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Plenarsitzung

Polizeibeamte bald mit Body-Cams unterwegs?

Die Positionen der Anzuhörenden im Einzelnen

Im Hinblick auf die „Streubreite und Eingriffstiefe der Maßnahme“ sieht der Landesbeauftragte für den Datenschutz des Landes Sachsen-Anhalt, Dr. Harald von Bose, Zweifel an der Verfassungskonformitiät der Regelungen. Es gebe Studien, die belegten, dass Body-Cams nicht zur Deeskalation beitrügen, sondern eher das Gegenteil bewirkten. Außerdem seien viele Regelungen im Gesetzentwurf noch zu „unbestimmt“ und bedürften einer Nachbesserung oder Präzisierung.

Von Bose stellte beispielsweise die Frage: „Wie lange werden die Daten über die Body-Cam erhoben?“ Skeptisch zeigte sich der Landesdatenschutzbeauftragte auch gegenüber sogenannten „interaktiven Streifenwagen“, die aufgezeichnete Daten direkt an die Zentrale übermitteln würden. Solche Maßnahmen müssten direkt im Gesetz verankert werden.

Bezüglich der geplanten Neuregelung beim „Pre-Recording“ betonte von Bose, dass er es für schwierig halte, dass auch Unbeteiligte aufgezeichnet würden. Hier müsste das Grundrecht am eigenen Bild und Wort gegen die Sicherheitsinteressen der Beamten abgewogen werden. Außerdem sollten für Abgeordnete, Journalisten und Rechtsanwälte besondere Schutzmaßnahmen ergänzt werden, weil ihre Äußerungen mitunter besonders geschützt seien.

Bei Fahrzeug- und Personenkontrollen könnten Polizeibeamte in den kreisfreien Städten Sachsen-Anhalts bald Body-Cams tragen. Der Innenausschuss des Landtags diskutierte eine mögliche Gesetzesänderung. Foto: Gerhard Seybert/fotolia.com

Entwurf in einigen Fällen nicht verfassungskonform

Die Regelungen zur Kennzeichnung von Polizeibeamten seien sinnvoll und  ausgewogen, erklärte Prof. Dr. Clemens Arzt von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Sie wäge das Interesse der Beamten gut mit den Interessen der Bevölkerung auf Transparenz in der Polizeiarbeit ab. Erfahrungen aus Berlin bewiesen jedoch, dass Einsatzkennzeichnungen nicht immer deutlich sichtbar seien. Daher schlug er vor, dies im Gesetzentwurf zu verankern.

Bezüglich der Einführung von Body-Cams schloss sich Dr. Arzt der Kritik des Landesdatenschutzbeauftragten an. Die Betroffenen müssten ein ausdrückliches gesetzliches Zugangsrecht zu den Daten erhalten. Er verwies hier auf Regelungen aus Österreich. In der Literatur sei bisher umstritten, wie Body-Cams wirkten. Obwohl es solche Kameras bereits in anderen Bundesländern gebe, wurde dieses Instrument niemals ausgewertet und überprüft, ob sie wirklich eine deeskalierende Wirkung hätten.

Der Rechtsexperte hält den von der Landesregierung vorgelegten Entwurf aus vielerlei Hinsicht nicht für verfassungskonform. Was bedeute es beispielsweise konkret, dass es „tatsächliche Anhaltspunkte“ brauche? Dr. Arzt schlägt vor, den Teil des Entwurfs auf „die Abwendung einer konkreten Gefahr“ zu beschränken. Kritisch sieht er auch die Hinweispflicht gegenüber den Bürgern, er bezweifelte die Praxistauglichkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen (Piktogramm auf der Polizeiweste oder Kontrollleuchte an der Kamera).

Laut Rechtsprechung habe der Bürger jedoch einen Anspruch darauf, genau zu wissen, ob und ab wann er gefilmt werde. Ein ständiges Tragen der Weste sei daher auch keine Lösung und hätte zudem eventuell sogar eine „einschüchternde Wirkung“. Außerdem problematisch seien die Übertragung der Aufnahme in die Einsatzzentrale sowie das geplante Pre-Recording (die Video- und Tonaufnahme beginnt bereits bevor auf den Aufnahmeknopf gedrückt wird) und das Fehlen einer Evaluationsklausel für den Modellversuch in der Änderung des Gesetzentwurfs.

Gewerkschaft gegen verschärfte Kennzeichnungspflicht

Die Vorschläge zur namentlichen oder nummerischen Kennzeichnung bei geschlossenen Einheiten hält Uwe Petermann von der Gewerkschaft der Polizei für völlig überzogen. Es gebe dafür überhaupt keinen Bedarf. Schon jetzt könne man immer den Polizeibeamten identifizieren, gegen den möglicherweise ein Vorwurf auf Fehlverhalten bestehe, erläuterte Petermann. Die dafür geplanten knapp 300 000 Euro seien in maroden Dienststellen oder Beförderungen besser angelegt.

Petermann führte weiter aus, eine niedersächsische Studie belege, dass die Gefahr für einen Polizeibeamten, im Dienst getötet zu werden, so hoch sei wie nie. 2016 sind bundesweit 74 Polizeibeamte im Dienst getötet worden, im Jahr 2000 waren es acht. Immer häufiger gebe es bei vielen Einsätzen eine Grundaggressivität, mit einer Body-Cam könnte das Aggressionspotenzial reduziert werden. „Natürlich ist die Body-Cam keine Wunderwaffe, die Schwelle zur Gewaltausübung kann jedoch in vielen Fällen erhöht werden.“

Offene Frage: Wann wird die Body-Cam eingeschaltet?

Prof. Dr Winfried Kluth, Richter am Landesverfassungsgericht a. D. und Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, erklärte, die Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte stelle einerseits einen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht dar, andererseits müsse es aber auch vor dem Hintergrund der Steigerung der Transparenz betrachtet werden.

Der Einsatz von Body-Cams habe ein legitimes Ziel, nämlich den Schutz der Polizeibeamten zu verbessern. Es müssten jedoch einige Nachbesserungen umgesetzt werden. Insbesondere das Pre-Recording sei problematisch im Zusammenhang bei der Gefahrenabwehr. Zwar sehe er kein verfassungsrechtliches Problem, es sei jedoch schwierig, dass die Kamera immer laufe – aus datenschutzrechtlichen Gründen und weil es an der entsprechenden Entscheidung der Polizeibeamten fehle, die Situation also – nicht wie im Gesetz vorgesehen – legitimiert sei. Daher schlägt er vor, die Body-Cam nur einzuschalten, wenn wirklich Gefahr für Leib und Leben bestehe (wie derzeit in Hamburg gehandhabt).

Ein zweites Problem sei die Erkennbarkeit der Aufnahme für die Bürger. Man müsste ein Feature finden, dass über eine kleine rote Lampe an der Kamera hinausginge. Außerdem kritisierte er den sehr geringen Anwendungsbereich für die Body-Cam, denn auch in anderen Situationen bestünden Gefahrenlagen für die Beamten. In Hamburg gebe es zum Beispiel eine Ausweitung auf den „öffentlichen Raum“.

Body-Cam als Mittel zur Deeskalation

Die Kennzeichnungspflicht bestehe im Polizeidienst bereits, viele Beamte würden schon lange Namensschilder tragen und auch die Kennzeichnungspflicht für Polizeieinheiten gebe es bereits per Erlass, konstatierte Dirk Kost von der Deutschen Polizeigewerkschaft, Landesverband Sachsen-Anhalt e. V. Über 90 Prozent der Verfahren gegen Polizeibeamte seien in den vergangenen Jahren eingestellt worden.

Während von Extremisten Gewalt glorifiziert werde, würden die Polizeibeamten zu noch deutlicherer Kennzeichnungspflicht verdonnert. Für ihn sei es stattdessen wichtiger, gegen das Vermummungsverbot in Sachsen-Anhalt vorzugehen. Kost äußerte das Gefühl, dass nur eine Seite stärker zur Verantwortung gezogen werden solle. Die Deutsche Polizeigewerkschaft sprach sich für die Einführung der Body-Cams aus. Aufgrund der Erfahrungen aus anderen Bundesländern könnten die Kameras auch gleich und ohne Modellversuch eingeführt werden.

„Vermenschlichung“ durch Namensschilder?   

Oliver von Dobrowolski vom Verein PolizeiGrün e. V., hält eine eindeutige Kennzeichnungspflicht nicht für „unzumutbar“. Auch in anderen Berufsgruppen würden Namensschilder getragen (z. B. beim Militär oder bei Ärzten). Psychologisch belegt sei eine gewisse „Uniformblindheit“, sagte von Dobrowolski. Ein Namensschild trage zu einer gewissen Vermenschlichung der Polizeibeamten bei und sorge dafür, dass Polizisten nach dem Einsatz besser auseinandergehalten werden könnten.

Bezüglich der Body-Cam müssten noch einige technische Fragen geklärt werden, ergänzte von Dobrowolski: Wo soll die Kamera befestigt werden, ohne ein Verletzungsrisiko für die Beamten darzustellen? Ähnliches gelte für den in Berlin im Test eingesetzten Taser: Wo soll der verstaut werden? Der Stauraum der Uniform sei endlich, so von Dobrowolski.

In 40 Dienstjahren sei ihm kein einziger Fall bekanntgeworden, in dem die Identität eines einzelnen Polizeibeamten nicht hätte festgestellt werden können, wenn dies in einem fragwürdigen Fall nötig gewesen sei, erklärte Franz Masser, Polizeipräsident a. D. Bei der „Zwangskennzeichnung“ handle es sich lediglich um eine politisch gewollte Diskriminierung eines Berufstandes, die nicht nötige Kennzeichnung verletzte die Menschenwürde der Polizeibeamtinnen und -beamten. Den Einsatz der Steuermittel von geschätzten 300 000 Euro für die technische Erstausstattung halte er für unangemessen, so Masser.

Amnesty begrüßt Modellprojekt mit Einschränkungen

Der Einsatz der Body-Cams leide noch an einigen strukturellen Aspekten, erklärte Philipp Krüger von Amnesty International. Die Kameras seien zum Beispiel nicht in der Lage, die Realität vollständig abzubilden, sondern nur einen kleinen Ausschnitt. Das könne eine gefilmte Situation verfälschen. Beamte könnten auch vergessen, die Kameras einzuschalten.

Body-Cams seien nicht nur als Maßnahme zur Beweissicherung zu verstehen, sie seien auch für Bürger von Nutzen, denn sie könnten so beispielsweise eine polizeiliche Kontrolle dokumentieren lassen, sagte Krüger. Die erhobenen Daten seien entsprechend zu sichern, Manipulation dürfe nicht möglich sein. Deswegen sollten die Daten an einer unabhängigen Stelle gesichert werden, so Krüger.

Aus Sicht von Amnesty International sei die Intention der Body-Cams, Polizisten vor körperlichen Angriffen zu schützen, etwas zweifelhaft. Sie hätten eine nur geringe deeskalierende Wirkung, wenn man Menschen unter Drogen- oder Alkoholeinfluss auf das Filmen aufmerksam mache. Dennoch begrüße Amnesty International die Durchführung eines Pilotprojekts in Sachsen-Anhalt, das wissenschaftlich begleitet und ausgewertet werde. Auch die Kennzeichnungspflicht werde begrüßt. Von einem Misstrauensvotum gegenüber der Polizei könne nicht gesprochen werden.

Kennzeichnung verletzt Menschenwürde der Beamten

Die Strafverfolgungsvorsorge – also die Erleichterung der Verfolgung von strafrechtlichen Handlungen und Dienstpflichtverletzungen – falle in den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes und nicht der Länder, erklärte Prof. Dr. Karl Albrecht Schachtschneider, emeritierter Professor für öffentliches Recht. Die Länder hätten nur die Zuständigkeit, wenn der Bund nicht abschließend von seinem Gesetzgebungsrecht Gebrauch gemacht habe. Dies sei aber nicht der Fall.

Die individuelle Kennzeichnung von Polizistinnen und Polizisten verletze deren Menschenwürde, konstatierte Schachtschneider. Der Bund mache in seiner Gesetzgebung deutlich, dass es keine Strafverfolgungsvorsorge ohne hinreichenden Verdacht gebe. Daher sei eine individuelle Kennzeichnung von Polizeibeamten auch nicht möglich, so Schachtschneider. Dahinein spiele auch der Schutz der informationellen Selbstbestimmung; die Gesetzesänderung sei also vor dem Hintergrund des Datenschutzes nicht umzusetzen.