Tagesordnungspunkt 28

Beratung

Daseinsvorsorge für die Jüngsten stärken: Qualität der Kindertagesbetreuung weiter ausbauen und Fachkräfte der Kindertagesbetreuung entlasten

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/1569


Frau Anger wird den Antrag einbringen. - Frau Anger, bitte schön.


Nicole Anger (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich mit drei Zitaten beginnen.

Zitat 1: Mein Bildungsauftrag ist oft nur ein Betreuungsauftrag.

Zitat 2: Ich habe immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich krank bin. Meine Kollegin steht dann allein in der Gruppe; also gehe ich zum Dienst, bis es nicht mehr geht.

Zitat 3: Wann soll ich ein Gewaltschutzkonzept mit erarbeiten und wann meine Arbeit reflektieren, wenn ich mit meiner Kollegin 24 Kinder tagtäglich betreue? Bei Urlaub und Krankheit bekommen wir keinen Ersatz und sind allein für die Kinder verantwortlich.

Meine Damen und Herren! Das sind drei Aussagen von pädagogischen Fachkräften aus der Kindertagesbetreuung. Sie zeigen auf eindrückliche Art und Weise die Alltagsrealität für die vielen engagierten Erzieher*innen im Land. Geht man in die Praxis, sieht man sich die Betreuung vor Ort konkret an, dann stellt man schnell fest, dass eine pädagogische Fachkraft in der Kita schon einmal für mehrere Tage für 20 und mehr Kinder allein verantwortlich ist. Das ist kein Einzelfall, wie wir alle wissen.

Im letzten Jahr, meine Damen und Herren, hat Ver.di gemeinsam mit der Hochschule Fulda auch für Sachsen-Anhalt die starke Belastung der Fachkräfte und ihre daraus folgende Unzufriedenheit mit der Arbeitssituation dargestellt. Ich will Ihnen gern die Ergebnisse für Sachsen-Anhalt noch einmal darstellen; denn mir scheint leider, dass so etwas gern und ziemlich schnell in Schubladen gepackt wird und nicht gesehen wird.

Daher noch einmal eindrücklich: 42 % gaben an, dass sie zeitweise für mehr als 17 Kinder am Tag gleichzeitig verantwortlich sind, 22 % davon sogar für mehr als 21 Kinder. 45 % sagen, dass sie zu wenig Zeit haben, um auf die Wünsche und Bedürfnisse der Kinder einzugehen. 19 % gaben an, dass sie ihren pädagogischen Ansprüchen im Alltag nicht gerecht werden können. 47 % arbeiten häufig oder sogar sehr häufig unbezahlt außerhalb ihrer normalen Arbeitszeit, um die Arbeit bewältigen zu können. Und in jeder Kita fehlen im Durchschnitt drei Vollzeitfachkräfte.

Meine Damen und Herren! Das macht deutlich, wie weit hier Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen und wie weit die gesetzliche Grundlage von der Arbeitsrealität der Fachkräfte entfernt ist. Es ist dringend notwendig, jetzt sofort für alle in der Kindertagesbetreuung Beschäftigten Entlastungen zu schaffen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn die Rahmenbedingungen sich deutlich verbessern, wird der Beruf auch wieder interessanter für Nachwuchsfachkräfte und wirkt dem Fachkräftemangel in den Einrichtungen von selbst entgegen. Unsere pädagogischen Fachkräfte, die, wie im Zitat beschrieben, überwiegend nur betreuen, anstatt frühkindliche Bildung umsetzen zu können, machen Überstunden, sind erschöpft und haben im Vergleich zu anderen Berufsgruppen einen erhöhten Krankenstand.

Laut Barmer waren Erzieherinnen im Schnitt 31 Tage im Jahr krank. Das ist eine Kausalkette der Belastung für alle Beteiligten, die durch landesseitiges Aussitzen fortgesetzt wird.

Als mehr als irritierend empfand ich daher auch die Antwort aus Ihrem Haus, Frau Ministerin Grimm-Benne, auf meine Kleine Anfrage zu dem Landesmodellprogramm Fachkräfteoffensive für Erzieherinnen und Erzieher. Die Offenbarung des Desinteresses lässt sich in dem folgenden Satz wiederfinden - ich zitiere  :

„Generell ist es nicht Aufgabe eines Landes, umfassend vergütete Ausbildungen abzusichern; zur Fachkräftegewinnung ist dies im originären Interesse der Träger.“

Übersetzt heißt das: Was geht uns als Landesregierung das an? Das ist eine Bankrotterklärung gegenüber dem Fachkräftemangel, und es ist eine beschämende Äußerung all denen gegenüber, die sich in der Kindertagesbetreuung tagtäglich engagieren und ihr Bestes geben.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie als Landesregierung sind es doch, die gute Rahmenbedingungen schaffen muss. Ich fordere Sie wirklich auf, dies dem Interesse der Fachkräfte entsprechend endlich zu tun.

Frau Ministerin, bitte sparen Sie sich gleich in Ihrer Rede den Teil auf, in dem Sie mich darauf verweisen werden, dass der Personalschlüssel nicht die einzige Größe für die Messbarkeit der Qualität in der Kita ist. Ich sage Ihnen, sie ist es. Denn ohne engagierte Fachkräfte, ohne ihre Motivation, ohne ihre Geduld, ohne ihre Ideen läuft in der Kita nichts.

(Beifall von der LINKEN)

Deswegen müssen wir jetzt endlich in den Neuverhandlungen mit dem Bund zum Kita-Qualitätsgesetz die Chance nutzen und den Personalschlüssel zur Entlastung der Fachkräfte anpassen. Denn wenn Sie das tun, dann können Sie dieses Bundesgesetz auch ernsthaft ein Gute-Kita-Gesetz nennen.

(Beifall von der LINKEN)

Mit Blick auf die Familien, die gerade jetzt, wo die Preise für Lebensmittel, für Energie und Co explodieren, zeigt sich, dass auch sie eine Entlastung in der Kindertagesbetreuung bitter nötig haben. Stattdessen gab und gibt es Überlegungen, die Last steigender Kosten wieder auf die Familien abzuwälzen. Allein, dass darüber nachgedacht wurde, Kitas zum Energiesparen zu schließen, ist vielsagend.

(Beifall von der LINKEN)

Das wird man nicht machen. Das ist sehr richtig. Aber allein die Überlegung lässt tief blicken.

Ganz ehrlich, ich erwarte einiges mehr von einem SPD-geführten Haus. Schließlich sind Sie in den vergangenen Wahlen mit dem Versprechen an die Menschen herangetreten, die Kindertagesbetreuung beitragsfrei zu gestalten. In den Koalitionsverhandlungen war das stets das erste Ziel, das über die metaphorische Klinge ging. Ihr Ansinnen, die Finanzierung der Sprach-Kitas zu übernehmen, wenn der Bund aussteigt, würde Sie meines Erachtens, glaube ich, genauso gern über diese besagte Klinge springen lassen.

Darüber hinaus beabsichtigen Kommunen derzeit, die Kita-Beiträge für Eltern aufgrund steigender Strom- und Energiepreise zu erhöhen. Sie wissen nicht, wie sie diese Last allein stemmen sollen. Faktisch werden auch auf diese Weise Familien wieder stärker belastet.

Ich frage: Wo ist an dieser Stelle das Land? Ich sage Ihnen, man duckt sich wieder weg und entzieht sich der Verantwortung. Zeigen Sie mir gern, dass ich Unrecht habe. Werden Sie Ihrer Aussage im Koalitionsvertrag gerecht, dass Sie die Familien dauerhaft entlasten werden.

Meine Damen und Herren! Insofern zielt unser Antrag auf drei wesentliche Punkte ab:

Erstens. Wir wollen Fachkräfte und Familien entlasten.

Zweitens. Wir wollen die Qualität in der Kindertagesbetreuung weiter verbessern.

Drittens. Wir wollen, dass die Jüngsten bestmögliche Chancengerechtigkeit im Aufwachsen erfahren.

Dazu ist es unerlässlich, dass Sie mit dem Bund sehr schnell die Verhandlungen für die Fortführung des Kita-Qualitätsgesetzes führen und nicht bis Mitte nächsten Jahres warten. Ganz ehrlich, Appelle und bettelnde Worte in Richtung Berlin reichen mir und meiner Fraktion wirklich nicht aus.

(Zustimmung von Thomas Lippmann, DIE LINKE)

Das kann nicht das Ende der Möglichkeiten sein. Es ist unerlässlich, dass im Landeshaushalt ab dem kommenden Jahr entsprechende Vorkehrungen getroffen werden.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Gleiches gilt für den Erhalt des immens wichtigen Programms der Sprach-Kitas, das die Ampel gern absägen will. Ich fordere Sie auf: Handeln Sie endlich! Hierbei geht es um die Zukunft etlicher Fachkräfte, die tagtäglich wertvolle Arbeit leisten; es geht auch um Existenzen.

Es geht um die Förderung unserer Kinder im Land. Uns zeigen die Ergebnisse der Schuleingangsuntersuchungen einen Anstieg der Anzahl von Kindern mit Artikulationsschwierigkeiten. Sie wissen doch alle, wie wichtig ein solches Angebot der Sprachförderung ist. Wie viel evidenzbasierte Fakten wollen Sie denn noch auf dem Tisch haben, bis Sie endlich Perspektiven und Sicherheiten schaffen?

Meine Damen und Herren! Für uns ist klar: Wir brauchen Planungssicherheit; vor allem aber die pädagogischen Fachkräfte und die Familien brauchen diese. Es geht hierbei um die Entlastung des ohnehin viel zu anspruchsvollen Pensums in der Realität, um eine Entwicklung in der Qualität in der Kindertagesbetreuung in unserem Land. Für die Fachkräfte ist das nicht einfach nur ein Beruf, es ist ihre Berufung.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist unsere Pflicht ihnen die Rahmenbedingungen zu verschaffen, die sie für eine gute Arbeit benötigen. Dazu zählen eine Anpassung des Personalschlüssels an die Realität, Ausbildungsbedingungen ohne Eigenfinanzierung, der Erhalt der Sprach-Kitas und die Verstetigung der Kitasozialarbeit sowie das multiprofessionelle Arbeiten.

Fakt ist: Wir müssen als Land vorangehen. Denn der Bund wird es offensichtlich nicht tun. Nicht zähe, langwierige Debatten, sondern effizientes Handeln muss das Gebot der Stunde sein. Die Fachkräfte zählen auf Sie. Die Familien tun dies. Es geht um die Jüngsten im Land, von denen Sie immer sagen: Sie seien die Zukunft. Ich sage Ihnen: Sie sind auch das jetzt. Und wir müssen jetzt handeln.

(Beifall bei der LINKEN)

Oder um es abschließend mit der Stimme einer Fachkraft zu sagen: Den Personalschlüssel zu erhöhen, heißt, nicht immer am Limit zu arbeiten, sondern echte pädagogische Interaktion zu leben.

Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)