Tagesordnungspunkt 20

Erste Beratung

Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Straßengesetzes für das Land Sachsen-Anhalt

Gesetzentwurf Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/1945


Ich bitte die Kollegen vorn links.

(Zurufe von der LINKEN: Also die Kollegen von der CDU! - Herr Tullner!)

  Ja, die Kollegen links von der CDU.

(Lachen im ganzen Haus)

Es ist in Ordnung, dass ihr euch dorthin gestellt habt, aber ihr seid trotzdem zu laut. Ich würde gern fortsetzen. Für diejenigen, die nicht wissen, wie spät es ist: Es ist 18:40 Uhr. Wenn wir auf unseren Zeitplan sehen, dann stellen wir fest, dass wir Nachholbedarf haben, also Konzentration.

Frau Lüddemann nimmt bitte Ihre schwarzen Gehhilfen und bringt den Gesetzentwurf ein.

(Guido Heuer, CDU: Schwarz ist immer gut!)

Das ist mir vorhin nur aufgefallen, weil sie so geglänzt haben.


Cornelia Lüddemann (GRÜNE):

Die Farbe habe ich mir in alter Verbundenheit ausgesucht. Die Farbe konnte ich mir aussuchen.

(Zuruf von Sandra Hietel-Heuer, CDU)

- Das passt zu allem.

(Lachen bei der CDU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Haben Sie schon einmal ein stationäres Carsharing-Angebot im öffentlichen Straßenraum gesehen?

(Guido Kosmehl, FDP: Ja!)

  Wunderbar, sehr gut. - Darum soll es jetzt nämlich gehen; denn es ist eine Seltenheit. An öffentlichen Straßen findet man eher selten solche Standorte, sodass die Suche nach den Carsharing-Fahrzeugen unter Umständen etwas dauern kann.

(Unruhe)

Die Standorte sind im öffentlichen Straßenraum nicht verortet, sie sind eher versteckt in Parkhäusern, Tiefgaragen, im Innenhof größerer Wohnsiedlungen, auf Parkplätzen von Supermärkten. Dann laufen Sie, sofern Sie ein Carsharing-Fahrzeug gebucht haben, mit dem Smartphone in der Hand und suchen erst einmal das gebuchte Auto. Wir wollen, dass diese gut sichtbar, gut nutzbar, direkt auf Parkplätzen am Straßenrand zu finden sind, was heutzutage nicht die Regel ist.

Warum ist das so? - Weil Parkplätze am Fahrbahnrand formal zur Straße gehören und einer Sondernutzung unterliegen. Daher finden sich Carsharing-Angebote in Sachsen-Anhalt für gewöhnlich auf privaten Stellflächen. Dazu zählen auch Supermarktparkplätze. Das ist ein Problem; denn es ist nutzerunfreundlich und ein wirklicher Hemmschuh für den Wachstumsmarkt Carsharing. Diese flächenmäßige Beschränkung muss beendet werden.

Der Bund hat über sein Carsharing-Gesetz Ortsdurchfahrten im Zuge von Bundesstraßen für Carsharing-Angebote geöffnet. Die Kollegen aus der letzten Legislaturperiode werden sich erinnern: Wir hatten damals darüber gesprochen, dies eventuell im Zuge der Bauordnung aufzugreifen, aber dazu kam es nicht. Deswegen fehlt bis heute eine gesetzliche Regelung für die Zuständigkeit zur Umsetzung dieses Bundesgesetzes. Das wollen wir mit der Nr. 3 unseres Gesetzes und der entsprechenden Klarstellung in § 18 des Straßengesetzes endlich regeln.

Noch wichtiger, weil zahlenmäßig um ein Vielfaches höher, sind die potenziellen Stellplätze an Landes- und an kommunalen Straßen. Entsprechend haben sich einige Länder diese Bundesregelung zum Vorbild genommen und Carsharing an eben diesen Straßen ermöglicht, also den gesetzlichen Rahmen für entsprechende Sondernutzungen geschaffen und ein Ausschreibungsverfahren festgelegt.

Wir wollen Carsharing-Fahrzeuge im öffentlichen Straßenraum, auf den Parkplätzen an den großen Straßen, in den Städten und Gemeinden; denn diese Angebote sollen bestmöglich sichtbar und nutzbar sein. Dafür braucht es eben den neuen § 18a im Straßengesetz. Hierbei geht es eigentlich schlicht und ergreifend um die Umsetzung von Bundesrecht in Landesrecht, wie wir es an vielen Stellen gewöhnt sind.

Kommunen im Land können sich über Sondernutzungssatzungen auch diesem Anliegen widmen. Das ist möglich, aber es ist nicht sinnvoll, weil es einen Flickenteppich zur Folge hätte und wir wollen eine landesweit einheitliche Regelung. Nur diese landesweiten Regelungen für Carsharing-Angebote sind eben gut praktikabel, weil sie dann einheitlich sind. Sie schaffen gute und handhabbare Bedingungen für den Carsharing-Markt in Sachsen-Anhalt.

Neben dem Nutzen für das individuelle Mobilitätsverhalten geht es uns um gute Rahmenbedingungen und gute wirtschaftliche Standortbedingungen, also um grüne Wirtschaftsförderung im Sinne der Mobilitätswende.

Warum wollen wir das Teilen des Autos befördern? - Jedes stationäre Carsharing-Fahrzeug kann bis zu zehn private Pkw ersetzen. Statt etlicher privater Stehzeuge wollen wir geteilte Fahrzeuge. Wir wollen Sharing-Fahrzeuge, die wirklich für Mobilität genutzt werden, die wirklich nur dann Kosten für Nutzerinnen und Nutzer verursachen, wenn sie gefahren werden.

Wollen wir als Land flexible, bedarfsgerechte und auch komfortable Mobilität fördern, dann braucht es diese gesetzliche Regelung.

Nun zum zweiten Teil unseres Vorschlags. Neben Carsharing steht auch der Radverkehr für die Zukunft der Mobilität. Denn der Radverkehr ist spätestens seit der rasanten Entwicklung der E-Bikes und der zunehmenden Verbreitung von Lastenrädern Garant für die Mobilitätswende.

Gerade E-Bikes und Lastenräder lassen die tagestauglichen Distanzen im Radverkehr deutlich steigen. Ist eine Strecke von 15 bis 20 km wahrscheinlich für die meisten von uns zu lang, um sie täglich mit dem Fahrrad zu pendeln oder eine Strecke zum Einkaufen zurückzulegen, so ändert sich das, wenn man ein E-Bike nutzt.

So ändert sich das gleich noch mal, wenn besagter Pendler auf einem Radschnellweg - sei es eine Radschnellverbindung oder eine Radvorrangroute, wie die beiden gängigen Definitionen gemäß der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen heißen - unterwegs ist. Dann kommt der Rad fahrende schnell, sicher und staufrei voran,

(Zustimmung bei den GRÜNEN - Zuruf von den GRÜNEN: Ja! - Zurufe von der CDU, von der AfD und von der FDP)

überwiegend getrennt von anderen Verkehrsteilnehmenden. Bei Radschnellwegen im Sinne unseres Entwurfes reden wir also infrastrukturell primär über - ich zitiere - vom Gehweg getrennte selbstständige Radwege im Zweirichtungsverkehr

(Zuruf von der AfD)

gemäß der Definition in den Qualitätsstandards des Landes für Radverkehrsanlagen. Solche Art eigenständige Radwege wollen wir gemäß der Logik der Einteilung von Straßen klar definieren und die Baulastträgerschaft regeln; denn Radwege sind nicht mehr nur für den örtlichen Verkehr wichtig.

(Unruhe bei der AfD)

Der Radverkehr ist nicht mehr nur eine Form der Nachmobilität. Nicht umsonst ist das offizielle Piktogramm für Radschnellwege optisch angelegt an die Autobahnbeschilderung. Mittlerweile ist Radverkehr auch überörtlich von Bedeutung.

Damit einher geht die Sinnhaftigkeit, Radwege entsprechend ihrer Nutzung zu klassifizieren, wie es historisch für die Straßen nach und nach geschehen ist. Denn die Einteilung von Straßen ist althergebracht. Im Jahr 1879 wurden in Schleswig-Holstein anfänglich Straßenklassen per Gesetz definiert.

Zu Beginn des Autoverkehrs kannte man überwiegend nur innerörtliche Gemeindestraßen und Provinzstraßen. Später wurden Kraftfahrtbahnen, Reichsstraßen und Landstraßen erster und zweiter Ordnung eingeführt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden daraus die uns bekannten Kategorien „Autobahn“, „Bundesstraße“, „Landesstraße“ und „Kreisstraße“. Diese Einteilung hat sich bewährt. Sie besteht seit 70 Jahren. Und wir GRÜNE wollen diese Einteilung jetzt erweitern und analog auf Radwege übertragen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Auch Radwege verdienen Gesetzesrang nach diesem System.

Wir verstehen sie als gleichwertig zu den Straßen des motorisierten Verkehrs. Mit unserem Gesetz sind Radwege nicht nur mehr Anhängsel, nicht mehr nur Wege zweiter Klasse. Und: Sie können dann vor allen Dingen schneller geplant und gebaut werden, aus einer Hand.

(Zuruf: Richtig! - Kathrin Tarricone, FDP: Um Straßen zu nutzen?)

Das wollen ja alle,

(Unruhe - Kathrin Tarricone, FDP: Was? - Guido Kosmehl, FDP: Ja, selbstverständlich!)

wie ich dem Antrag der Koalition zur Planungsbeschleunigung entnommen habe.

(Unruhe)

Dann könnten wir uns an der Stelle einigen.

(Zuruf: Nee!)

In Sachen Radschnellwege gemäß Bundesdefinition gibt sich das Ministerium willig, aber leider, leider mit gebundenen Händen. Bundesförderungen werden aufgrund der Faktenlage ausgeschlossen, so lautet die Antwort auf eine Kleine Anfrage meinerseits zum Stand von Radschnellwegen. Das Kapitel kann nach Auffassung des Verkehrsministeriums hier im Land zuschlagen, etwa auch hinsichtlich des Vorhabens eines Radschnellweges zwischen Halle und Leipzig.

Aber dann kam die für mich dann doch überraschende Meldung im November - ich zitiere  :

„Für die weitere Planung des sächsischen Teils des geplanten Radschnellweges Halle-Leipzig hat der Freistaat Sachsen eine Förderzusage von rund 1,95 Millionen € vom Bund erhalten.“

Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung wird in diesem Zusammenhang zitiert:

„Mit der Förderzusage des Bundesverkehrsministeriums für die Planung des sächsischen Teils des Radschnellweges Halle-Leipzig haben die beteiligten Partner einen wichtigen Meilenstein erreicht. Jetzt geht es im nächsten Schritt darum, auch für den Bereich zwischen der Landesgrenze und der Stadt Halle (Saale) die finanziellen Grundlagen für die weitere Trassenplanung zu schaffen.“

- Also, hier für die Trasse bei uns in Sachsen-Anhalt.

Mit unserem Gesetzentwurf wäre im Hinblick auf diesen Radschnellweg klar: Die Baulastträgerschaft kann ob der Bedeutung dieser Verbindung beim Land liegen. Denn gerade in Respekt vor der kommunalen Selbstverwaltung beim Projekt „Radschnellweg Halle-Leipzig“ sollten wir die dortigen Gemeinden nicht alleine lassen. Wir haben in Kabelsketal gesehen, wie schwierig es ist, aus kommunaler Sicht einen solch übergreifenden Radweg zu bauen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Überregional bedeutsame Radwege sollten eben auch überregional verantwortet werden, inklusive Finanzierung. Bundesmittel sind dann aktiv einzuwerben und ggf. mit Landesgeld zu unterstützen. Die Planung für diesen Radweg könnte dann zügig erfolgen.

Unser Gesetz soll also den klaren politischen Willen ausdrücken: Wir wollen eigenständige Radschnellwege. Wir wollen Routen für einen zügigen, sicheren und bruchlosen Radverkehr.

(Zuruf: Ja!)

Wir wollen die Kommunen und insbesondere das Land direkt in die Pflicht nehmen für Planung und Bau von Radschnellwegen, also der Führungsform selbstständiger Radwege im Zweirichtungsverkehr.

Erlangt unser Gesetzentwurf Gesetzeskraft, dann werden wir in Zukunft direkt an unseren Straßen in Carsharingfahrzeuge einsteigen und losfahren können und beim Zurückbringen des Fahrzeugs nicht erst die Schranke von privaten Stellplätzen überwinden müssen. Dann gehören Sharingfahrzeuge zum normalen Straßenbild und zum alltäglichen Mobilitätsverhalten von hoffentlich immer mehr Menschen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dann werden wir Radwege als eigenständige Infrastrukturmaßnahmen zu betrachten lernen und Radfahren auf Radschnellverbindungen ganz neu erlebbar und nutzbar machen. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN - Guido Kosmehl, FDP, meldet sich zu Wort)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Danke sehr. - Herr Kosmehl möchte gern eine kurze Frage stellen.


Guido Kosmehl (FDP):

Ja. Vielen Dank. - Frau Kollegin Lüddemann, ich möchte Sie gern zweigeteilt fragen, welche Grundlage Sie sozusagen für das stationsbasierte Carsharing genommen haben. Da gibt es unterschiedliche Länderregelungen. Diese erscheint mir aus Hessen übernommen zu sein. Da würde ich Sie fragen, was Sie sich konkret als Ausschreibungskriterium vorstellen.

Die zweite Frage ist: Bei den Radschnellverbindungen oder Radschnellwegen haben Sie anders als Baden-Württemberg und Hessen die Landeszuständigkeit und die Landesträgerschaft nur dem überwiegend überregionalen Verkehr zugeschrieben. Sie haben also ausdrücklich nicht auf die regionalen Verbindungen gesetzt, die aber, wenn man sie in Landeshoheit geben könnte, auch eine andere Trägerlast bringt.

Was ist denn der Grund dafür, dass Sie sozusagen an der Stelle die Trägerschaft des Landes zum Bau von Radschnellwegen eher zurückfahren und das dann doch lieber eher den Kreisen oder Gemeinden überlassen wollen?


Cornelia Lüddemann (GRÜNE):

Wir haben einen ganz klaren Fokus. Wir haben in diesem Hohen Hause schon mehrfach über Radschnellwege diskutiert. Da steht zuvorderst - das habe ich hier als Beispiel genommen - die Verbindung zwischen Halle und Leipzig. Da gab es immer wieder Hochs und Tiefs und fehlende Stadtratsbeschlüsse und fehlende Planungskapazitäten etc.

Ich glaube, das ist ein Beispiel dafür, dass wir tatsächlich mit diesen übergeordneten Radschnellwegen anfangen müssen, um dann auch zu zeigen - ich entnehme Ihrer Frage, dass Sie sich ein wenig mit der Thematik beschäftigt haben  , dass gerade auch die Bundesdefinition auch bestimmte Nutzungsfrequenzen vorschreibt, dass wir das bei diesen Radwegen zuerst gegeben sehen.

Und wenn man Sie sich die Strecke angucken und sehen, wie Leute dort mit Fahrrädern unterwegs sind, wie auch die Fahrradmitnahme dort auf der Zugstrecke funktioniert, erscheint es mir wirklich sinnvoll, sich auf diese Strecken zu konzentrieren.

Zu der ersten Frage. Da haben wir uns tatsächlich am Bundesgesetz und an der einfachen - in Anführungsstrichen; sonst würde es nicht so lange dauern - Umsetzung hier im Land orientiert. Ich halte das, ehrlich gesagt, auch nicht für kompliziert.


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Ja.


Guido Kosmehl (FDP):

Nur eine kurze Nachfrage. Das heißt aber, Sie schließen nicht aus, dass es auch Radschnellwegeverbindungen im ländlichen Raum in Sachsen-Anhalt geben kann?


Cornelia Lüddemann (GRÜNE):

Ja, natürlich.


Guido Kosmehl (FDP):

Ich frage, weil Ihr Bezug jetzt nur die Stecke Halle-Leipzig betrifft.

(Zuruf: Halle-Magdeburg!)

Es würde eine Radschnellverbindung zwischenzeitlich z. B. zwischen Bitterfeld-Wolfen und Dessau vielleicht sogar mehr Sinn machen.


Cornelia Lüddemann (GRÜNE):

Ich kann nicht sagen, ob das mehr Sinn macht. Aber es gibt ja noch andere Bestrebungen. Es gibt zwischen Schönebeck und Magdeburg eine Initiative.

(Zuruf: Aha!)

Das will ich überhaupt nicht ausschließen, das schließt unser Gesetzentwurf auch nicht aus. Es gibt Menschen, die das wollen. Ehrlich gesagt: Ich bin nicht diejenige, die sagt, die sollen so oder so unterwegs sein. Wenn ich sehe, dass es Menschen gibt, die das wollen, sollen sie es auf einem sicheren Radweg tun.

(Zurufe von der CDU, von der AfD und von der FDP)