Prof. Dr. Armin Willingmann (Minister für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Abg. Eisenreich hat einen Überblick über 30 Jahre Wirtschaftspolitik in Deutschland geboten - mit Grundsatzaussagen zur Tarifautonomie, von der ich mir nach wie vor erhoffe, dass Sie an ihr festhalten; denn nachdem Sie die ganze Zeit die staatliche Lenkung von Preisen wollten, haben Sie sich dann auf einmal uneingeschränkt hinter die Forderung der Gewerkschaft gestellt. An deren Berechtigung muss man gar nicht zweifeln, aber hierbei sind wir uns zumindest, so hoffe ich doch, darin einig, dass es dort keines staatlichen Eingriffes bedarf. Wir vertrauen weiterhin auf die Tarifparteien.

(Hendrik Lange, DIE LINKE: Das ist eine Ablenkungsdebatte!)

Wir haben gerade einen sehr umfangreichen Beitrag der LINKEN zu dem Thema gehört, das eigentlich hieß: „Die Menschen im Land sofort verlässlich entlasten - staatliche Preiskontrolle auf den Energiemärkten durchsetzen.“ - Gestatten Sie mir, dass ich dazu ein paar Anmerkungen aus der Sicht der Landesregierung mache.

Meine Damen und Herren! Sie haben gerade gehört, dass all diese Maßnahmen, die in den vergangenen Monaten infolge der Veränderung am Energiemarkt ergriffen worden sind - das ist natürlich eine Folge des russischen Überfalls auf die Ukraine  , keine Gnade vor den strengen Augen der Frau Abg. Eisenreich gefunden haben. Ich sehe das etwas anders. Sie gestatten mir, dass ich das einmal kurz in Erinnerung rufe.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Prof. Willingmann, ich muss Sie einen Augenblick unterbrechen. Ich bekomme Signale, dass Sie schlecht zu verstehen sind. Ich habe erst gedacht, das liegt daran, dass die Gäste gerade die Besuchertribüne verlassen. Vielleicht können Sie das Rednerpult etwas anders einstellen. - Vielen Dank.


Prof. Dr. Armin Willingmann (Minister für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt):

Wollen wir das so machen? Geht es besser?

(Ja! bei der CDU)

- Das ist schön. Ich fühle mich auch gleich wohler.

(Lachen - Guido Heuer, CDU: Du bist auch größer!)

- Ja, das Pult ist größer, nicht ich. Ich schrumpfe. Ich versuche es aus dieser Perspektive. - Vielen Dank für den Hinweis, Frau Präsidentin.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie uns doch einmal einen Moment bei den 300 Milliarden € bleiben, die inzwischen seit dem 24. Februar, infolge des russischen Überfalls, ausgelobt wurden. Man muss nicht jede einzelne Maßnahme für gut halten. Man kann zu Recht kritisieren, dass nicht alles sofort passgenau war, aber es ist doch immerhin einiges geschehen.

Deshalb scheint es mir wichtig, dass ich daran erinnere, dass wir am vergangenen Montag im Bundesrat die Dezember-Soforthilfe beschlossen haben. Damit ist das parlamentarische Verfahren durchlaufen worden. Damit wird es zu entsprechenden Entlastungen bei den Abschlagszahlungen für den Dezember kommen. Das gilt für die privaten Haushalte genauso wie für die KMU und für die sozialen Einrichtungen.

Wir sehen im Eckpunktepapier, das von der Koalition, von der Bundesregierung beschlossen wurde, dass wir entsprechende Präliministen für die Energiepreisbremsen haben. Die Gas- und Wärmepreisbremse wird aller Voraussicht nach sicher im März 2023, wenn möglich schon im Februar 2023 greifen. Die Werte wurden gerade schon einmal vom Abg. Gallert genannt. Sie sind auch vom Kollegen Schulze kurz angerissen wurden. Ich darf Sie auch noch einmal in Erinnerung rufen: 80 % des bisherigen durchschnittlichen Jahresverbrauchs sind preislich gedeckelt auf 12 Cent/kWh für Erdgas und auf 9,5 Cent/kWh für Fernwärme.

Ergänzend benötigen wir schnell wirksame Regelungen für Krankenhäuser und einen Härtefallfonds - auch das ist bereits beschlossen worden. Es muss in Gesetzeskraft gegossen werden. Gewiss, es hängt noch etwas hinterher, aber ist es jedenfalls in der Planung und es ist in Sicht.

Die Strompreisbremse, um die wir schon eine ganze Weile ringen, soll für alle Verbraucherinnen und Verbraucher ab Januar 2023 gelten: 80 % des bisherigen Verbrauchs für maximal 40 Cent/kWh. Zu Recht hat der Abg. Gallert vorhin darauf hingewiesen, dass wir in manchen Bereichen des Spotmarktes inzwischen schon eine ziemliche Annäherung an Vorkriegspreise haben. Dahin gehend hat sich in den vergangenen Monaten einiges getan. Das sehen Sie sowohl beim Gas- als auch beim Strompreis.

Im Ergebnis all dieser Maßnahmen werden ab Dezember alle Verbrauchergruppen und ein großer Teil der Wirtschaft entlastet, und das ganz wirksam. Dabei darf ich darauf hinweisen, dass wir als Land   das ist bereits vom Ministerpräsidenten ausgeführt worden   ein eigenes Entlastungsprogramm planen. Die Koalition hat das immer wieder in unterschiedlicher Tonalität gefordert. Wir warten in der Tat ab, was der Bund tut; denn es geht nicht darum, den Bund zu entlasten. Vielmehr geht es darum, eine komplementäre Regelung zu entwickeln, die an der Stelle, wo Lücken durch die Bundesregelung bleiben, passgenau für unsere Unternehmen im Lande greifen.

In Anlehnung an die Vorgaben der Europäischen Union sollen künftig Zufallsgewinne am Strommarkt abgeschöpft und Solidaritätsbeiträge von fossilen Stromkonzernen eingezogen werden - das sind Maßnahmen, die der Finanzierung und der Entlastung dienen. Das kommt doch schon ziemlich nahe an das heran, was Sie jetzt gerade gefordert haben. Natürlich wollen wir diese Windfall-Profits nutzbar machen, um sie als Finanzierung für die Entlastungsmaßnahmen, die ihresgleichen suchen, zu nutzen.

Zugleich sagen wir, dass das Thema Gewinnabschöpfung immer unter dem Gesichtspunkt zu sehen ist, dass zahlreiche Unternehmen auch eine finanzielle Basis brauchen, um die Energiewende zu vollziehen. Selbstverständlich muss Ihnen ein Teil des Ertrages verbleiben, um an dieser Stelle auf künftige Energieentwicklungen, auf Preisentwicklungen sowie auf Umbaumaßnahmen reagieren zu können. Deshalb sollte an dieser Stelle eine intelligente Lösung gefunden werden, die auf der einen Seite durchaus berechtigt abschöpft und auf der anderen Seite die Reinvestition von Erträgen begünstigt. Das halte ich für vernünftig. Für so etwas braucht man aber etwas Zeit. Dann kommt noch hinzu, dass es sinnvoll ist, diese Maßnahme innerhalb der Europäischen Union zu harmonisieren.

Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass es Länder gibt, die ebenfalls mit „Deckeln“ arbeiten. Diese sind sehr unterschiedlich. Der spanische ist bspw. ein Gaspreisdeckel, der sich auf die Stromerzeugung bezieht. Wenn man den Vergleich zwischen den Verbraucherpreisen in Spanien im September 2021 und im September 2022 zieht, dann ist eine Strompreissteigerung von durchschnittlich 60 % zu verzeichnen. In Deutschland liegt sie bei 35 %. Man kann nicht a priori aus der Tatsache heraus, dass anderenorts ein rigides Regiment eingeführt wurde, die Schlussfolgerung ziehen, dass der Verbraucherschutz günstiger läuft.

Mit der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Strompreisbremse werden Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland deutlich stärker und sicherer entlastet. Der aktuell laufenden Preissteigerungswelle wird somit deutlich Einhalt geboten. Der Preisdeckel bei 40 Cent/kWh entspricht im Vergleich zum Durchschnittspreis des Jahres 2021   dort lag er bei 32 Cent/kWh   einem Anstieg um 30 %. Deshalb bin ich auch nicht Ihrer Ansicht, dass wir es mit einer völlig dysfunktionalen Marktregulierung zu tun haben.

Man muss ehrlicherweise sagen: Der Gasmarkt funktioniert sogar. Er funktioniert vor allen Dingen dann, wenn wir uns im Moment einmal die Entwicklung auf den Spotmärkten anschauen; denn die haben ganz deutlich darauf reagiert, dass im Sommer eine volkswirtschaftlich ganz nachvollziehbare Entwicklung eingetreten ist: Das reiche Deutschland hat sich weltweit mit Flüssiggas eingedeckt, hat die Märkte gleichsam leergekauft und hat damit selbst den Preis in die Höhe getrieben. Jetzt haben wir fast ein Überangebot.

Es liegen Schiffe mit LNG auf Reede vor den europäischen Häfen. Sie würden löschen. Wenn sie noch ein bisschen länger durchhalten, dann hoffen sie darauf   das ist, horribile dictu, leider festzustellen  , dass die Preise wieder steigen, damit es sich noch mehr lohnt. Das ist alles unerfreulich. Aber Tatsache ist: Die Versorgung an dieser Stelle ist recht ordentlich. Das zeigt übrigens auch, dass nach dem Abschalten von Nord Stream 1 und von Nord Stream 2 die Versorgung bei allen Unzulänglichkeiten, die wir noch haben, substituiert werden kann.

Nachdem wir ganz klar einräumen müssen   übrigens auch zur Kritik unserer europäischen Nachbarn, die feststellen, dass das reiche Deutschland die Märkte hier leergekauft hat  , dass wir selbst den Preis in die Höhe getrieben haben, müssen wir doch noch ein paar Dinge feststellen: Unsere europäischen Nachbarn substituieren, was unsere Gasversorgung betrifft. Norwegen, die Niederlande, das Vereinigte Königreich, Belgien - sie alle liefern uns Gas.

Wer hätte gedacht, dass in einer so kurzen Zeit von wenigen Monaten gestern das erste LNG-Terminal in Wilhelmshaven eröffnet wird? Mit der ersten Anlandung ist in den nächsten vier Wochen zu rechnen. Das war kaum zu erwarten im so überbürokratisierten Deutschland. Die Füllstände unserer Speicher liegen bei knapp unter 100 %, in Sachsen-Anhalt zum Teil bei 100 %. Die Industrie hat mehr als 20 % Energie eingespart. Das oft erwähnte Leuna, wirklich ein Vorzeigeort, muss man sagen, eine Einrichtung, mit der wir weltweit sichtbar sind, schafft es, den Gasverbrauch um 30 % zu reduzieren, ohne die Produktion zurückzufahren.

Der private Verbrauch ist im vergangenen Monat um 45 % gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen. Es greift. Insoweit kann man Herrn Müller zurufen: Bitte nicht weiter Kassandra rufen. Die Menschen haben verstanden. Sie reagieren. Sie sparen Energie ein und tragen ihren Beitrag dazu bei, dass wir die Ukraine unterstützen.

Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren, halte ich die bisher ergriffenen Maßnahmen der Bundesregierung für ausgesprochen sinnvoll. Die kleinen Unwägbarkeiten, die kleinen Ungeschicklichkeiten, insbesondere die Gasumlage, sind rechtzeitig vom Tisch genommen worden.

Die damit verbundene Umsatzsteuerreduktion ist erhalten geblieben, obwohl sie ursprünglich zur Finanzierung und zur Gegenfinanzierung der Gasumlage dienen sollte.

Kurzum: Es sind die richtigen Maßnahmen ergriffen worden. Das ist die Antwort der Landesregierung auf ihren Antrag. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der SPD und von Andreas Silbersack, FDP)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Vielen Dank, Herr Prof. Willingmann. Es gibt eine Frage von Herrn Gallert.


Wulf Gallert (DIE LINKE):

Herr Minister, bei dieser Debatte geht es tatsächlich in erster Linie darum, dass der Staat sehr wohl im Eigeninteresse versucht, die Übergewinne, die Superprofite, die es in dieser Energiekrise auf dieser Seite ja explosionsartig gibt, abzuschöpfen. Jetzt haben Sie eine kurze Bewertung der spanischen Strompreisbremse gebracht, haben dann noch einmal diese Geschichte mit der Übergewinnsteuer erwähnt und gesagt, man müsse mal gucken, wie es mit Europa ist.

Also, zurzeit explodieren die Gewinnerwartungen, sie explodieren bei E.ON, sie explodieren bei RWE, über Total will ich gar nicht reden. Das bezahlen wir gerade alle an der Tankstelle, weil das keiner kontrolliert. Jetzt frage ich mal: Wann soll denn in Deutschland eine solche Strompreisbremse kommen? Was ist denn eine realistische Erwartungshaltung? Spanien hat die Strompreisbremse seit einem dreiviertel Jahr. Deswegen gibt es dort inzwischen erhebliche Standortvorteile. Wann soll es denn nun in Deutschland kommen? Wie ist denn Ihre Prognose?


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Willingmann, bitte.


Prof. Dr. Armin Willingmann (Minister für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt):

Herr Gallert, vielen Dank für Ihren Hinweis und die Gelegenheit, noch einmal darauf zu antworten. Es gibt eine Verabredung, nämlich den Versuch zu unternehmen, es europaweit zu regeln. Sollte das nicht gelingen, dann werden wir eine eigene landesweite Regelung ergreifen. Und es gibt im Moment Abstimmungsbedarf innerhalb der Europäischen Union.

Ich halte das für sinnvoll; denn wir sehen auch, dass die unterschiedlichen Regelungen von Strom- und Energiepreisbremsen dazu führen, dass sich die Nachbarländer gleichsam beim Nachbarn bedienen und dort dazu- und einkaufen. Damit lösen sie wiederum unerwünschte Preiseffekte aus. Vor diesem Hintergrund ist die Idee, die die Bundesregierung verfolgt, völlig richtig, nämlich eine einheitliche Lösung zu finden. Und diese muss möglichst schnell kommen, also im ersten Quartal 2023 auf jeden Fall.