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Plenarsitzung

Sport als integratives Instrument verstehen

Die Regierungskoalition betrachtet die Entwicklung des ländlichen Raums als eines ihrer Kernanliegen und bedürfe gemeinsamer Anstrengungen aller Ressorts. Die Landesregierung wurde daher von CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN per Antrag auf Selbstbefassung gebeten, im Ausschuss für Inneres und Sport nicht nur über die derzeitige Situation und Entwicklung der ländlichen Räume in Sachsen-Anhalt Stellung zu nehmen, sondern sich auch zum aktuellen Positionspapier des Fußballverbandes Sachsen-Anhalt zu äußern.

Eben dieses Positionspapier wurde von den Verfassern während einer Beratung des Ausschusses in öffentlicher Sitzung am Donnerstag, 31. Mai 2018, vorgestellt und diskutiert. Das Papier enthält nicht nur Aussagen zur prekären Situation in den ländlichen Räumen, sondern verweist verstärkt auf den integrativen Charakter, den Sport für Einheimische, aber auch Zugereiste (Migranten, Flüchtlinge) innehat. Eingeladen dazu waren Erwin Bugar, Präsident des Fußballverbands Sachsen-Anhalt (FSA), dessen Geschäftsführer Dr. Christian Reinhardt und der Verfasser des Papiers Dr. Andreas Siegert.

Von der Auseinandersetzung mit dem Positionspapier erwarteten die Abgeordneten Erkenntnisse, was der Fußballverband mit seinen mehreren Zehntausend Mitgliedern hinsichtlich der Entwicklung des ländlichen Raums zu sagen habe, sowie Hinweise auf Defizite und Chancen der momentanen Situation, hieß es eingangs der öffentlichen Sitzung.

Positionspapier Ergebnis von Netzwerktreffen

Der Fußballverband Sachsen-Anhalt habe derzeit über 90 000 Mitglieder, die in den einzelnen Vereinen organisiert seien, informierte dessen Präsident Erwin Bugar. Während des Netzwerktreffens der nordostdeutschen Fußballverbände gegen Extremismus im November 2017, das in Sachsen-Anhalt ausgerichtet worden war, sei ein Positionspapier zur Stärkung des ländlichen Raums und für die Akzeptanz von Integration aufgestellt worden, das – so der Plan – gemeinsam mit der Landesregierung umgesetzt werden soll.

„Nicht einfach nur mehr Geld“

Das Papier sei aus einer Problemlage heraus verfasst worden, die vielerorts in der ganzen Bundesrepublik anzutreffen sei: Aus der Perspektive des Sports und des Fußballs habe man versucht, die Schwierigkeiten des ländlichen Raums zu verdeutlichen, so Dr. Christian Reinhardt. Die Vereinslandschaft verändere sich zusehends, immer mehr Vereine müssten verschmelzen und Spielgemeinschaften schließen, allgemein sei ein Rückgang der Zahl der Mannschaften in den Vereinen zu erkennen.

Die personelle und mitgliedertechnische Aufstellung der 827 Vereine in Sachsen-Anhalt sei nicht mehr so wie vor zehn Jahren, die Arbeit von vielen laste auf den Schultern von wenigen.

Hinzu komme das hohe Durchschnittsalter der Aktiven. „In der A-Jugend und bei den Frauen gibt es keinen Kreisspielbetrieb mehr, es wird auf Landesebene gespielt, was zu langen Anfahrtswegen führt“, bedauerte Reinhardt; bei den Frauen werde bisweilen nur mit sieben Spielerinnen pro Mannschaft gespielt. Es fehlten etwa 500 Schiedsrichter, statt der 15 Pflichtspiele würden teilweise 80 bis 90 Spiele gepfiffen.

Das Positionspapier sei als Unterstützungsangebot an die Politik zu verstehen, so Reinhardt, denn „der Freizeitsport ist in seiner Existenz bedroht“. Der FSA-Geschäftsführer forderte eine praxisgerechte Unterstützung der Vereine vor Ort und einen ganzheitlichen Ansatz beim Lösen der Problemlage, einfach nur „mehr Geld“ genüge nicht.

Sport als integratives Instrument

Die Schwierigkeiten des ländlichen Raums basierten auf komplexen Zusammenhängen, erläuterte Dr. Andreas Siegert, seinerseits Wirtschaftswissenschaftler sowie Forscher hinsichtlich der gesellschaftlichen Integration von Geflüchteten und Verfasser des Positionspapiers des sachsen-anhaltischen Fußballverbands. Er hatte die Aufgabe übernommen, die Inhalte des Positionspapiers noch einmal in einzelnen Punkten zu erläutern.

Der flächendeckende Freizeitsport sei im ländlichen Raum gefährdet, weil durch den Bevölkerungsrückgang und die fehlende Wirtschaft eine eigene Negativdynamik erzeugt werde, die kreislaufförmig erhalten bleibe. Je weniger Einwohner es gebe, desto weniger Ressourcen stünden zur Verfügung, dies wiederum führe zur Stilllegung von ÖPNV-Strecken, zur Schließung von Schulen, zu fehlenden kulturellen und medizinischen Angeboten. Es finde also nicht nur eine quantitative, sondern vor allem eine qualitative Abwanderung statt, die Leute schauten sich nach besseren Lebensbedingungen um, erklärte Siegert.

Nur jeder Zwölfte Abgewanderte kehre zurück, um weitere zehn Prozent werde die Bevölkerungszahl bis 2035 wohl sinken. Sachsen-Anhalt brauche Einwanderer (auch Flüchtlinge, Migranten, Asylsuchende), um den starken Bevölkerungsrückgang abzufedern. Denn es fehlten schon jetzt Arbeits- und Fachkräfte, obwohl die Arbeitslosenzahl bei 7,7 Prozent liege. Es sei schlichtweg eine Katastrophe für Unternehmen, freie Stellen erst nach mehreren Wochen besetzen zu können. Veränderungen in der Familienpolitik seien zu überdenken, räumte Siegert ein, aber selbst wenn heute alle in Sachsen-Anhalt lebenden Frauen schwanger würden, könnten diese Kinder in 15 Jahren nicht die Fachkraftstellen ausfüllen, die zu besetzen seien. 52 Jahre beträgt der Altersdurchschnitt im Land, allein dadurch sei keine signifikante Geburtensteigerung zu erwarten.

Sport und auch andere integrative Instrumente könnten dazu beitragen, die hiesigen gesellschaftlichen Werte über die Grenzen der eigenen sozialen Gruppe hinaus zu vermitteln. „Mit der Begegnung schwinden die Vorurteile“, zeigte sich Siegert überzeugt. Es gelte, die Personalstruktur der Landesbehörden zu überdenken (mehr Personal), die Kommunalfinanzierung umzugestalten, zivilgesellschaftliche Strukturen zu fördern und ein stimmiges Einwanderungskonzept aufzustellen. Gleiche Lebensbedingungen in Sachsen-Anhalt könnten nur mit der Revitalisierung des ländlichen Raums geschaffen werden. Dazu gehöre eine angemessene Infrastruktur und die bessere Kommunikation zwischen Bevölkerung und Politik.

Gemeinsame Kommission ins Leben gerufen

Das Positionspapier habe einen wichtigen Impuls gesetzt, der zeige, dass der Sport eine gesellschaftspolitische Verantwortung übernehme, erklärte Dr. Tamara Zieschang, Staatssekretärin im Ministerium für Inneres und Sport. Man habe die gemeinsame Kommission „Sport stärkt Heimat“ ins Leben gerufen, die dazu beitragen soll, die Attraktivität des Lebensumfelds ländlicher Raum zu halten und zu stärken. Die Auftaktsitzung der Kommission soll Mitte Juni stattfinden, ein erstes Zwischenergebnis dürfe am Ende des Jahres erwartet werden.

Aus den Fraktionen und Fortgang

Die Ausschussmitglieder von CDU, DIE LINKE, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lobten das Bemühen des sachsen-anhaltischen Fußballbunds und stimmten dem Grundtenor und einzelnen Aussagen des Positionspapiers zu. Die Ausschussmitglieder der AfD konnten dem nicht folgen und bezeichneten es als „linksgrünes Indoktrinationspapier“, mit dem sich „die Verbandsfunktionäre als Migranten- und Asyllobby“ verdingt hätten, was von den Angesprochenen vehement zurückgewiesen wurde.

Der Selbstbefassungsantrag wurde am Ende der öffentlichen Sitzung noch nicht als erledigt erklärt. Er soll zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal auf die Tagesordnung gesetzt werden.