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Plenarsitzung

Kritik an Standard in Asylunterkünften

Im März 2014 wandte sich die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit einer Großen Anfrage an die Landesregierung. Inhalt waren die Art und Situation der Unterbringung von Flüchtlingen und Asylsuchenden in Sachsen-Anhalt. Die 28 Fragen wurden von der Landesregierung nun beantwortet und mit reichlich Tabellenmaterial versehen. Die Antworten wurden im Plenum diskutiert. Die Grünen brachten außerdem einen Entschließungsantrag ein, durch den die Landesregierung aufgefordert werden sollte, die Unterbringung und soziale Betreuung von Flüchtlingen und Asylsuchenden in Sachsen-Anhalt zu verbessern.

Menschen aus ihrer Isolation herausholen

An einem besseren Tag hätten die Große Anfrage und der Entschließungsantrag im Landtag nicht behandelt werden können, erklärte Sören Herbst (Grüne), denn der 20. Juni 2014 ist UN-Weltflüchtlingstag. Der Tag stehe unter dem Motto „Jeder Flüchtling hat eine Geschichte“ – diese Schicksale sollten in den Fokus genommen werden, sagte Herbst. Mehr als 50 Millionen Menschen seien weltweit auf der Flucht, dies sei die größte Zahl von Flüchtlingen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs – „eine Zahl, die uns allen zu denken geben sollte“, erklärte Herbst. Die Antwort der Landesregierung zur Großen Anfrage biete viele Daten und Fakten, die ein genaueres Bild von der Unterbringung von Asylsuchenden und Flüchtlingen in Sachsen-Anhalt entwerfe. Da die Zahl der Asylantragsteller ansteige, müssten sich auch deren Bedingungen in diesem Zuge verbessert werden. Die Unterkünfte seien so gut wie ausgelastet, mahnte Herbst an, mehr Menschen müssten dezentral in Wohnungen untergebracht und aus ihrer gesellschaftlichen Isolation herausgeholt werden.

Im Vergleich zur Großen Anfrage im Juli 2012 habe sich die Lage ein bisschen verbessert. 2012 hätten 52 Prozent der Asylsuchenden in Gemeinschaftsunterkünften gelebt, jetzt seien es noch 42 Prozent. Mit der Zunahme der Asylsuchenden seien aber auch die Gemeinschaftsunterkünfte von 16 (2012) auf heute 22 angestiegen. Auf Basis der Leitlinien für die Unterbringung sollen Familien und Alleinerziehende mit Kindern in Wohnungen untergebracht werden, aber das sei nicht immer der Fall, kritisierte Herbst: „Sammelunterkünfte sind kein Ort, an dem Kinder großgezogen werden dürfen.“ Die Grünen fordern eine vernünftige Betreuung mit ausgebildeten Sozialarbeitern und die geregelte Vertretung der Betroffenen (auch aus den eigenen Reihen heraus).

Herbst kritisierte zudem die baulichen und hygienischen Bedingungen in einigen von ihm besuchten Gemeinschaftsunterkünften: „Gehen sie mal in ihren Landkreisen in die Sammelunterkünfte“, forderte er seine Landtagskollegen auf, „die wenigsten von Ihnen würden sich dafür entscheiden, auch nur einen einzigen Tag oder eine einzige Nacht dort zu bleiben.“ Dass die Zustände teilweise so schlecht seien, sei auch auf die fehlenden Kontrollen des Landesverwaltungsamtes zurückzuführen. Diese fänden viel zu selten statt, das Personal sei völlig überlastet, unangemeldete Kontrollen seien so gut wie unmöglich. Herbst warb für den Entschließungsantrag seiner Fraktion, durch den sich der Landtag zur dezentralen Unterbringung, zu mehr Mitbestimmung, Leitlinien mit rechtlichem Charakter, zur Verdopplung der unangemeldeten Kontrollen und zu besseren Unterbringungskonzepten bekennen soll. Es handele sich um eine gemeinschaftliche Aufgabe für das Land, auch die Bevölkerung müsse die Flüchtlinge und Asylsuchenden als Menschen mit eigenem Schicksal ernst nehmen.

Auswertung der Leitlinien in 2015

In der Vergangenheit habe es Fälle gegeben, dass Menschen lange Zeit im Duldungsstatus verharrten und in einer zentralen Unterkunft untergebracht waren, räumte Innenminister Holger Stahlknecht ein. In Bezug auf eine Große Anfrage der Grünen vom Juli 2012 habe sich die neue Große Anfrage in einem Schwerpunkt auf eben jene Unterbringungsbedingungen konzentriert. Nun lägen eine Vielzahl an Daten zu den Kapazitäten und dem Belegungsstand sowie zur Qualität und Anzahl der Betreuungskräfte in den Einrichtungen vor, sagte Stahlknecht. Das Ministerium für Inneres und Sport habe im Januar 2013 Leitlinien für die Unterbringung und Betreuung von nicht dauerhaft aufenthaltsberechtigten Ausländerinnen und Ausländern aufgestellt und zur Umsetzung freigegeben. Dies sei mit einem Monitoring verbunden, das im kommenden Jahr zur Auswertung vorgesehen sei. Schon jetzt sei klar, dass es zu einem signifikanten Anstieg der Asylsuchenden um 140 Prozent gekommen sei. Die Betroffenen werden auf Basis einer Quote („Königsteiner Schlüssel“) auf die Landkreise und kreisfreien Städte verteilt. Die Kommunen müssten sich den steigenden Herausforderungen stellen, um die Aufgaben im Sinne der Leitlinien zu erfüllen, sagte Stahlknecht. Trotz der Zunahme der Fallzahlen sei aber die verstärkte dezentrale Unterbringung gelungen. Die Landesregierung sehe Stahlknecht zufolge aber im Gegensatz zu den Grünen von einer sehr zügigen dezentralen Unterbringung von Asylsuchenden ab.

Menschenwürdige Unterbringung gewährleisten

Der UN-Weltflüchtlingstag sei den Asylsuchenden, Flüchtlingen, Staatenlosen, Binnenflüchtlingen und Heimkehrern gewidmet, erinnerte Silke Schindler. Dieser Tage werde ein trauriger Negativrekord bei den Flüchtlingszahlen offenkundig: Mehr als 50 Millionen Menschen seien von Flucht und Vertreibung betroffen. Hinter den Zahlen würden oft die Menschen und ihre Geschichten vergessen, beurteilte die SPD-Politikerin. Die Große Anfrage der Grünen gebe einen Gesamtüberblick über die Unterbringung und die soziale Betreuung von Asylsuchenden. Die Unterbringung, die den Landkreisen und kreisfreien Städten obliege, sei mit speziellen Leitlinien unterfüttert worden – ein richtiger und guter Schritt seitens der Landesregierung, sagte Schindler. Sachsen-Anhalt habe in diesem Punkt einen ausgewogenen Kompromiss zwischen dem gefunden, was rechtlich möglich sei und dem, was den Bedürfnissen der Betroffenen weitestgehend entspreche. Dennoch sei eine Ausweitung der sozialen Betreuungsangebote wünschenswert, so die Expertin der SPD. Sie forderte, die Umsetzung der Leitlinien zu forcieren, die Kommunen auf deren Verpflichtung hinzuweisen und fachaufsichtlich wirksam zu werden.

Die Unterbringungssituation stelle sich in den verschiedenen Landkreisen und kreisfreien Städte sehr unterschiedlich dar, so Schindler. Nur in seltenen Fällen gebe es den Standard, dass Familien nur einen Monat in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht würden und dann möglichst in einer Wohnung leben dürften. Hinsichtlich der Zumessung des Wohnraums und der hygienischen und sanitären Standards müsse man sich bisweilen die Frage nach einer wirklich menschenwürdigen Unterbringung stellen. In einzelnen Gemeinschaftsunterkünften seien die Zustände „menschenunwürdig zu nennen“ – hier habe Schindler mehr Auskünfte seitens der Landesregierung auf Basis der Großen Anfrage erwartet. Die SPD-Fraktion drängt darauf, die oft diskutierte Willkommenskultur auch zu leben, sie sei nicht auf Knopfdruck zu verordnen. Es müssten tatsächliche Voraussetzungen geschaffen werden, um Flüchtlinge und Asylsuchende angemessen unterbringen zu können. Den Entschließungsantrag in den Innenausschuss zu überweisen, biete die Gelegenheit, noch einmal detailliert über die Konsequenzen aus der Großen Anfrage zu diskutieren.

Erlass zu flexibel auslegbar

Die Große Anfrage der Grünen und die Antwort der Landesregierung ermöglichten einen erneuten Blick auf die Lebensbedingungen von Asylsuchenden, erklärte Henriette Quade (DIE LINKE). Die Zahl der Asylsuchenden sei gestiegen, das müsse selbstredend bei den Vergleichen beachtet werden. Es sei gut, dass die Frage der (auch dezentralen) Unterbringung von Asylsuchenden in den Landkreisen und kreisfreien Städten diskutiert werde. In elf Einrichtungen seien Menschen untergebracht, die mehr als fünf Jahre in Gemeinschaftsunterkünften lebten, kritisierte Quade. Mancherorts liege es an den Ortsbürgermeistern, die sich schlichtweg weigerten, entsprechenden Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Nach wie vor lebten Familien in Gemeinschaftsunterkünften, obwohl dies den Leitlinien nicht entspreche. Der Erlass des Innenministeriums verfehle den Kern seiner eigenen Zielstellung. In ihm gebe es zu viele Kann-Bestimmungen. Darüber hinaus lasse das Innenministerium zu, dass der Erlass außerordentlich flexibel ausgelegt werde. Quade bemängelte die niedrige Quote adäquat ausgebildeter Sozialarbeiter in den Einrichtungen und die zu selten durchgeführten unangemeldeten Kontrollen durch das Landesverwaltungsamt. Die Linken sprechen sich wie die Grünen für einen konsequenten Weg zur dezentralen Aufnahme von Asylsuchenden aus. Hierfür bedürfe es stärkerer politischer Verbindlichkeiten.

Kürzere Verfahrensdauer angestrebt

Die gesetzlichen Regelungen für die Aufnahme von Flüchtlingen und Asylsuchenden würden von den Behörden mit großem Verantwortungsgefühl ausgeführt, versicherte Jens Kolze (CDU). Der sogenannte „Königsteiner Schlüssel“ bestimme das Aufnahmekontingent von Flüchtlingen (aktuell vermehrt aus Syrien). Hierbei müsse man aber ordnungspolitischen und öffentlichen Interessen gerecht werden. So regele das Asylverfahrensgesetz des Bundes, dass die Unterbringung in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften und zunächst nicht in Wohnungen stattzufinden habe. Andere Unterbringungsmöglichkeit würden mit den Handlungsspielräumen in den Leitlinien des Landes für nicht dauerhaft aufenthaltsberechtigten Ausländerinnen und Ausländern eröffnet. Demnach sollen nach anfallender Prüfung und Registeraufnahme Familien und Alleinstehende mit Kindern vorrangig in Wohnungen untergebracht werden.

Über die Hälfte der in Sachsen-Anhalt lebenden Asylsuchenden seien schon dezentral in Wohnungen untergebracht, hob Kolze hervor. Da viele Flüchtlinge unter den traumatischen Ereignissen litten, wäre eine zu schnelle dezentrale Unterbringung kontraproduktiv, erklärte der CDU-Politiker. Diese Menschen bräuchten zunächst die Nähe ihrer Landsleute und die direkte Betreuung in den Gemeinschaftsunterkünften. Diese müssen freilich menschenwürdig und ohne gesundheitsschädliche Bedenken gestaltet sein. Bauliche und hygienische Mängel seien nicht hinnehmbar. Die Landkreise und kreisfreien Städte seien hier in der Pflicht. Kolze legte nahe, die Aufenthaltsdauer in den Gemeinschaftsunterkünften zeitlich zu begrenzen. „Aber eine generelle Abschaffung von Asylbewerberheimen wird es mit der CDU nicht geben.“ Klare Leitlinien für die Unterbringung und die soziale Betreuung und die Verkürzung der Bearbeitungsdauer bei Asylverfahren (nicht länger als drei Monate) sollen den gesamten Prozess erleichtern und beschleunigen.

Nach der Aussprache zur Großen Anfrage wurden der Entschließungsantrag der Grünen und die Antwort der Landesregierung in den Ausschuss für Inneres und Sport überwiesen. Beide werden dort weiter behandelt.