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Plenarsitzung

Die Ermittlungen zum Abschluss bringen?

10. Nov. 2017

Der Ausschuss für Recht und Verfassung hat während seiner Sitzung am Freitag, 10. November 2017, noch einmal den „Fall Oury Jalloh“ auf die Tagesordnung gehoben und sich in öffentlicher Sitzung mit der kürzlich erfolgten Einstellung der gerichtlichen Ermittlungen beschäftigt.

Zwölf Jahre nach dem Feuertod des Asylsuchenden aus Sierra Leone in einer Dessauer Polizeigewahrsamszelle sind trotz des Endes der Ermittlungen (12. Oktober 2017) noch zahlreiche Fragen zum Tatvorgang und zu den Verantwortlichen unbeantwortet. Neben der „Initiative Oury Jalloh“ drängen auch mehrere Landtagsabgeordnete auf die unbedingte Aufklärung des Falls. Ein entsprechender Antrag war im September-Plenum in den Ausschuss überwiesen worden.

Mehr Licht ins Dickicht der Ermittlungen sollten Sachsen-Anhalts Generalstaatsanwalt Jürgen Konrad und die leitende Oberstaatsanwältin aus Halle (Saale), Heike Geyer, bringen. Justizministerin Anne-Marie Keding (CDU) versicherte, als Justizapparat umfangreich ermittelt zu haben. Den Angehörigen des Toten sprach sie ihr Mitgefühl aus.

Der Asylbewerber Oury Jalloh verbrannte in einer Dessauer Arrestzelle. Der genaue Hergang ist nach wie vor ungeklärt. In den vergangenen zwölf Jahren hat es bereits mehrere Rekonstruktionsversuche (Foto) gegeben. Foto: dpa

Gutachten und Arbeitshypothesen

„Der Tragische Vorfall ereignete sich mittags am 7. Januar 2005“, rekapitulierte Generalstaatsanwalt Jürgen Konrad. Bereits im Mai 2005 sei Anklage gegen zwei Polizeibeamte wegen Körperverletzung mit Todesfolge erhoben worden. Der Hauptangeklagte sollte dafür zur Rechenschaft gezogen werden, nicht rechtzeitig auf den Brandalarm in der Arrestzelle reagiert zu haben. Dem zweiten Angeklagten wurde vorgeworfen, das Feuerzeug bei der vorherigen Durchsuchung des Arrestanten übersehen zu haben.

Im März 2007 kam es zur 58 Tage dauernden Hauptverhandlung, die mit einem Freispruch endete. Die Staatsanwaltschaft Dessau reichte gegen das Urteil gegen den  Hauptverdächtigen Revision ein. Das neue Gerichtsverfahren wurde in Magdeburg geführt, Ergebnis: 10 800 Euro Geldstrafe wegen fahrlässiger Tötung. Der Vorwurf der Freiheitsberaubung durch den hauptverdächtigen Polizeibeamten sei im Urteil nicht berücksichtigt worden. Dies wurde im September 2014 nach einem weiteren Verfahren rechtskräftig.

In all dieser Zeit sei man davon ausgegangen, dass Oury Jalloh sich selbst angezündet hatte, betonte Konrad. Zwischenzeitlich sei jedoch ein Gutachten eines irischen Sachverständigen vorgelegt worden, nach dessen Ergebnisse der Brand in dieser Intensität ohne Brandbeschleuniger nicht möglich gewesen sei.

Ein abgeschlossenes Verfahren (Urteil vor dem Hintergrund einer Selbstentzündung) und das Gutachten (dass die Selbstentzündung nicht ausreiche) hätten sich also gegenübergestanden, dies habe zu einem weiteren Hergangsgutachten geführt. Im August 2016 kam es zu diesem neuerlichen Versuch, bei dem es – eingedenk der physikalischen und chemischen Einschränkungen – zu einem möglichst genauen Brandversuchsaufbau (Nachbau der Zelle etc.) kam.

„Die interdisziplinäre Untersuchung der Versuchsergebnisse durch unabhängige Gutachter war Ende März 2017 abgeschlossen“, erklärte der Generalstaatsanwalt. Die Ergebnisse seien sehr unterschiedlich gewesen. Weder die Selbstentzündung noch die Einwirkung Dritter hätten zweifelsfrei nachgewiesen oder ausgeräumt werden können.

Auf dieser Basis habe man verschiedene Arbeitshypothesen über den Hergang des tödlichen Brands aufgestellt – von der Selbstentzündung bis zum Mord. Wäre es zu einer operativen Ermittlung (gegen Verdächtige) gekommen, hätte die Staatsanwaltschaft Dessau diese wegen der Personallage nicht durchführen können. Eine Übernahme des Verfahrens durch den Generalbundesanwalt sei jedoch nicht zustande gekommen. Die Arbeitshypothesen und Gutachten seien daraufhin zur weiteren Prüfung und Bearbeitung im Mai 2017 an die Staatsanwaltschaft Halle (Saale) überführt worden.

Keine zuverlässige Tatsachengrundlage

Die Staatsanwaltschaft Halle sei bis Mai 2017 nicht mit dem Fall befasst gewesen, erklärte die leitende Oberstaatsanwältin Heike Geyer. Zunächst hätten die Ergebnisse der verschiedenen Brandsachverständigen und die der Rechtsmediziner miteinander abgeglichen werden müssen. Der Einsatz von Brandbeschleuniger sei nicht nachweisbar gewesen, eine Selbstentzündung hätte weder bestätigt noch ausgeschlossen werden können. Man habe nicht ausschließen können, dass Oury Jalloh zur Zeit des Brands zumindest kurzzeitig noch am Leben (Ruß in der Lunge) und handlungsfähig war.

Die Rechtsmedizin habe neben der Hitzeeinwirkung auch einen möglichen Intoxikationsschock als Todesursache in Betracht gezogen, da beim Todesopfer Alkohol und Kokainspuren im Blut gefunden worden seien. War Oury Jalloh also möglicherweise schon tot, bevor das Feuer ausbrach? „Es gab nach der Auswertung der Ermittlungs- und Untersuchungsergebnisse keine zuverlässige Tatsachengrundlage, um weiter gegen mögliche Drittbeteiligte zu ermitteln“, schloss Geyer ihren Vortrag.

Befragung der Anhörungsgäste

Im Anschluss an die Redebeiträge hatten die Abgeordneten die Möglichkeit, sich mit Fragen an die Angehörten zu wenden. Dabei ging es noch einmal um Zuständigkeiten, Verfahrensabläufe, verdächtige Beteiligte und die Beweisstücke (Brandschutt, Feuerzeug) sowie um die Bedingungen der Nachstellversuche. Auch die Ermittlungen gegen sieben Polizeibeamte der Polizeidirektion Ost wegen Falschaussage wurden noch einmal thematisiert. Damals wie heute sei man nicht in der Lage, die wahren von den falschen Aussagen der Polizeibeamten zu trennen, klar sei nur, dass sich einige Aussagen nicht deckten, räumte Generalstaatsanwalt Konrad ein.

Zunächst ist das staatsanwaltschaftliche Verfahren zum Fall über den Tod von Oury Jalloh formell eingestellt. Gegen die Einstellung ist von den Angehörigen des Toten Beschwerde eingelegt worden, die Begründung dafür liegt allerdings derzeit noch nicht vor.

Zur Landtagsdebatte im September 2017