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Plenarsitzung

25 Jahre „Wahrer der Landesverfassung“

14. Nov. 2018

Sachsen-Anhalts Landesverfassungsgericht begeht dieser Tage den 25. Jahrestag seiner Gründung 1993. Im Bauhaus Dessau wurde dies am Mittwoch, 14. November 2018, mit einem Festakt gewürdigt. Den zentralen Festvortrag „Demokratie stärken! – Auf welche Klippen unsere Demokratie zusteuert“ hielt Prof. Dr. Ferdinand Kirchhof, Vizepräsident und Vorsitzender des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts. Zuvor wurde der langjährige Verfassungsgerichtspräsident Winfried Schubert in den Ruhestand verabschiedet.

Brakebuschwürdigt Arbeit des Gerichts

„Es wird viel gebaut im Bauhaus“, betonte Landtagspräsidentin Gabriele Brakebusch augenzwinkernd am Anfang ihres Grußworts zum feierlichen Jubiläum. Grund: Unmittelbar am historischen Gebäude wird derzeit saniert, um es für das eigene 100. Jubiläum fitzumachen. Die Baugeräusche drangen folglich recht hör- und spürbar in die Aula. Kurz darauf durften sich die Arbeiter draußen in eine verfrühte Mittagspause verabschieden.

Man dürfe quasi Silberhochzeit feiern, ergänzte die Landtagspräsidentin, die auf den in der Verfassung verankerten Gewaltenteilungsgrundsatz anspielte. Die drei Säulen der Demokratie (Legislative, Exekutive und Judikative) bedingten einander. Beim Landesverfassungsgericht liege die Besonderheit darin, dass es eine eigenständige Gerichtsbarkeit ohne Instanzen sei. Auch dessen Grundlage sei die Verfassung des Bundeslandes.

Selbst die Ansiedlung des Gerichts in Dessau-Roßlau, also abseits der Landeshauptstadt Magdeburg, sei ein Zeichen der Gewaltenteilung. Das Verfassungsgericht sei als „Vollendung der Idee des Verfassungsstaates“ zu verstehen, so Brakebusch. Die Aufgabe des Landtags dabei sei es, die Wahl und Vereidigung des Gerichts für sieben Jahre durchzuführen.

Brakebusch würdigte den früheren Verfassungsgerichtspräsidenten Winfried Schubert als „Hüter der Verfassung“. In seiner zehnjährigen Amtszeit habe er mit den Kolleginnen und Kollegen das rechtsstaatliche Handeln einer Prüfung unterzogen und die Unantastbarkeit der demokratischen Staatsziele überwacht.

Landtagspräsidentin Gabriele Brakebusch würdigte in ihrer Rede den früheren Verfassungsgerichtspräsidenten Winfried Schubert als „Hüter der Verfassung“. Foto: Stefanie Böhme

Haseloff: Bewusstsein auf Landesverfassung stärken

Die Unabhängigkeit der Justiz komme jenseits von politischen Mehrheitsverhältnissen zum Tragen, betonte Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff. „Alle Bundesländer haben ein solches Gericht, über einen Mangel an Arbeit können sie sich nicht beschweren.“ Denn jeder habe das Recht, es anzurufen. Das von den Verfassungsrichtern ausgeübte Amt sei ein Ehrenamt, das allen anderen ihnen übertragenen Aufgaben zuvorkomme, rief Haseloff in Erinnerung.

Mit der kürzlich erst eingeführten Urteilsverfassungsbeschwerde sei der Grundrechtsschutz erheblich erweitert worden, denn jetzt seien auch Beschwerden über angeblich ungerechte Behörden- und Gerichtsentscheidungen beim Landesverfassungsgericht möglich. „Das stärkt das Bewusstsein auf die Landesverfassung“, so Haseloff.

In den zurückliegenden 25 Jahren habe das Gericht bereits wichtige verfassungsrechtliche Fragen geklärt, beispielsweise zum parlamentarischen Auskunftsrecht, zu Gebietsreformen, zum kommunalen Finanzausgleich und zum Polizeirecht.

Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff erinnerte an wichtige Urteile des Verfassungsgerichts. Foto: Stefanie Böhme

Nur das Recht ist der Maßstab

Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit seien die Ziele nach der Wende gewesen, konstatierte Lothar Franzkowiak, Präsident des Landesverfassungsgerichts von Sachsen-Anhalt. Man habe auf eine geregelte Gewaltenteilung gebaut, die Schaffung des Gerichts sei dessen sinnfälliger Ausdruck gewesen. Jedes Verfassungsorgan müsse sich seiner individuellen Verantwortung bewusst sein, so könne es auch nie zu einer Gängelung des einen durch ein anderes kommen, betonte Franzkowiak.

In den letzten 25 Jahren seien 524 Verfahren anhängig geworden, viele im Bereich der kommunalen Selbstverwaltung (Gebietsreform, Finanzausgleich). Dem Gericht sei dabei ein legislativer Gestaltungsspielraum zugebilligt worden. Nicht selten habe es wegen der Entscheidungen Widerspruch und Kritik aus der Bevölkerung gegeben. „Aber deren Rechtsempfinden allein kann nicht der Maßstab sein, sondern nur das geltende Recht, sollte es auch manchmal unbequem sein“, stellte der Gerichtspräsident klar. Mit der neuen Individualverfassungsbeschwerde seien vom Gesetzgeber hohe Erwartungen geschürt worden, eine personelle Aufstockung im Gericht sei nun unumgänglich, betonte Franzkowiak.

Am Ende seiner Ansprache verabschiedete der Gerichtspräsident seinen Vorgänger im Amt, Winfried Schubert. Dieser war zehn Jahre lang Vorsitzender des Landesverfassungsgerichts und habe hierbei „stets nach Ausgleich gestrebt, zeitnahe Entscheidungen erwirkt, für Akzeptanz in der Bevölkerung gesorgt und Interesse bei jungen Leuten geweckt“.

Lothar Franzkowiak, Präsident des Landesverfassungsgerichts von Sachsen-Anhalt, konstatierte: Maßstab für die Entscheidungen des Gerichts ist einzig geltendes Recht, auch wenn es manchmal unbequem erscheint. Foto: Stefanie Böhme

Schubert: „Danke“ am Ende der Karriere

Winfried Schubert meldete sich dann selbst noch einmal zu Wort, um das „wichtigste Wort der Welt“ zu sagen: Danke. Entscheidend im gesellschaftlichen und politischen Miteinander sei, dass die Verfassung gelebt werde – dies funktioniere nur durch die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Staatsgewalten, so Schubert.

Der langjährige Verfassungsgerichtspräsident Winfried Schubert dankte am Ende seiner Karriere allen Weggefährten für die Unterstützung. Foto: Stefanie Böhme

Mehr direkte Demokratie, mehr Parlamentsbeteiligung

„Es gibt keine Patentrezepte für die Wahrung der Demokratie“, machte Ferdinand Kirchhof gleich zu Beginn seiner Festrede klar. Sie sei allerdings in Deutschland durch die Landesverfassungen und ihre Verfassungsgerichtsbarkeit gesichert.

Die Bevölkerung sei dennoch nicht ganz zufrieden, es werde gefühlt zu wenig entschieden, es herrsche ein Mangel bei der Infrastruktur, es gebe Unmut gegenüber den alten Volksparteien, ein Desinteresse an Politik generell und an der Europäischen Union im Besonderen. Deswegen müsse die Demokratie in der Europäischen Union insgesamt gestärkt werden. Zwar gebe es eine politische Beteiligung der Unionsbürger über repräsentative Vertreter – aber wer ist das eigentlich?, fragte Kirchhof. „Wir müssen die Menschen wieder an die europäische Freiheitsidee heranführen“, sagte der Richter.

Direkte Demokratie könne gegen den Verdruss helfen, denn je weiter eine Institution entfernt sei, umso schlechter fühle man sich damit verbunden; je mehr Mitwirkung, desto höher die Identifikation. Die indirekte Demokratie stehe derweil für Stabilität, Professionalität und vernünftige Entscheidungen. Vielleicht sollte man beide Ebenen miteinander verbinden, bei sehr wichtigen Entscheidungen die Zustimmung der Bevölkerung einholen, mutmaßte Kirchhof. Gleichzeitig forderte der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts auch wieder mehr Parlamentsbeteiligung ein – diese habe es bei der Aussetzung der Wehrpflicht, dem Ausstieg aus der Atomkraft und der „Grenzöffnung“ 2015 durch die Bundesregierung erst im Nachhinein mit dem Bundestag gegeben.

Eine Gefahr für das demokratische Miteinander erkennt Kirchhof in der zunehmenden Digitalisierung, in der immer mehr Entscheidungen durch Algorithmen gesteuert würden. Deren Regeln lägen nicht offen und könnten kaum durchschaut werden. „Sie sind total undemokratisch“, so Kirchhof. Er forderte: Wieder mehr Gesetz statt Programmierung – „Wo erlauben wir den Algorithmen, unser Leben zu steuern?“. Wenn es um die Abwicklung von Zahlungsgeschäften, das sichere Landen eines Flugzeugs oder um monotone Arbeitsprozesse gehe, seien Algorithmen völlig okay. Wenn es aber um politische Entscheidungen gehe, solle nicht auf diese Art von Technik gesetzt werden.

Ein Patentrezept für die Wahrung der Demokratie gibt es nicht, stellte Prof. Dr. Ferdinand Kirchhof fest. Er ist Vizepräsident und Vorsitzender des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts. Foto: Stefanie Böhme