Tagesordnungspunkt 27

Beratung

Rettungsschirm für die Krankenhäuser in Sachsen-Anhalt - Daseinsvorsorge im Land absichern!

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/1853


Einbringerin für die Fraktion ist die Abg. Frau Anger. Frau Anger, Sie haben das Wort.


Nicole Anger (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der eigentliche Zeitpunkt für die Debatte und die Einbringung unseres Antrags war kurz vor zwölf auf der Tagesordnung, sinnbildlich für die Situation selbst;

(Beifall bei der LINKEN)

denn wir steuern auf eine Katastrophe unseres Gesundheitssystems zu. Ich kann mir in der Tat nicht vorstellen, dass Sie, liebe Vertreterinnen der Koalition und der Landesregierung, das Steuer in Richtung dieser Katastrophe nicht doch noch herumreißen wollen, aber der Reihe nach.

Wer genau hinhörte und hinsah in den letzten Jahren, der kann jetzt in der Tat nicht überrascht sein. Zuletzt im September waren sowohl die Gesundheitsministerin als auch die gesundheitspolitischen Sprecherinnen der Fraktionen bei der Mitgliederversammlung der Krankenhausgesellschaft in Halle. Dort wurde uns sehr deutlich dargestellt, wie schwierig, ja, wie katastrophal die Situation der Krankenhäuser im Land in Kürze werden wird,

(Zustimmung bei der LINKEN)

wenn nicht schnellstens etwas passiert. Es muss nicht irgendwas passieren. Die Kliniken und vor allen Dingen unserer kommunalen und landeseigenen Krankenhäuser benötigen liquide Mittel. Sie brauchen Geld. Dr. G. von der Deutschen Krankenhausgesellschaft stellte deutlich dar, wie es um die Häuser aktuell bestellt ist. Im laufenden Jahr schreiben 60 % der Krankenhäuser rote Zahlen. Im Jahr 2023 werden es 80 % sein. Ursächlich dafür sind erstens das unsolidarische System der Fallpauschalen, zweitens die im Sommer eingestellten Coronaausgleichszahlungen sowie drittens die extrem steigenden laufenden Betriebskosten.

Infolge des Selbstbefassungsantrages meiner Fraktion zu einem Fachgespräch am 19. Oktober im Sozialausschuss stellten uns die Vertreter der Krankenhausgesellschaft und des Verbandes der kommunalen und landeseigenen Kliniken die Situation dezidiert für Sachsen-Anhalt und für unsere Krankenhäuser dar. Dabei wurde hoffentlich nicht nur mir klar, vor welcher Situation die Krankenhäuser und damit die Menschen in unserem Land stehen: Das Gesundheitssystem steht auf der Kippe. Den ersten Kliniken droht, im Januar in Insolvenz zu gehen.

Wie konnte es so weit kommen? - Nun, erstens sind die vor fast 20 Jahren eingeführten Fallpauschalen ein unflexibles wie unsolidarisches und, wie sich zeigt, scheiterndes Finanzierungssystem.

(Beifall bei der LINKEN)

Gerade die kommunalen und landeseigenen Häuser, die die Grundversorgung anbieten und dafür auch den Auftrag haben, verzeichnen damit auch die schlechtesten Einnahmen. Sie können sich nicht am Gewinn orientieren. Sie können den Patient*innen nicht eben mal so Rechnungen ausstellen. Für mich, für uns als LINKE ist es grundsätzlich der richtige Ansatz; denn mit der Gesundheit der Menschen macht man keine Profite. Die Gesundheit der Menschen ist keine Ware.

(Beifall bei der LINKEN)

Dennoch müssen die Behandlungen im Klinikum auch dessen Ausgaben refinanzieren und das passiert durch die Fallpauschalen eben nicht. Die Folgen haben wir in Form von Privatisierungen oder auch Schließungen in der Vergangenheit erleben müssen. Die Auswirkungen spüren die Menschen täglich. Insbesondere im ländlichen Raum reden wir schon lange nicht mehr von einer wohnortnahen Versorgung. Der Begriff der Daseinsvorsorge wird dort ad absurdum geführt.

Auf dieses bereits unterfinanzierte System traf zweitens die Coronapandemie. Damit sanken zum einen die Zahlen der Patientinnen und zum anderen die Einnahmen weiter. Dies alles passierte bei einem gleichzeitigen Anstieg des Aufwands im Klinikalltag. Die notwendigen Hygienemaßnahmen und die erforderliche und richtige Isolation von Patientinnen erschweren dennoch die Arbeit. Bei der Isolation von Patientinnen muss sich die Pflegefachkraft bspw. zur Betreuung immer erst den Vollschutz anziehen und danach wieder ausziehen.

Ohne Frage, wir stehen zu diesen Hygieneanforderungen, um insbesondere vulnerablen Menschen, wie wir sie ja in Krankenhäusern haben - sonst wären sie nicht dort  , zu schützen. Dennoch: Das kostet Zeit und es kostet Material. Vor allen Dingen Zeit steht so schon kaum zur Verfügung. Die Folge: weniger Kapazitäten, weniger Behandlungen, weniger OPs, ergo weniger Einnahmen. Volllast zu fahren mit den Hygienestandards, ist nicht möglich.

Die Hygienestandards sind jedoch unbestritten. Daher gab es ja auch bis zum 30. Juni dieses Jahres richtigerweise einen Coronaausgleich, um den pandemiebedingten Mehraufwand zu refinanzieren. Diese Ausgleichzahlung ist aber seit dem 1. Juli eingestellt. Der Aufwand ist geblieben. Die Beendigung der Coronaausgleichszahlungen war ein Fehler. Hierdurch entsteht das nächste Defizit.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Nun kommen drittens auch noch die Energiekrise und eine enorme Inflation hinzu. In allen Bereichen steigen die Preise. Laut dem Verband der kommunalen und landeseigenen Krankenhäuser sind die Kosten für Gas und für Fernwärme um 44 %, für Strom um 33 %, für Dienstleistungen um 30 %, für medizinische Gase um 35 %, für Lebensmittel um 15 % bis 20 % und für Arzneimittel um 10 % gestiegen. Das hörten wir im Sozialausschuss.

Die Krankenhausgesellschaft geht allein für die Energiekosten der Einrichtungen insgesamt von einer Steigerung um 100 Millionen € pro Jahr aus. Seit dem Auslaufen der Corona-Ausgleichszahlungen, also seit Juli dieses Jahres, schreiben die Kliniken Defizite in Höhe von 500 000 € bis 1 Million € pro Monat. Das bedeutet für die letzten fünf Monate zwischen 2,5 Millionen € und 5 Millionen € pro Haus.

Die gewährte Steigerungsrate der Pauschale liegt bei 2,3 % im laufenden Jahr. Für das kommende Jahr wird sie ähnlich sein. Der Kostenzuwachs, also die reale Kostensteigerung, liegt in diesem Jahr aber bei 10 % bis 15 % und im kommenden Jahr bei 20 %. Das ist nahezu das Zehnfache der Steigerungsrate. Meine Damen und Herren! Man muss kein Albert Einstein sein, um sich auszurechnen, dass die Einnahmen die Ausgaben bei Weitem nicht mehr decken werden.

Ganz konkret: Ein kommunales Klinikum teilte mir mit, dass deren Minus im November 4 Millionen € betrug. Im Dezember wird es fast 6 Millionen € betragen und im Januar dann deutlich mehr als 10 Millionen €. Damit ist im Januar auch der Kreditrahmen des Klinikums überschritten und das Haus ist insolvent. Die Menschen werden dann vor verschlossenen Türen stehen. Die medizinische Versorgung, ob nun die Grundversorgung oder die Notfallversorgung, ist nicht mehr gewährleistet. - Ich male hier nicht einfach einmal so ein Schreckensszenario - das sind die Aussagen der Klinikleitung.

Die Defizite haben sich mindestens über die letzten zwei Jahre, wenn nicht sogar schon länger, aufgebaut und neben aktuell gravierend zu. Die Krankenhäuser benötigen diesen Rettungsschirm dringend.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich hoffe nicht, dass Sie eine eiskalte Marktbereinigung betreiben wollen. Das ginge nämlich zuvorderst zulasten unserer kommunalen und landeseigenen Kliniken. Sie würden diese Einrichtungen der kommunalen Daseinsvorsorge damit fahrlässig die Klippe hinunterstoßen.

Meine Damen und Herren! Die Vertreterinnen der im Bund regierenden Fraktionen werden sich jetzt wahrscheinlich zurücklehnen und auf das Entlastungspaket verweisen. Ich sage Ihnen, der Inhalt dieses Päckchen ist schneller verpufft, als Sie das Geschenkpapier abgemacht haben. Ja, 8 Milliarden € klingen wie eine immense Summe. Aber sortieren wir dieses Geld einmal.

4,5 Milliarden € sind für die steigenden Energiekosten. Dafür soll die Differenz von September bis Dezember 2021 zu 2022 zugrunde gelegt werden. Pech haben dann die Krankenhäuser, die klug waren und langfristige Verträge abgeschlossen haben, welche im Jahr 2022 noch nicht verändert wurden. Ihre Kosten werden erst im Jahr 2023 steigen. Sie bekommen also nichts.

Außerdem gibt es 1,5 Milliarden €, die pro Bett ausgeteilt werden. Teilt man das durch die bundesweite Bettenzahl, kommt man auf etwa 3 000 € pro Bett. Bei einer Klinik mit 500 Betten sind das einmalig 1,5 Millionen €, ein Tropfen auf den heißen Stein.

Sollte man nicht zumindest darüber nachdenken, diese beiden Summen zu tauschen? Wollen Sie das nicht mal Ihrem Bundesgesundheitsminister vorschlagen, liebe Kollegen von der SPD? 4,5 Milliarden € für die Bettenzahlen - das wäre etwas ausgewogener als das bis dato Angedachte, auch wenn es bei Weitem nicht in Gänze reicht.

Ich erinnere daran, dass wir nicht nur über enorme Kostensteigerungen für Energie reden, sondern auch für Lebensmittel, Medikamente und Verträge mit Dienstleister*innen, die zum Teil Erhöhungen von bis zu 50 % angekündigt haben. Diese Kostensteigerungen sehe ich noch nicht ausgeglichen. Außerdem werden die Mittel nicht rechtzeitig im Land ankommen. Die Bundesregierung schafft jetzt erst einmal in aller Ruhe die rechtlichen Grundlagen zur Verteilung der Mittel. Dies ist richtig, schließlich sollen die Einrichtungen profitieren, die ein Minus schreiben.

Bis Mitte Februar sollen durch die Einrichtungen die Meldungen an das Bundesamt für Soziale Sicherung erfolgen. Wann die Zahlungen erfolgen, ist unklar. Aber definitiv wird vor Januar kein Euro bei diesen Kliniken ankommen, wahrscheinlich auch nicht vor Februar. Außerdem werden die Mittel noch aufgeteilt. Sie sollen von Oktober 2022 bis März 2024 reichen, d. h. sie werden auf 18 Monate gestreckt. Ich frage Sie: Wie viel Geld kommt dann wirklich noch rechtzeitig beim Krankenhaus an und wann kommt es an? Auch der Ministerpräsident hat sich das heute Morgen im Rahmen der Regierungserklärung gefragt und zugesagt, dass die Landesregierung ihr Mögliches tun wird.

Weil die Mittel des Bundes nicht ausreichen und sie nicht rechtzeitig da sein werden, braucht es dringend einen Rettungsschirm des Landes und zwar jetzt.

(Beifall bei der LINKEN)

Damit das Geld auch dort ankommt, wo es gebraucht wird, verbinden wir den Rettungsschirm mit der Auflage, dass es im kommenden Kalenderjahr zu keiner Leistungseinschränkung kommen darf. Andere Bundesländer wie Thüringen, Brandenburg und Niedersachsen zeigen uns, dass es geht. Die Nachbarbundesländer haben die sich anbahnende Katastrophe erkannt. Überall dort springt das Land in die finanzielle Bresche und rettet seine Kliniken.

Fakt ist, dass die Krankenhäuser hier im Land noch in diesem Jahr den Rettungsschirm benötigen, damit keines der Häuser zu Beginn des kommenden Jahres seine Pforten schließen muss. Denn gerade die Kommunalen haben ihre Häuser 24/7 offen. Nach 17 Uhr, wenn andere schließen, ist der Zulauf bei den Kommunalen am Größten. Sie sind es, die die Daseinsvorsorge im Land bisher abgesichert haben. Sie haben uns in den letzten zweieinhalb Jahren der Pandemie wertvoll unterstützt und tun dies auch weiterhin. Jetzt brauchen sie eine Absicherung und diese darf ihnen nicht verwehrt werden. Wir müssen handeln, heute und jetzt! - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

 

Vizepräsident Wulf Gallert:

Ich sehe keine Fragen. - Doch, Herr Rausch, ganz am Anfang. Entschuldigung. - Wollen Sie eine Frage von Herrn Rausch beantworten?  - Das will sie nicht. Damit sind wir am Ende des Redebeitrages angelangt und wir kommen zur Dreiminutendebatte.