Tagesordnungspunkt 19

Beratung

a)    Berufung eines Bildungsforums zur Bewältigung der Schulkrise in Sachsen-Anhalt

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/2472

Alternativantrag Fraktionen CDU, SPD und FDP - Drs. 8/2561


b)    Staatsvertrag zur Lehramtsausbildung und bundesweite Ausbildungsoffensive als koordinierte Strategie aller Bundesländer gegen den Lehrkräftemangel

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/2519


Die Einbringung für beide Anträge übernimmt Herr Lippmann. - Sie haben das Wort. Bitte sehr.


Thomas Lippmann (DIE LINKE):

Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! In ganz Deutschland wurde in den letzten 25 Jahren eine Entwicklung zugelassen, die zu einem bisher nicht dagewesenen Mangel an ausgebildeten Lehrkräften in allen Bundesländern geführt hat. Obwohl inzwischen auch Tausende Lehrkräfte ohne Lehramtsausbildung eingestellt werden, muss das Bildungsangebot in den Schulen bundesweit mit jedem neuen Schuljahr weiter reduziert werden. Mangelhafte Bildung gefährdet die Lebensperspektiven ganzer Generationen und schwächt die ökonomische Basis unserer Wirtschaftsordnung. Insofern knüpft dieser Antrag auch unmittelbar an die Debatte zu den Wirtschaftsperspektiven von heute früh an.

Bundesweit fehlen schon heute mehrere Zehntausende Lehrkräfte. Diese Lücke ist entstanden, weil seit Jahren nahezu alle Bundesländer weniger Lehrkräfte im eigenen Land ausbilden, als sie anschließend in ihren Schuldienst einstellen wollen. Die Folge ist ein ruinöser Wettbewerb, der inzwischen nur noch Verlierer kennt, weil die Decke schon längst überall zu kurz ist.

Auch wir haben seit 2016 mehr als 1 000 ausgebildete Lehrkräfte mehr eingestellt, als Lehramtsabsolventen unsere beiden Universitäten verlassen haben. Wir haben mit dafür gesorgt, dass der Markt jetzt leergefegt ist. Jahrelang haben wir die Verbeamtung als Wettbewerbsvorteil gegenüber den Nachbarländern genutzt. Doch die haben auf diese Abwerbestrategie reagiert und sind auch zu den teuren Verbeamtungen zurückgekehrt. Der Gewinn an Lehrkräften, die andere Länder für uns ausgebildet haben, geht deshalb stark zurück.

Inzwischen geht es in allen Ländern an die Substanz - im Osten noch mehr als im Westen; in Sachsen-Anhalt noch mehr als in Sachsen, Thüringen oder Brandenburg. Alle sollten deshalb verstanden haben, dass mit den Fehlern aus der Vergangenheit aufgeräumt werden muss.

(Zustimmung von Nicole Anger, DIE LINKE)

Doch das, liebe Kolleginnen und Kollegen, geschieht nicht - bei uns nicht und auch nicht in den anderen Ländern. Der Föderalismus und die Kultusministerkonferenz versagen in der Frage der Bedarfs- und Ausbildungsplanung für den Lehrkräftenachwuchs komplett. Es besteht auch keine Aussicht darauf, dass sich daran etwas grundlegend ändern würde.

Um aus der Abwärtsspirale in der Lehrkräfteversorgung wieder herauszukommen, muss jedes Land für sich selbst schlicht so viele Lehrkräfte ausbilden, wie es selbst braucht. Dieses triviale Versprechen haben sich die Kultus- und Bildungsminister tatsächlich schon gegeben. In der schon vor zweieinhalb Jahren in der Kultusministerkonferenz getroffenen Ländervereinbarung zur gemeinsamen Grundstruktur des Schulwesens heißt es dazu in Artikel 37   ich zitiere  :

„Zur Deckung der Einstellungsbedarfe schaffen die Länder mit den Hochschulen bedarfsgerechte Ausbildungskapazitäten für das Studium. […] Die Länder wirken bei der regelmäßigen Erstellung von Modellrechnungen zum künftigen Angebot und Bedarf an Lehrkräften nach gemeinsam vereinbarten Kriterien unter Berücksichtigung landesspezifischer Gegebenheiten zusammen.“

Doch, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein solches Lippenbekenntnis reicht eben nicht; denn das Ergebnis ist weiter desaströs: Die Kultusministerkonferenz spricht für die nächste Dekade von einer Deckungslücke von etwa 30 000 Lehrkräften. Andere Studien sprechen dagegen von 60 000 bis zu 150 000 fehlenden Lehrkräften. Auch wenn diese Zahlen nicht so ohne Weiteres untereinander vergleichbar sind, spricht aber sehr viel dafür, dass das reale Defizit beim Lehrkräftenachwuchs ein Vielfaches von dem beträgt, was die Kultusminister der Länder nach wie vor bereit sind zuzugeben.

Das sieht man auch bei uns selbst. Unsere Landesregierung hat zum Jahresbeginn behauptet, dass wir ein Einstellungsdefizit von etwa 850 Stellen hätten. Aber das war natürlich Unsinn; denn diese unbesetzten Stellen ergeben sich nur aus der Differenz zu unserem Haushalt und nicht zu dem, was für ein auskömmliches oder gar für ein zukunftsfähiges Bildungsangebot wirklich gebraucht würde.

Inzwischen sollen übrigens nach Angaben des Bildungsministeriums die VZÄ-Ziele aus dem Haushalt sogar weitgehend ausgeschöpft sein. Trotzdem brennt überall an den Schulen die Luft und es hagelt weiter Brandbriefe. Es glaubt also hoffentlich niemand, dass etwas dadurch real ist, nur, weil es in unserem Haushalt steht; denn tatsächlich fehlen uns derzeit an den allgemeinbildenden Schulen mehr als 2 000 Lehrkräfte. Diese Lücke wird nicht kleiner. Dabei haben die Verwerfungen zwischen den Schulformen und den Regionen ständig zugenommen. Die Sekundar- und die Gemeinschaftsschulen werden abgehängt. Der Niedergang der Schulbildung verläuft im Norden und im Osten des Landes schneller als im Süden und im Westen.

Aus Unkenntnis und aus Erklärungsnot wird dann gern orakelt, dass zu wenige junge Menschen gibt, die den Beruf ergreifen wollen, weil der nicht attraktiv sei. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist ebenfalls Unsinn. Das belegen allein schon die vielen Zugangsbeschränkungen an der Martin-Luther-Universität. Dort sind alle Fachrichtungen für das Lehramt an Grundschulen und für das Lehramt an Förderschulen zulassungsbeschränkt. Auch für das Lehramt an Gymnasien werden die Immatrikulationen z. B. in den Kernfächern und in den Naturwissenschaften seit Jahren durch Zugangsbeschränkungen kleingehalten. Es gäbe genügend junge Menschen, die bei uns ein Lehramtsstudium aufnehmen wollen; man muss sie nur lassen.

(Beifall bei der LINKEN)

Unattraktiv ist dagegen das Lehramt an Sekundarschulen. Dafür gibt es in der Tat in den meisten Fächern viel zu wenige Bewerbungen. Es gäbe also schon lange die Möglichkeit, die Lehramtsausbildung an der Otto-von-Guericke-Universität bedarfsorientiert auszubauen und in Halle die Studienplätze viel besser auszulasten. Doch das wird durch die Landesregierung und durch die Koalition blockiert.

Darüber hinaus arbeiten in unseren Schulen inzwischen weit mehr als 1 000 Lehrkräfte im Seiteneinstieg. Doch ein Drittel dieser Lehrkräfte scheidet nach kurzer Zeit wieder aus dem Schuldienst aus - ein viel zu großer Verlust.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Lehrkräfte, die über ein abgeschlossenes Hochschulstudium verfügen, müssten sich längst auch mit nur einem Unterrichtsfach zu voll ausgebildeten und dann eben gleich bezahlten Lehrkräften entwickeln können, damit sie dauerhaft bleiben und guten Unterricht erteilen. Doch statt diese Dinge anzupacken, die möglich und notwendig sind, flüchtet sich die Koalition in naiven Aktionismus und führt fruchtlose Debatten über eine neue Lehrkräfteausbildung, die an einer Art pädagogischer Hochschule in Köthen auch ohne Abitur möglich sein soll - oder welche Überlegungen dabei auch immer eine Rolle spielen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! So unzutreffend wie wir, behaupten auch die anderen Länder in der Kultusministerkonferenz, dass sie angeblich alles tun, um entsprechend ihrem Bedarf auszubilden. Das Kernproblem ist aber, dass niemand seinen Ausbildungsbedarf ehrlich ermittelt - wir nicht und die anderen auch nicht. Bedarf ist eben nicht das, was wirklich benötigt wird, sondern Bedarf ist das, was im Haushalt steht und finanziert wird. Wenn sich Jahre später herausstellt, dass alle Prognosedaten falsch waren, weil alle ihre Parameter immer wieder kleingerechnet haben und der Mangel gar nicht mehr zu vertuschen ist, dann versuchen doch wieder alle, sich die fehlenden Lehrkräfte gegenseitig wegzukaufen.

Warum das so ist, liegt auf der Hand: Die Lehrkräfte wegzukaufen ist eben billiger, als sie selbst auszubilden; denn selbst 16 000 € für einen Headhunterfang sind an dieser Stelle ein Schnäppchen, wie uns die Bildungsministerin schon mehrfach versichert hat - nur, das wissen und denken alle.

Wenn es also nicht gelingt, mit allen Ländern gemeinsam und verbindlich eine verlässliche und objektive Grundlage für die Bedarfs- und Ausbildungsplanung zu schaffen und deren Umsetzung verbindlich zu überprüfen, dann, , liebe Kolleginnen und Kollegen, wird alles so weiterlaufen wie bisher.

Die Kultusministerkonferenz jedenfalls ist zu einer grundlegenden Kurskorrektur nicht in der Lage. Ohne die Verpflichtung auf eine objektive und nach gleichen Maßstäben durch eine neutrale Instanz vorgenommene Bedarfsermittlung, ohne eine massive finanzielle Unterstützung durch den Bund und ohne den dafür notwendigen Rückhalt in den Parlamenten wird es nicht gelingen, die Ausbildung der Lehrkräfte, zumindest für die Zukunft, bundesweit auf eine neue Grundlage zu stellen.

Das alles kann nur im Rahmen eines Staatsvertrages erfolgen, dessen wesentliche Inhalte wir in unserem Antrag in der Drs. 8/2519 unter Abschnitt II Punkt 2 und Punkt 3 beschrieben haben.

Denn es geht dabei vor allem darum, die notwendigen Mittel für die Ausbildung aufzubringen und die Länder dabei je nach ihrer Leistungsfähigkeit zu unterstützen. Ein solcher Staatsvertrag wurde in den letzten Monaten bereits in Berlin, Brandenburg und Bremen gefordert. Auch Sachsen-Anhalt muss daran ein besonderes Interesse haben; denn wenn es bei den Neueinstellungen in den nächsten Jahren dauerhaft bei einem Überbietungswettbewerb bleibt, werden wir vermutlich am kürzeren Hebel sitzen.

Kurz- und mittelfristig hilft ein solcher Staatsvertrag natürlich nicht weiter. Hierfür sind mit Blick auf die nächsten Jahre die Ideen und das Engagement aus allen gesellschaftlichen Bereichen gefordert. Einen solchen Dialog zum Jahresbeginn mit einer Vielzahl von Akteuren zu beginnen war richtig. Ihn fortzusetzen und dabei für andere Rahmenbedingungen zu sorgen ist das Gebot der Stunde.

Es gibt Erklärungen und Appelle, es gibt Weckrufe und Brandbriefe, es gibt Masterpläne und Positionspapiere, die nicht nur Kritik an den Zuständen und Sorge um die künftige Entwicklung zum Ausdruck bringen, sondern auch das Engagement vermitteln, durch eine gemeinsame Anstrengung und innovative Ideen das auf Grund gelaufene Schiff Schulbildung wieder flottzubekommen. Dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss ein geeigneter Rahmen geschaffen werden, den wir in unserem zweiten Antrag mit dem Bildungsforum detailliert beschreiben und der bewusst an die positiven Erfahrungen mit dem Bildungskonvent anknüpft.

Allerdings drängt die Lösung der aufgelaufenen Probleme, sodass ein vergleichsweise enger Zeitrahmen, enger als wir ihn damals hatten, für die Arbeit vorgesehen werden soll.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir können angesichts der Zustände in unseren Schulen und der Größe der Probleme keine Zeit und keine Ideen mehr verschenken.

(Beifall bei der LINKEN)

Lassen Sie uns gemeinsam   gemeinsam miteinander und gemeinsam mit anderen gesellschaftlichen Akteuren hier im Land   und im Schulterschluss mit den anderen Bundesländern Verantwortung übernehmen, Verantwortung teilen und konstruktiv an der Überwindung dieser Schulkrise arbeiten. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)