will innere Sicherheit stärken

Der Täter Stephan B. habe mittlerweile seine Tat gestanden und antisemitische und rechtsextreme Motive eingeräumt, stellte Siegfried Borgwardt (CDU) fest. „Die Tat ist ein Spiegelbild der Gesamtentwicklung in unserem Land, auch mit internationaler Vernetzung“, radikale und antisemitische Hetze im Internet hätten sich längst auf das reale Leben ausgewirkt. Allerdings sei die Tat nur sehr schwer oder fast  gar nicht voraussehbar gewesen, so Borgwardt.

Jeder sollte dafür kämpfen, dass alle Menschen in Sachsen-Anhalt friedlich und frei zusammenleben können. Natürlich müssten auch entsprechende Schlussfolgerungen aus den Ereignissen gezogen werden, so der CDU-Fraktionsvorsitzende, eine Enquete-Kommission – wie von der Fraktion DIE LINKE gefordert – gehöre aber ausdrücklich nicht dazu.

Er unterstrich, die CDU stehe an der Seite derjenigen, die sich für die Demokratie einsetzen und gegen Rassismus eintreten. Der Staat müsse diesen rechtsextremen Terror genauso bekämpfen wie den Terror der RAF in den 1970er Jahren. Insbesondere im Bereich der inneren Sicherheit seien Maßnahmen nötig, beispielsweise mehr Personal bei der Polizei, zudem dürfe das Internet kein rechtsfreier Raum sein.

André Poggenburg (fraktionslos) erklärte, der feige Anschlag in Halle sei in Sachsen-Anhalt und darüber hinaus mit sehr viel Entrüstung und Empörung aufgenommen worden. Die Trauer gelte den Getöteten, die Anteilnahme gehöre den Hinterbliebenen und Verletzten. In diesem Sinne könne er die Worte des Ministerpräsidenten unterstreichen. „Dass aber diese antisemitische Bluttat in Halle nun einer einzelnen Partei in die Schuhe geschoben werden soll […] und damit die AfD, die sich immer gegen Antisemitismus und Gewalt eingesetzt hat, diffamiert werden soll, ist nichts weiter als scham- und pietätloses Wahlkampfgeplänkel“. 

Beschlüsse am Ende der Debatte

Am Ende der Debatte zur Regierungserklärung wurde der Antrag der Koalitionsfraktionen von CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beschlossen. Der Antrag der Fraktion DIE LINKE wurde in den Ausschuss für Inneres und Sport (federführend) und die Ausschüsse für Bildung und Kultur sowie für Arbeit und Soziales (mitberatend) überwiesen.