Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist schon erschreckend, aber nicht überraschend, mit welch abwertendem Blick die Abgeordneten der AfD auf die jungen Menschen in unserem Bundesland blicken.

(Oh! bei der AfD)

Anders kann man sich den vorliegenden Antrag nicht erklären. Jenseits belegbarer oder belegter Fakten allein aus dem Bauch heraus, wo bei Ihnen der sogenannte gesunde Menschenverstand sitzt, behaupten Sie eine Bildungsrealität, die es so einfach nicht gibt, und nutzen das zur Begründung Ihres kruden Antrags. Das hat damals übrigens schon Sokrates so gefühlt, und es war damals so unwahr wie heute. Der Soziologe David Finkelhor hat dafür sogar ein Wort erfunden: „Juvenoia“, die Panik vor der sich fort und anders und weiterentwickelnden Jugend.

Ich weiß nicht, ob Sie überhaupt echte Jugendliche kennen oder woher Sie sonst Ihre Einschätzungen nehmen.

(Zurufe von der AfD)

Die Wissenschaft jedenfalls ist sich in dieser Frage nicht einig. Die Frage, wie sich die Intelligenz und die Bildungstiefe von Jugendlichen mit Schulabschluss entwickelt, ist in Deutschland wenig erforscht, und die Ergebnisse dieser Forschung sind widersprüchlich. Aber wozu auch Wissenschaft, wenn man ein Bauchgefühl hat oder eines bedienen will? Subjektiv jedenfalls bleibt jedes abgelegte Abitur, jede erfolgreiche mittlere Reife, auch jeder erfolgreiche Hauptschulabschluss eine Bildungsleistung, die für den weiteren Lebensweg qualifiziert und die es deshalb zu fördern und nicht zu erschweren gilt. Moderne Pädagogik schafft das, schafft Bildungserfolg ohne höheren Leistungsdruck.

Wir Bündnisgrünen setzen uns dafür ein, dass an den Schulen in Sachsen-Anhalt länger gemeinsam gelernt wird, um Bildungsbiografien durchlässiger zu machen, indem der Ausbau von Gemeinschaftsschulen in unserem Bundesland verstärkt wird; denn Bildungsungerechtigkeit, die den schulischen Erfolg für viele Schülerinnen und Schüler schmälern kann, beginnt in unserem Bundesland ausgesprochen früh, spätestens in der 4. Klasse, wenn die Lehrkräfte eine Empfehlung für die schulische Laufbahn abgeben und die Eltern entscheiden, wie sich der Bildungsweg ihrer Kinder bis auf Weiteres gestalten wird. Wir alle kennen Spätentwicklerinnen und Spätzünder, und selbst bei normaler Entwicklung ist es Kaffeesatzleserei, bei Zehnjährigen die Leistungsfähigkeit für eine ganze Bildungsbiografie vorhersagen zu wollen.

(Zustimmung von Olaf Meister, GRÜNE)

An Gemeinschaftsschulen haben die Schülerinnen und Schüler die Freiheit und auch die Verantwortung, selbst zu entscheiden, ob sie nach zehn oder 13 Schuljahren die Schule mit welchem Abschluss verlassen, je nachdem, wie sie sich in den Jahren entwickeln und welche Ziele sie haben, welche Stärken sie ausbilden usw.

Wir Bündnisgrünen kämpfen dafür, dass Schülerinnen und Schüler genau diese Freiheit erhalten. Wir setzen uns für mehr Gemeinschaftsschulen, für mehr Bildungsgerechtigkeit, für mehr Bildungschancen in Sachsen-Anhalt ein, damit alle Kinder faire Bildungschancen erhalten, ohne dass diese von ihrem sozialen Hintergrund vorherbestimmt werden. Mehr Leistungsdruck ist ganz sicher nicht der Weg zu besseren Bildungsbiografien. Deshalb lehnen wir den vorliegenden Antrag der AfD-Fraktion selbstverständlich ab. Wir würden uns auch wünschen, dass wir ihn nicht im Ausschuss beraten müssen.

(Beifall bei den GRÜNEN)