Tagesordnungspunkt 16

Beratung

Zukunftszentrum für Europäische Transformation und Deutsche Einheit

Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/146


Der Einbringer ist Herr Meister. Er steht schon fast direkt am Rednerpult. - Herr Meister, Sie haben das Wort.


Olaf Meister (GRÜNE):

Danke, Herr Präsident. - Sehr geehrte Damen und Herren! Zum Abschluss der Tagesordnung folgt ein Punkt, der möglicherweise nicht ganz so kontrovers ist. Er eilt allerdings etwas.

Die Bundesregierung hatte anlässlich des 30. Jubiläums der Deutschen Einheit eine Enquetekommission eingesetzt, die ihre Arbeit nach längerer und intensiver Diskussion mit einer Handlungsempfehlung abschloss, die angesichts eines konkreten Vorhabens aufhorchen ließ. Die Kommission empfahl, in einer ostdeutschen Stadt ein Zukunftszentrum Europäische Transformation und Deutsche Einheit einzurichten.

Das Zentrum ist dabei nicht als schmückendes Beiwerk gedacht, sondern es soll sich wissenschaftlich mit gesellschaftlichen Transformationsprozessen befassen. Es soll vor Ort aber auch Begegnungsstätte und Kulturstätte sein sowie für die Wissensvermittlung zuständig sein.

Die Erfahrungen der ostdeutschen Bevölkerung mit Transformation sollen gewürdigt, aber auch für die Zukunft nutzbar gemacht werden. Dass hier nicht nur pro forma ein Schild mit wohlklingendem Namen angeschraubt werden soll, sondern eine Institution entsteht, die weit über die Region hinaus wirkt, erkennt man, wenn man sich den Umfang des Projektes ansieht. Insgesamt geplante 180 Stellen und eine identitätsstiftende Architektur mit einem Bauvolumen von 200 bis 220 Millionen € - der Preisstand ist der heutige, also der des Jahres 2021 - zeigen eindrucksvoll, dass es der Bund ernst meint und dass das Zentrum für die Ansiedlungsregion eine bedeutende wissenschaftliche und kulturelle Einrichtung sein wird, natürlich auch mit positiven Folgen für die Wirtschaft und andere Bereiche des Lebens einer Stadt.

Insofern ist es nur wenig erstaunlich, dass diverse ostdeutsche Städte sich am aktuell anstehenden Städtewettbewerb beteiligen, um das Zentrum in die eigene Stadt zu holen. In Sachsen-Anhalt kenne ich entsprechende Bestrebungen aus Halle und Magdeburg.

Für die Ansiedlung gibt es diverse Kriterien. Eines davon ist naturgemäß die Erfahrung mit dem Thema Transformation und Deutsche Einheit. Wenn dafür eine Region oder ein Land in Deutschland steht, ist es Sachsen-Anhalt. Die deutsche Teilung traf unser Land besonders schwer. Aus einer zentralen Lage geriet es an den Rand, von einer tödlichen Grenze durchzogen. Das heutige Grüne Band, aber auch Gedenkstätten wie in Marienborn oder Hötensleben legen davon noch Zeugnis ab.

Die im Verhältnis zu den westdeutschen Bundesländern für unser Land sehr schweren Bedingungen, angefangen bei den Menschenrechten bis hin zur wirtschaftlichen Entwicklung in der DDR, haben uns geprägt. Im Jahr 1989 nahm die Bevölkerung ihr Schicksal mit der friedlichen Revolution selbst in die Hand. Sachsen-Anhalt, eben noch westlichster Vorposten des Ostblocks, rückte nun in die Mitte Europas.

Die Umbrüche waren jedoch so epochal wie einschneidend. Kaum ein Mensch in unserem Land hat nach der Einheit am selben Arbeitsplatz gearbeitet wie noch kurz zuvor. Erwerbsbiografien waren plötzlich entwertet, zumindest aber gebrochen. Viele wurden arbeitslos und verließen unser Land. Was eben noch galt und feste Gewissheit war, wich plötzlich großer Unsicherheit und Zukunftsangst.

Zugleich ergriffen viele die neuen Möglichkeiten einer freien Gesellschaft und bauten Neues auf, im Privaten, in der Wirtschaft, in der Kultur, in den Kommunen. Es war eine wirklich umfassende Umwälzung, eine Transformation, wie das im Politsprech so harmlos klingt, die uns Menschen in Sachsen-Anhalt geprägt hat und weiter prägt.

Wenn Leute von anderswo manchmal über die Wendungen und Ansichten Sachsen-Anhalts staunen, sei es das Magdeburger Modell, ungewöhnliche Wahlergebnisse, Populismus, Kenia, jetzt die CDU/SPD/FDP-Regierung, was auch eine ungewöhnliche Konstellation ist, muss klar sein, dass man Sachsen-Anhalt nur vor dem Hintergrund seiner Geschichte, einer Geschichte der Transformation, mit all den positiven und negativen Seiten verstehen kann.

(Siegfried Borgwardt, CDU: Was ist daran ungewöhnlich!)

- Da bist du dem Redefluss nicht gefolgt.

Natürlich haben auch andere ostdeutsche Länder solche Erfahrungen gemacht. Aufgrund der wirtschaftlichen Struktur und wohl auch der spezifischen Situation unseres Bundeslandes mit der deutlichen Nord-Süd-Gliederung plus Anhalt waren die Prozesse in Sachsen-Anhalt einschneidender als anderswo. Wir haben es bei bestimmten Dingen noch erlebt.

Es gab einmal diese Rote-Laterne-Kampagne. Ich fand die ganz schrecklich, weil sie zu einer Stigmatisierung des Landes führte. Aber der Anlass, der dazu führte, nämlich unsere häufig schlechten Werte bei bestimmten Parametern, ist genau auf die Situation zurückzuführen, dass wir so einen harten Transformationsprozess hatten. Der war härter als in anderen Regionen.

Obwohl diese Prozesse noch nicht abgeschlossen sind, kommen schon die nächsten Transformationen auf uns zu. Das alte, auf Braunkohle fußende Energieland Sachsen-Anhalt muss sich gerade neu erfinden mit regenerativen Energien, mit einem Strukturwandel im Revier und mit den Herausforderungen, die auch alle anderen treffen, wie die Digitalisierung, die Klimaneutralität, und den dramatischen Verhältnissen im Forstbereich, aber auch in der Landwirtschaft. Es ist eine Transformation mit all ihren Problemen und Chancen, wohin man blickt. Wenn irgendwo so ein Transformationszentrum hingehört, dann nach Sachsen-Anhalt.

(Zustimmung)

Ein weiteres Kriterium - damit komme ich abschließend zum Kern des Antrages - ist die inhaltliche Unterstützung durch das Land. Die wollen wir mit dem Antrag für Sachsen-Anhalt herstellen, indem wir uns als Land zu dem Ziel der Ansiedlung bekennen. Sachsen, unser Nachbarland, ist auf der Grundlage eines Kabinettsbeschlusses einen anderen konkreten Schritt gegangen und hat sich bereit erklärt, für sich bewerbende sächsische Kommunen insgesamt 150 000 € Unterstützung bereitzustellen. Wir sollten dem nicht nachstehen und unsere Kommunen jenseits von schwierigen kommunalen Haushaltslagen in die Lage versetzen, sich an diesem Städtewettbewerb mit der gebotenen Qualität beteiligen zu können.

Die Entscheidung über den Standort fällt schon in der ersten Hälfte des Jahres 2022. Wenn wir unsere Kommunen unterstützen wollen, müssen wir es jetzt tun und nicht erst in einigen Monaten. Insofern bitte ich um Zustimmung zum Antrag oder - ich kenne ja die Koalitionssituation - um die Vorlage eines zünftigen Alternativantrages. Damit könnten wir auch umgehen. - Danke.

(Zustimmung)