Cookies helfen uns bei der Weiterentwicklung und Bereitstellung der Webseite. Durch die Bestätigung erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies gesetzt werden.

Plenarsitzung

Flüchtlingshilfe auf dem Prüfstand

Die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylsuchenden stellt Landkreise und Kommunen in Sachsen-Anhalt zurzeit vor erhebliche Herausforderungen. Das Ministerium für Inneres und Sport rechnet damit, dass in diesem Jahr etwa 6 000 Menschen einen Asylantrag stellen werden, das wären doppelt so viele wie im vergangenen Jahr. Zwar gibt es Leitlinien für die Unterbringung und soziale Betreuung von nicht dauerhaft aufenthaltsberechtigten Ausländern, diese werden aber noch nicht überall umgesetzt.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hatte darum bereits im Juni 2014 einen Entschließungsantrag in den Landtag eingebracht, durch den die Landesregierung aufgefordert werden sollte, die Unterbringung und die Betreuung der Flüchtlinge und Asylsuchenden zu verbessern. In einer öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Inneres und Sport kamen am 22. Oktober Flüchtlingsvereine und Kommunalverbände zu Wort. Sie schilderten die aktuelle Situation und äußerten ihre Meinung zum Entschließungsantrag.

Mit rund 100 000 Flüchtlingen aus Syrien ist die Zeltstadt Zaatari mittlerweile die fünftgrößte Stadt in Jordanien. Foto: UNHCR/Brian Sokol

Die Landkreise und Kommunen orientierten sich bereits jetzt an den Leitlinien des Innenministeriums. Mehr als 50 Prozent der Flüchtlinge und Asylsuchenden würden dezentral untergebracht, erklärte Sabine Fiebig vom Landkreistag Sachsen-Anhalt. Die Landkreise bekennen sich zu ihrer Aufgabe, könnten aber auch nicht alles alleine machen. So sei es beispielsweise nicht primäre Aufgabe, ein Unterbringungskonzept zu erstellen, so Fiebig.

Bereits jetzt sei es ein enormer personeller und organisatorischer Aufwand, die Flüchtlinge zu versorgen und zu betreuen. Außerdem betonte Fiebig, dass wenn die Standards legitimiert werden sollen, dies auch finanziell ausgeglichen werden müsse. Die dafür vom Ministerium veranschlagten 13 Millionen Euro würden ihrer Ansicht nach nicht ausreichen. Im Vergleich mit dem Jahr 2014 geht sie für 2015 von doppelt so hohen Ausgaben seitens der Landkreise und Kommunen aus.

Die Integrationsbeauftragte des Landes Sachsen-Anhalt, Susi Möbbeck, lobte die Kommunen: Trotz steigender Asylbewerberzahlen hätte sich die Qualität der Unterbringung im Vergleich zu den Vorjahren verbessert. Natürlich stehe es außer Frage, dass die Kommunen schnell finanziell entlastet werden müssten. Möbbeck warb zudem für hohe Transparenz bei der Aufwandsentschädigung. Eine Voraussetzung dafür sei ihrer Meinung nach, dass gewisse Qualitätsstandards im Aufnahmegesetz festgehalten würden.

Außerdem sollte perspektivisch die Wohnungsunterbringung stärker gefördert werden. Möbbeck sagte: „Jeder Verzicht auf eine Gemeinschaftsunterkunft ist ein Konfliktpunkt weniger, um rassistische Tendenzen zu befördern.“ Neben der Unterbringung müsste auch die Frage der Betreuung neu geregelt werden. Der Sozialschlüssel dürfte nicht nur für Gemeinschaftsunterkünfte, sondern auch für Wohnungen gelten. Möbbeck geht davon aus, dass Flüchtlinge in einer Wohnung eher mehr als weniger Betreuung benötigten, gleichzeitig könnte sich der Sozialarbeiter aber auch um die möglichen Konflikte in der Nachbarschaft kümmern.

Grundsätzlich stelle sie fest, dass aufgrund der gestiegenen Zahl an Flüchtlingen ihre soziale Beratung schwieriger geworden sei. Die Betreuung vor Ort müsste als Prozess der interkulturellen Öffnung im Land gesehen werden, sagte Möbbeck. Um gelungene Integration zu ermöglichen, sei es wichtig, die Menschen vor Ort von Anfang an mitzunehmen, auch die Vereine, die Kitas und die Schulen. Nur so könnte man das Zusammenleben schaffen. Außerdem erklärte Möbbeck, wie wichtig eine umfassende Sprachförderung der Flüchtlinge sei, da sie nur so Zugang zum Arbeitsmarkt finden könnten.

Ein gelungenes Beispiel von Integration brachte Jörg Hartmann aus dem Landkreis Wittenberg ein. Hartmann ist Leiter der Abteilung Ordnung, Soziales und Umwelt und erzählte, wie der Landkreis die Unterbringung und Betreuung der Flüchtlinge in die eigenen Hände genommen habe. Mittlerweile gebe es 57 Wohnungen in Vockerode und 67 Wohnungen in weiteren sieben Städten im Landkreis. Bei den Wohnungen handle es sich um einen bunten Mix aus privaten Vermietern und Wohnungsgesellschaften. Allen sei allerdings wichtig gewesen, dass der Landkreis als Ansprechpartner fungiere, so Hartmann.

Auch für die soziale Betreuung hat der Landkreis Wittenberg gesorgt. Es gebe staatlich anerkannte Sozialarbeiter, die sich um die Flüchtlinge kümmern. Hartmann sagte weiter, dass es gemeinsame Veranstaltungen zur Förderung der Integration gebe und dass sich die Asylbewerber beispielsweise auch an der Hochwasserbekämpfung 2013 beteiligt hätten. Was die gestiegenen finanziellen Aufwendungen des Landkreises angeht, sprach sich Hartmann für Abschlagszahlungen aus. Die Maßnahmen des Landkreises im Bereich Flüchtlingshilfe sollen bis Mitte 2015 evaluiert werden, danach sollen weitere Planungen erfolgen.

Straftaten gegenüber Flüchtlingen und rassistische Propaganda nähmen zu, erklärte dagegen Antje Arndt vom Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt. Außerdem gebe es keinen generellen Zugang zur Krankenkassenversorgung, Privatsphäre und Datenschutzrechte der Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünften würden verletzt. Hinzu komme die „unerträgliche Langeweile“ durch den eintönigen Rhythmus von „Essen, Schlafen, Essen“.

Zur Verbesserung der Situation sprach sich Arndt für die größtmögliche Selbständigkeit der Flüchtlinge und eine angemessene Betreuung aus. Zentrale Gemeinschaftsunterkünfte lehnte sie generell ab, wenn überhaupt dürften diese nur eine Option für sehr kurze Zeit sein. Einen Betreuungsschlüssel von 1:100 (1 Betreuer für 100 Flüchtlinge) hält sie für unangemessen. Gleichzeitig forderte sie einen besseren Zugang zu den Beratungsstellen, momentan seien die Wege einfach zu lang. Zudem gebe es einen hohen Bedarf an Dolmetschern. Arndt hält auch ein Beschwerdemanagement für Flüchtlinge für notwendig.

Ähnlich sah das auch Alexander Dexbach vom Landesnetzwerk Migrantenorganisationen Sachsen-Anhalt e. V. (LAMSA). Sein Verein unterstütze den Entschließungsantrag der Grünen. Neben einer ausreichenden sozialen Betreuung bedürfe es seiner Meinung nach auch einer psychologischen Betreuung, diese sei momentan unzureichend, so Dexbach. Den Einsatz von Sicherheitsdiensten sieht er generell sehr kritisch. Dem Sicherheitspersonal fehle es in den meisten Fällen an interkultureller Kompetenz, an Sprachkompetenz und Sensibilität. Dexbach sprach sich für rechtlich verbindliche Leitlinien aus. 

Durch den Erlass der Leitlinien habe sich die Situation bereits verbessert, allerdings sei eine gesetzliche Bindung notwendig, um eine Aufweichung der Prinzipien zu verhindern, sagte Monika Schwenke vom Caritasverband für das Bistum Magdeburg. Ihrer Ansicht nach müsste das eingesetzte Personal überprüft werden und unangemeldete Kontrollen stattfinden. Um rassistischen Tendenzen vorzubeugen, empfiehlt Schwenke, dass Kommunalpolitiker mit gutem Beispiel vorangingen und beispielsweise bei der Neueröffnung von Flüchtlingsunterkünften dabei sind.

Außerdem sprach sie sich dafür aus, bei der Altersfeststellung von Menschen ohne Papieren zukünftig mit zwei Gutachtern zu arbeiten und nach einigen Wochen eine Zweitprüfung vorzunehmen. Viele junge Flüchtlinge sähen aufgrund der Strapazen direkt nach ihrem Eintreffen in der ZASt sehr viel älter aus als einige Wochen später, wenn sie sich erholt hätten, so Schwenke.

Zum Abschluss berichtete Cheickna Hamala Fadiga von der Saalekreis Refugee Association von seinem Alltag als Flüchtling in Sachsen-Anhalt. Er ist im Asylbewerberheim Krumpa mit zwei anderen Männern in einem Zimmer untergebracht, bis zur nächsten Einkaufsmöglichkeit seien es 2,5 Kilometer. Die Zimmerausstattung sei mangelhaft, es gebe beispielsweise nur eine Glühbirne für die drei Zimmerbewohner. Fadiga stellte die zentrale Unterbringung in Frage, sie sei nicht unbedingt kostengünstiger als die dezentrale, befördere jedoch die Isolation der Flüchtlinge und verhindere die Integration. Außerdem plädierte Fadiga für die freie Ortswahl der Flüchtlinge und Bildungsmöglichkeiten.

Fadiga erzählte außerdem von Mitarbeitern, die Flüchtlinge anschrien und die Versammlungsfreiheit unterbänden. Das Angebot an Deutschkursen sei mangelhaft. Anfangs gab es eine Stunde wöchentlich für 285 Menschen, später mit Hilfe von Studenten der Hochschule Merseburg ein bis zwei Mal pro Woche. Jetzt sei man wieder auf dem Stand von einmal wöchentlich, allerdings mit einer Lehrerin, die nur Deutsch spreche. Gemeinsam mit anderen Flüchtlingen fahre er daher jetzt selbst zweimal wöchentlich zur Hochschule Merseburg, die Kosten dafür müsse er allerdings selbst übernehmen.

Der Ausschuss für Inneres und Sport wird sich weiter mit dem Thema befassen, um dann eine entsprechende Beschlussempfehlung für den Landtag zu erarbeiten.