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Plenarsitzung

„Endlich heraus aus der Meckerecke“

Parlamentsreform, Modernisierung des Landtags, Europawahlen und 25 Jahre Wende – das sind die Themen, die das Parlament von Sachsen-Anhalt in diesem Jahr gefordert und seinen Präsidenten Detlef Gürth vor besondere Herausforderungen gestellt haben. Im Interview blickt er auf die vergangenen zwölf Monate des parlamentarischen Jahres 2014 zurück und zieht sein persönliches Resümee.

Landtagspräsident Detlef Gürth im Interview. Foto: Stefan Müller

Redaktion: In diesem Jahr konnten die Sanierungsarbeiten im Landtag abgeschlossen werden. Wie sieht ihr Fazit als oberster Bauherr aus?

Detlef Gürth: Rückblickend bin ich glücklich über die gelungene Modernisierung des Landtags. Dazu gehört auch das Engagement der Abgeordneten und aller Mitarbeiter, die für anderthalb Jahre unter erschwerten Bedingungen arbeiten mussten – und das ohne zu murren, sie sind sehr professionell und vor allem sehr kreativ mit den Bedingungen umgegangen sind. Wir haben gezeigt, dass es der öffentlichen Verwaltung durchaus gelingen kann, termin- und kostentreu zu bauen. Die Technik funktioniert, und es ist nichts teurer geworden als geplant. Jetzt, einige Monate später, ist die schwierige Zeit – mit Umzug in Ersatzquartiere und Landtagssitzungen in der Magdeburger Johanniskirche – schon fast wieder vergessen.

Insgesamt sind über neun Millionen Euro in die Modernisierung geflossen. Warum war diese Investition nötig?

Da gibt es gleich mehrere Gründe. Zunächst gab es Brandschutzauflagen, die umgesetzt werden mussten. Darüber hinaus war unsere Telekommunikationsanlage über 20 Jahre alt –Ersatzteile ließen sich bisweilen nur noch über eBay besorgen. Durch die Modernisierung wurde die Anlage auf den aktuellen Stand der Technik gebracht. Man bedenke, dass die Datenmenge, die heute tagtäglich ausgetauscht wird, sich im Vergleich zu 1994 vervielfacht hat. Dazu kommen Anforderungen für die Archivierung von Dokumenten und Drucksachen oder auch die Videomitschnitte von den Plenarsitzungen.

In diesem Zuge könnten Sie kurz über den Relaunch des Internetauftritts des Landtags berichten.

Hier spielt der Transparenzgedanke eine große Rolle: Die Ansprüche an die Website haben sich verändert. Wir wollen offen zeigen, wie politische Entscheidungen zustande kommen. Wir wollen gleichzeitig mehr Bürgerinnen und Bürger neugierig auf ihr Parlament machen und der Barrierefreiheit gerecht werden, denn jeder hat das Recht auf Informationen, die einfach zugänglich sein müssen. Mir persönlich gefällt die neue Website sehr gut, sie ist modern und interessant. Sie hat eine intuitive Menüführung, wie man heute erwartet. Landtagssitzungen per Livestream verfolgen zu können, wird sehr gut angenommen. Wir sind da auf dem richtigen Weg.

Im Mai 2014 wurde das Europäische Parlament neu gewählt, zudem standen Kommunalwahlen an. Wie sagen Sie zu der doch relativ schwachen Wahlbeteiligung?

Die Europawahlen gehören mit den Kommunalwahlen zu den Höhepunkten des parlamentarischen Lebens im Jahr 2014. Weil die Bürger entscheiden konnten, wie wichtig es ihnen ist, wer in ihrer Heimatgemeinde und in Brüssel Politik macht und damit auch Entscheidungen trifft. Ich hätte mir eine höhere Wahlbeteiligung gewünscht, weil die Freiheit, die wir jetzt feiern, also nach 25 Jahren Mauerfall, auch mehr Verantwortung bedeutet. Diese beiden Seiten der Medaille muss man annehmen. Man muss aus der privaten Meckerecke herauskommen, sich selbst Informationen besorgen, die ja verfügbar sind und sich auch einbringen.

Als ein politischer Höhepunkt in 2014 ragt sicher die Parlamentsreform heraus, die Mitte November fraktionsübergreifend beschlossen wurde. Warum war die Parlamentsreform so wichtig und warum sind Sie stolz darauf?

Ich glaube, dieses Reformpaket ist deshalb etwas ganz Besonderes, weil alle im Parlament vertretenen Fraktionen es gemeinsam umgesetzt haben. Wir sind uns bewusst, dass wir bei den notwendigen Reformen, um das Land fit für die Zukunft zu machen, den Kommunen, den Bürgern, den Hochschulen und vielen anderen einiges abverlangt haben. Mit der Parlamentsreform haben wir bewiesen, dass wir auch als Parlament reformfähig sind und nicht nur anderen Reformen zumuten. Ein Zeichen der Parlamentsreform ist auch, dass es möglich ist, trotz sehr unterschiedlicher Interessen einen gemeinsamen Weg zu gehen, einen Konsens zu finden und den übergeordneten Interessen des Landes und der Bürger zu dienen. Und ich glaube, das ist ein gutes Signal.

Sachsen-Anhalt hat sich in diesem Jahr einmal mehr als „Filmland“ einen Namen gemacht. Sehen Sie in diesem Bereich noch mehr wirtschaftliches Zukunftspotenzial?

Sachsen-Anhalt hat ein riesiges Potenzial für die internationale Vermarktung der Kreativszene, der Filmwirtschaft und des Tourismus. Dieses Potenzial zu nutzen, wird gerade erst begonnen. Ich denke, da wird sich noch einiges entwickeln. Wir haben so viele besondere kulturhistorische Zeugnisse wie kein anderes Land, unter anderem die höchste Dichte an Weltkulturerbestätten. Aber im Marketing haben wir noch einige Hausaufgaben zu erledigen.

Landtagspräsident Detlef Gürth im Interview. Foto: Stefan Müller

Vor ein paar Wochen feierten wir 25 Jahre Mauerfall. Erinnern Sie sich an diesen Moment? Wo waren Sie?

Ich erinnere mich sehr genau. Wir erwarteten in Aschersleben Verwandte aus Berlin, weil wir ein altes Fachwerkhaus sanieren wollten, das Wohnraum für einen pensionierten Pfarrer bieten sollte. Die Verwandten kamen am Abend des 9. Novembers bei uns an und wir schauten sie mit entgeisterten Blicken an: Ihr hier? Sie hatten in ihrem Trabant kein Autoradio und hatten von der Maueröffnung einfach nichts mitbekommen. Im Freudentaumel, mit Glückstränen in den Augen, haben wir diesen Abend verbracht. Die Mauer war gefallen, das große Gefängnis DDR, für das man selten bis nie einen Passierschein herausbekommen hatte, war offen. Das war die große Stunde der Deutschen, ein Glücksfall für die Menschen im Osten wie im Westen, in Deutschland und ganz Europa.

In welchem Maße hat sich das Land in den letzten 25 Jahren entwickelt?

Rückblickend betrachtet sind der Vereinigungsprozess und die Entwicklung seit 1990 eine Erfolgsgeschichte. Das blendet nicht aus, dass sie auch mit vielen Härten für die Menschen hier verbunden war. Aber es hatten zuvor grundlegende Bürgerrechte wie Rederecht, Reisefreiheit, freie Wahlen, unabhängige Gerichte gefehlt. In Anbetracht der Tatsache, dass es in der Welt kein vergleichbares Beispiel für einen solchen Transformationsprozess gab, sind erstaunlich wenig Fehler passiert und ist erstaunlich viel erreicht worden.

Wenn Sie jetzt persönlich auf das Jahr 2014 zurückblicken, was bleibt dann, wenn Sie am 31. Dezember vielleicht mit dem Sektglas auf das neue Jahr anstoßen?

Am 31. Dezember bleibt auf jeden Fall die Gewissheit, dass ich als Landtagspräsident – mit Hilfe von Abgeordneten und Verwaltungsmitarbeitern – die gesteckten Ziele erreicht und wieder einiges dazugelernt habe. Aber es bleibt auch die Gewissheit, dass mein Familienleben dafür zu kurz gekommen ist. Ich habe meine Kinder zum Beispiel viel zu wenig gesehen und werde versuchen, das im nächsten Jahr besser zu machen.

2015 ist erneut ein Jahr voller historischer Jubiläen – von der ersten freien Volkskammerwahl bis zur Wiedergründung des Landes Sachsen-Anhalt und seines Landtags. Können wir da mit ähnlich großen Feierlichkeiten rechnen wie am 9. November in Berlin?

Momentan sitzen wir zusammen und überlegen, was ein angemessenes Format wäre. Zum Mauerfall in diesem Jahr haben wir zum Beispiel keinen Festakt gewählt, sondern ein ganz tolles Jugendforum mit 100 Schülern aus Niedersachsen und Sachsen-Anhalt hier im Landtag veranstaltet. Ich bedauere sehr, dass die Medien die Veranstaltung nicht stärker reflektiert haben, sie hätte es verdient gehabt. Wie die Feierlichkeiten im nächsten Jahr konkret aussehen, ist noch nicht ganz spruchreif. Mir ist es aber wichtig, dass wir die Bürger mitnehmen.