Guido Kosmehl (FDP):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes haben am 6. Juni einen neuen Landtag gewählt. Und sie haben dabei zwei Entscheidungen getroffen: Erstens. Sie haben die Freien Demokraten nach zehn Jahren außerparlamentarischer Opposition wieder mit einer Fraktion in den Landtag von Sachsen-Anhalt gewählt. Oder, um es abgewandelt mit den Worten von Marius Müller-Westernhagen zu sagen: „Wir sind wieder hier, in unserem Revier, waren nie wirklich weg, haben uns nur versteckt.“

(Beifall - Zurufe)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir Freien Demokraten in Sachsen-Anhalt wollen dem Vertrauensvorschuss der Wählerinnen und Wähler in den nächsten fünf Jahren gerecht werden und gemeinsam mit den Kollegen der CDU und der SPD unser Land gestalten, und zwar zum Wohle der Menschen hier in unserem Land, in unserem Sachsen-Anhalt.

(Zustimmung)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Wähler haben am 6. Juni eine zweite Entscheidung getroffen. Sie haben die Ränder kleiner gemacht, wenn auch aus meiner Sicht den rechten Rand nicht klein genug.

(Beifall)

Aber sie haben die Ränder kleiner gemacht und sie haben die Parteien der Mitte gestärkt.

CDU, SPD und FDP haben sich nach konstruktiven, aber auch intensiven Gesprächen auf ein gemeinsames Ziel für Sachsen-Anhalt verständigt und am Montag dieser Woche den Koalitionsvertrag unterschrieben.

Zum Inhalt des Koalitionsvertrages wird der Herr Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung in der nächsten Sitzungsperiode des Landtags Stellung beziehen und Ihnen, werte Kolleginnen und Kollegen der Opposition, die Einzelheiten erläutern.

Dass sich die Fraktion DIE LINKE nicht in Geduld üben kann, ist mit der Beantragung der Aktuellen Debatte heute deutlich geworden. Bisher war es immer - immer! - parlamentarische Praxis, dass der Ministerpräsident in der Sitzungswoche nach seiner Wahl eine Regierungserklärung abgibt. Wenn Sie Bedarf haben, ich habe die Daten da. Ich kann sie Ihnen auch vortragen. Sie konnten es nicht aushalten, und deshalb haben Sie diese Debatte beantragt, und deshalb sprechen wir heute darüber.

(Zuruf von Eva von Angern, DIE LINKE)

- Ja, Frau von Angern, wir haben noch viel Zeit, miteinander zu streiten. - Vielleicht ist es aber auch weniger die Ungeduld, vom Ministerpräsidenten die vielen guten und zukunftsweisenden Vorhaben der Deutschlandkoalition zu erfahren, als vielmehr die bestehende Bundestagswahl in zehn Tagen.

(Beifall)

Sie wollen, sehr geehrte Damen und Herren der LINKEN, heute die Gelegenheit nutzen, Wahlkampf zu machen. Aber, werte Frau von Angern, werte Damen und Herren der LINKEN: Aus meiner Erfahrung nach fast 30 Jahren Wahlkämpfen in der, für die und mit der FDP kann ich Ihnen sagen, Angst vor der 5%-Hürde ist nie ein guter Ratgeber, um Themen zu setzen.

Sie haben im Landtagswahlkampf versucht, eine Wessi-Ossi-Debatte aufzuziehen. Genutzt hat es Ihnen wenig. Nun versuchen Sie, mit der Begründung arm/reich und der Angst vor einer Regierungsbeteiligung der Freien Demokraten auf Bundesebene für sich Wählerstimmen zu gewinnen. Auch das wird Ihnen nicht gelingen, meine sehr geehrten Damen und Herren. Ich finde es bemerkenswert, dass Sie nicht mit eigenen Ideen, mit den Vorschlägen Ihrer Partei Wahlwerbung machen, sondern eher mit den Vorschlägen der anderen Parteien Angst schüren wollen, um sich besser darzustellen.

(Zurufe)

Ich werde jetzt nicht der Versuchung erliegen, Ihnen das Wahlprogramm der Freien Demokraten in der ganzen Breite zu erläutern. Ich will aber einen Punkt aufgreifen, den Sie in Ihre Begründung geschrieben haben. Da geht es um die möglichen steuerlichen Entlastungen und die Belastung für den Staatshaushalt. Dabei haben Sie, sehr geehrte Damen und Herren, bewusst verschwiegen, dass diese Entlastungen zu einem großen Teil gerade den kleinen und mittleren Einkommen zugutekommen, und das ist für uns Freie Demokraten eine Frage der Gerechtigkeit. Während 1970 in der alten Bundesrepublik jemand das Achtfache des Bruttodurchschnittslohnes verdienen musste, um den Spitzensteuersatz zu zahlen, war es 2020 nur noch das Anderthalbfache. Das kann doch nicht richtig sein! Hier müssen wir doch etwas tun!

Wenn sich bei jeder Tariferhöhung, bei jeder Lohnerhöhung oder bei jedem zusätzlichen Auftrag für ein Unternehmen oder einen Selbstständigen zuallererst die Finanzminister von Bund und Ländern freuen, weil die kalte Progression zuschlägt, dann kann das nicht so bleiben, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall)

Ich habe das Wahlprogramm der LINKEN mit Aufmerksamkeit verfolgt. Auch DIE LINKE will bestimmte Gruppen entlasten, und das würde nach Ihrem Verständnis zu Steuerausfällen führen. Sie verschweigen das, weil Sie pünktlich zu jeder Finanzdebatte wieder die Nebelkerze Vermögensteuer ausgraben und zünden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich halte die Einführung einer Vermögensteuer für verfassungsrechtlich nicht möglich. Das wird Sie nicht davon abhalten, solche Vorschläge vielleicht, wenn Sie eine Mehrheit hätten, wovor uns hoffentlich alle bewahren, ideologisch durchzusetzen. Aber Rot-Rot-Grün ist schon einmal bei einigen Projekten verfassungsrechtlich - ich sage einmal - auf den Hintern gefallen. Ich nenne als Beispiel den Mietendeckel in Berlin und das Parité-Gesetz in Thüringen. Es ist vielleicht manchmal so, dass man auf Juristen hören sollte, wenn sie verfassungsrechtliche Bedenken haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Vollständigkeit halber will ich einen zweiten Punkt nennen. Rein hypothetisch: Würden Sie die Vermögensteuer einführen, bedeutet das - und das wissen Sie auch  , dass Einnahmen erst Jahre später überhaupt in den Staatshalthalt kämen. Was machen Sie denn in der Zwischenzeit? Keine Entlastung? Warten Sie ab?

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für die Freien Demokraten steht fest: Es ist nicht die Zeit für Steuererhöhungen, es ist die Zeit für die Entlastung.

(Beifall)

Ein wichtiger Punkt - ich bin Frau Pähle dankbar, dass sie das angesprochen hat - ist ein Vorhaben dieser Koalition, das wir vereinbart haben, und zwar die coronabedingten Belastungen für den Landeshaushalt durch ein Sondervermögen abzufedern. Wir haben darum gestritten, auch um die Frage, wie hoch und was genau, aber ich glaube, wir sind zu der gemeinsamen Überzeugung gekommen, dass nach den Belastungen durch die Coronapandemie ein wirksamer Neustart der Wirtschaft und das Voranbringen der Digitalisierung nur gehen, wenn wir das nicht allein im Kernhaushalt machen. Deshalb werden wir für diesen engen Coronabezug das Sondervermögen auf den Weg bringen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich noch einmal auf Sachsen-Anhalt und den Landtag zurückkommen. Die Regierung unter Führung des Ministerpräsidenten, aber auch die Koalitionsfraktionen werden die im Koalitionsvertrag vereinbarten Vorhaben entschlossen umsetzen. Für uns Freie Demokraten gilt auch, dass der Landtag und seine Ausschüsse die Orte sind, an denen wir diskutieren und beschließen. Wir wollen und werden keiner Diskussion aus dem Weg gehen, sei sie auch noch so langwierig und sei sie unter Umständen auch schwer zu ertragen. In der parlamentarischen Demokratie ist es der Landtag, der entscheidet, und so wollen wir gemeinsam verfahren. Parlamentsrechte, insbesondere Minderheitenrechte im Parlament sind uns Freien Demokraten wichtig. Diese werden wir immer verteidigen.

Wenn aber, sehr geehrte Damen und Herren der AfD, solche Rechte benutzt werden, um die parlamentarische Demokratie zu diskreditieren und verächtlich zu machen, werden wir uns dem klar und entschieden entgegenstellen.

(Beifall - Zuruf: Wir auch! - Weitere Zurufe)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Ministerpräsident! Werte Mitglieder der Landesregierung! Die Freien Demokraten im Landtag von Sachsen-Anhalt werden Sie unterstützen. Wir werden Sie an manchen Stellen vielleicht auch antreiben. Aber wir haben ein hohes Vertrauen in die gesamte Landesregierung, und deshalb werden wir alles tun, damit wir gemeinsam unser Land Sachsen-Anhalt gestalten: stark, modern, krisenfest und gerecht. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Herr Kosmehl, es gibt eine Frage des Kollegen Siegmund. Sie können darüber entscheiden, ob Sie die beantworten wollen. Wollen Sie das?


Guido Kosmehl (FDP):

Heute nicht.

(Lachen)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Nein. Dann hat sich das erledigt.

(Zuruf: Da sieht man, wie Sie diskutieren wollen! Und Sie stellen sich den Problemen! Toll! - Weitere Zurufe)

- Stopp noch einmal! Ganz ruhig! Herr Kosmehl hat eine Fragestellung nicht zugelassen. Deshalb kann die Fragestellung nicht erfolgen. Noch einmal: Wenn Sie sichergehen möchten, dass Sie auf eine Rede etwas sagen können - das sage ich für die Abgeordneten, die erstmals in der achten Legislaturperiode dabei sind, alles natürlich intensiv gelesen haben, aber nicht alles in jeder Sekunde präsent haben  , dann gehen Sie ans Mikro. Wenn Sie dort stehen, ist es eine Zwischenintervention. Dann kann der Mensch, der vorne steht, nicht ablehnen. Wenn Sie sich melden, ist es eine Frage. Dann kann das derjenige, der vorne steht, ablehnen. Es gibt allerdings eine Ausnahme: Wenn derjenige, der vorne steht, Mitglied der Landesregierung ist, kann er es nicht ablehnen. Dann können Sie auch sitzenbleiben. Das wäre die Ausnahme.

Herr Gebhardt, was haben Sie noch?

(Stefan Gebhardt, DIE LINKE: Eine Kurzintervention! Deshalb stehe ich hier, Herr Präsident, und kann nicht anders! - Lachen)

- Damit haben Sie schon einmal demonstriert, wie man es machen soll. Ich gebe gern zu, Sie waren außerhalb meines Sichtfeldes, aber die Beweislast läge bei mir. Dann können Sie jetzt das Wort nehmen, und Herr Kosmehl kann darüber entscheiden, ob er darauf reagieren möchte. - Herr Gebhardt, Sie haben das Wort.


Stefan Gebhardt (DIE LINKE):

Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich mache es wirklich ganz kurz. Es ist nur eine Kurzintervention. - Ich möchte eigentlich meine Freude über etwas zum Ausdruck bringen: Das war seit längerer Zeit die erste Rede, die wir hier im Landtag von Sachsen-Anhalt wieder von einem Freien Demokraten gehört haben, noch dazu von dem geschätzten Kollegen Guido Kosmehl, der hier in den zehn Jahre zurückliegenden Legislaturperioden auch schon die eine oder andere Rede gehalten hat, die im Gedächtnis geblieben ist.

So wird das, zumindest bei mir, auch bei der heutigen Rede sein; denn - dafür möchte mich ganz herzlich bei ihm bedanken - Frau von Angern musste unser Steuerkonzept gar nicht groß erklären, das hat Guido Kosmehl außerordentlich gut gemacht. Er hat hier - im Gegensatz zu dem neoliberalen Zeitgeist, den seine Partei weiterhin einatmet - auch die Vermögensteuer als Alternativmodell demonstriert. Insofern herzlichen Dank. Herr Kosmehl, Sie haben damit bewiesen, dass Sie sich in den letzten zehn Jahren in Sachsen-Anhalt nicht versteckt haben, sondern dass Sie bei dem einen oder anderen durchaus aufgepasst haben.


Vizepräsident Wulf Gallert:

In Ordnung. - Ich sehe nach wie vor nicht den Wunsch nach einer Reaktion. Deswegen sind wir am Ende des Debattenbeitrages angelangt und können in der Rednerliste fortfahren.