Tagesordnungspunkt 24

Beratung

Modellprojekt: „Dorf-Auto“. E Autos für die Dorfgemeinschaft sichern Mobilität und sparen Geld.

Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/1370

Alternativantrag Fraktionen CDU, SPD und FDP - Drs. 8/1617

Die Einbringung übernimmt Frau Lüddemann. - Bitte. - Just in time ist immer wichtig. - Und los geht’s. Sie haben das Wort.


Cornelia Lüddemann (GRÜNE):

Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Es ist Aufgabe der Politik, Aufgabe der Länder und der Landkreise, den Nahverkehr zu organisieren. Wir hatten heute früh schon eine sehr angeregte und belebte Debatte zum Thema Nahverkehr. Wir haben fraktionsübergreifend festgestellt, dass es Defizite beim Nahverkehr gibt, dass es Defizite beim Angebot gibt und dass diese zumeist in ländlichen Räumen bestehen.

Wir schlagen deswegen vor, außerhalb vom Regelbetrieb, außerhalb von flexiblen Bedienformen einmal neue Wege gehen, Denkmuster aufbrechen und etwas ganz anderes versuchen, nämlich die Idee des Dorfautos. Diese Idee wurde nicht hier in Sachsen-Anhalt geboren; das kann ich für mich nicht reklamieren und das kann niemand anders von uns für sich reklamieren. Die Idee stammt aus Hessen. Wir wollen sie auch hier in Sachsen-Anhalt etablieren.

Wir wollen ein Angebot für örtliche Strukturen prüfen, die für Nahverkehrsunternehmen und für wirtschaftlich organisierte Carsharing-Unternehmen wirtschaftlich nicht interessant sind. Wir schlagen vor, jeweils zwei Autos an vier ausgewählten Standorten zu etablieren und dort zu testen, wie es sich mitgeteilter Mobilität verhält. Es geht also darum, ein Modellprojekt im besten Sinne des Wortes zu etablieren.

(Zustimmung bei den GRÜNEN - Oliver Kirchner, AfD: Nehmt einfach ein paar Fahrräder!)

Die Autos, die Stellplätze, die Buchungsplattform - all das soll im Rahmen des Modellprojektes an diesen vier Standorten den Bewohnerinnen und Bewohnern preiswert und einfach nutzbar zur Verfügung gestellt werden. Das können dann Bewohnerinnen und Bewohner nutzen, es können aber auch Ortsteilmanager oder Ortsbürgermeister nutzen, es könnten Mitarbeiter von Pflegediensten nutzen. Das wäre tatsächlich sogar wünschenswert; denn Carsharing-Betreiber suchen immer auch Orte, wo sie sogenannte Ankernutzungen etablieren können. Dabei ist es egal, ob das eine öffentliche Einrichtung oder ein privater Anbieter ist.

Es braucht natürlich auch eine Anbindung eines solchen Autostandortes. Dafür kämen Stadtwerkwerke in Betracht, die diesen Standort betreuen, dafür kämen kommunale Strukturen in Betracht oder eben auch die Struktur der Dorfgemeinschaftsläden, die wir in der letzten Legislaturperiode in Sachsen-Anhalt erfolgreich verankern konnten.

Gerade für die Anfangszeit ist es wichtig, ein belastbares Angebot vorzustellen. Wir haben bei dem Projekt „LimA - neue Wege für Mobilität in Haldensleben“ gesehen, dass es gar nicht so einfach ist, Einstellungen zu verändern. Mit diesem Projekt soll ein Angebot gemacht werden, um eben diese Lücken, die sich auch nicht mit Taxen oder ähnlichen wirtschaftlichen Strukturen abbilden lassen, zu schließen.

(Matthias Büttner, Staßfurt, AfD: Carsharing!)

Hierbei ist es aus unserer Sicht wichtig, dass die öffentliche Hand versucht, eine Lücke kreativ zu schließen und solche öffentlich geförderten Carsharing-Angebote am Ende als ganz normalen Baustein einer Mobilitätskette für ländliche Räume, als bezahlbares und verlässliches Angebot vorzuhalten. Mir ist bewusst, dass das kein barrierefreies Angebot ist,

(Matthias Büttner, Staßfurt, AfD: Ach!)

weil zumindest das Vorhandensein eines Führerscheins eine Hürde darstellt. Es kann also nicht jeder, der irgendwie irgendwohin will, dieses Angebot nutzen. Aber es ist eine Komponente. Und es kann dazu führen, dass in ländlichen Räumen dieser Zwang, der im Moment quasi vorhanden ist, weil eben nichts fährt     Die Kollegin Tarricone hat es heute früh am eigenen Beispiel dargestellt. Wenn nichts da ist, dann hilft es eben auch nicht, wenn das Angebot vielleicht sogar kostenlos wäre - das sei nur einmal spekulativ gesagt. Aber es ist möglicherweise ein Baustein, der dazu beiträgt, dass man das Zweit- oder Drittauto nicht anschaffen muss,

(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜNE - Unruhe)

wenn ein solches öffentliches Sharing-Angebot da ist. Wenn man sich anschaut, wie teuer ein Auto ist, dann ist das durchaus ein Angebot für die Menschen im Land.

Eine Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung gemeinsam mit der Universität Mannheim und der Yale University aus dem Jahr 2020 kommt bspw. zu dem Schluss, dass Autobesitzende die Gesamtkosten eines eigenen Pkw systematisch um rund 50 % unterschätzen. Unterbewertet werden regelhaft die Fixkosten für Steuern, Versicherungen, Reparaturen und der Wertverlust des Autos. Die befragten 5 500 Autobesitzenden schätzten ihre monatlichen Kosten im Schnitt um 220 € zu niedrig ein.

Ein solches einfach zu buchendes, kostengünstiges Sharing-Angebot scheint, wenn ich den Alternativantrag der Koalitionsfraktionen anschaue, den ich mir hier einmal danebengelegt habe, auf allgemeines Interesse zu stoßen. Frau Ministerin, ich bin gespannt, was Sie uns zudem Interessenbekundungsverfahren sagen können. Ich muss gestehen, dass ich, bis ich heute Morgen diesen Alternativantrag gesehen habe, noch keine Ahnung hatte, dass es ein solches Angebot in diesem Land gibt.

(Guido Kosmehl, FDP: Aha!)

Vielleicht haben Sie ja auch die zwei Monate, die unser Antrag schon im System einsehbar war, genutzt, um in diesem Bereich tätig zu werden. Das würde mich sehr freuen. Denn mit einem solchen Angebot kann man tatsächlich effektiv Kosten für die Menschen in den ländlichen Räumen teilen.

(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜNE)

Diejenigen, die in Städten leben, wissen, was man sparen kann, wenn ein Carsharing-Auto zur Verfügung steht. Aber solche tragfähigen Modelle, wie es sie in Magdeburg, Halle, Dessau oder auch in der Altmark gibt, weil dort eine Kooperation mit Niedersachsen stattfindet, lassen sich in den ländlichen Räumen so eben nicht darstellen. Deswegen ist Engagement der öffentlichen Hand erforderlich.

Die Befristung des Modellprojektes ist natürlich wie bei allen Modellprojekten   wenn es denn gut läuft   ein Problem. Denn dann muss man sich ernsthaft fragen, was wir in der Mobilitätskette sparen können, wenn wir dieses Angebot, das wir nach unserer Meinung an vier Standorten ausgetestet haben, in den Regelbetrieb übernehmen. Ich denke, das ist eine wichtige Ergänzung, weil sie eine Lücke schließt, die unbestreitbar da ist.

Ich würde mich freuen, wenn wir an dieser Stelle einmal abseits von den ideologisch vorhin in Teilen gepflegten Vorurteilen tatsächlich überlegen würden, welche Angebote wir denn für kleine Dörfer haben, in denen keine Carsharing-Unternehmen unterwegs sind und wo mir die Verkehrsunternehmen vor Ort sagen: „Das lohnt sich überhaupt nicht, dorthin kann ich keinen Bus fahren lassen“, wo Straßenbahn und Ähnliches illusorisch sind.

Lassen Sie uns doch einmal ernsthaft überlegen, was wir den Menschen an diesen Standorten für ein Angebot machen können. Dabei ist es egal, ob sie es dann aus sozialpolitischen, aus finanzpolitischen oder aus wirtschaftlichen Gründen nutzen, weil sie sagen: „Das könnte uns helfen, mein Mann pendelt, die Frau ist im Homeoffice, ab und an brauchen wir ein zweites Auto, das wäre das Angebot, das uns tatsächlich aus dieser mobilitätsfreien Zone herausfahren könnte“. Lassen Sie uns darüber ernsthaft miteinander diskutieren.

Vielleicht kann man sich die Modellprojekte oder die Realitätsprojekte   so kann man sagen  , die es gibt, tatsächlich anschauen. Ich habe Hessen erwähnt. In Marburg gibt es bspw. eine Initiative, die das Umland mit solchen Autos an den städtischen Raum anbindet.

Was mich sehr gefreut hat, ist, dass es die „Ein-Harz-Initiative“ gibt, die seit Juli an fünf Standorten, meine ich, mit 17 Fahrzeugen in einem solchen E Carsharing-Projekt unterwegs ist. Über eine Website und eine App sind diese auch sehr einfach zugänglich. Ich finde, die Initiative, die im Harz schon entstanden ist, kann auch ein Beispiel sein, das man in die Gesamtbetrachtung einbezieht.

Einen Punkt will ich jetzt gar nicht groß erwähnen, weil ich glaube, das sollte heutzutage eine Selbstverständlichkeit sein: dass man in solchen Projekten natürlich mit Elektromobilität unterwegs ist. Denn das stärkt noch einmal die Ladeinfrastruktur in ländlichen Räumen.

(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜNE)

Ich freue mich auf eine offene Debatte, auf eine sachliche Debatte.

In Ihrem Beitrag, Frau Ministerin   dann brauche ich Ihnen nachher keine Fragen zu stellen  , könnten Sie darauf eingehen, wie weit dieses Projekt schon ist, wann Sie das gestartet haben und wie es vonstattengehen sollen. Ich lese dort sehr viel, was dem ähnlich ist, was wir mit unserem Antrag beantragt haben.

(Guido Kosmehl, FDP: Nein!)

Das könnte so eine Sternstunde sein, in der man wirklich inhaltlich übereinkommt. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Ich danke Ihnen für die Einbringung. - Da wir zügig weiterarbeiten, spricht für die Landesregierung Frau Dr. Lydia Hüskens.

(Zurufe)

- Oh, Guido, Verzeihung, sorry. Ich war zu schnell. Asche auf mein Haupt. Ich habe Guido vergessen. - Es gibt eine Nachfrage von Guido Kosmehl.


Cornelia Lüddemann (GRÜNE):

Ich bin stehen geblieben. Ich habe es gesehen.


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Ja, danke. Wir denken ja alle mit. Ich hatte gerade einmal eine kurze Pause. - Bitte.


Guido Kosmehl (FDP):

Frau Kollegin Lüddemann, Sie haben auf Hessen rekurriert. Ihren Ausführungen zum Ende hin habe ich entnommen, dass Sie wahrscheinlich auch einen Hessenschau-Bericht vom, ich glaube, Februar 2022 über die Initiative in Marburg gesehen haben. Sind Ihnen weitere Kommunen in Hessen bekannt, die schon vor einigen Jahren Projekte zum Carsharing durchgeführt haben und die von erheblichen Schwierigkeiten berichten, z. B. bei der Nutzungsfrequenz und den entsprechenden Versicherungsprämien? Haben Sie das auch in Ihre Überlegungen einbezogen? Oder beziehen Sie sich nur auf einen Bericht über die Universitätsstadt Marburg?


Cornelia Lüddemann (GRÜNE):

Das, was Sie mit der Nutzung ansprechen, habe ich aufgrund der Redezeit nur gestreift. Aber ich habe ja gesagt, dass wir hier auch einen längeren Atem brauchen und dass eine möglicherweise zweijährige Projektzeit nicht ausreicht; denn es geht um Einstellungen. Ich kann verstehen, dass es Menschen gibt, die skeptisch sind und sagen: „Wer weiß, ob das belastbar ist; wer weiß, ob das funktioniert; wer weiß, ob das Fahrzeug dann in der Praxis tatsächlich da ist, wenn ich es brauche“, und die trotz allem an ihrem eigenen Pkw festhalten. Wenn der eigene PKW direkt vor der Haustür steht, ist es nachvollziehbar, dass die Leute nicht erst drei oder sechs Minuten lang zu diesem Carsharing-Standort gehen.

Wir können von dem Projekt „LimA“ in Haldensleben lernen, dass es von einer Kampagne begleitet werden muss, die die Menschen auf diese Angebote einstimmt. Ich kann empfehlen, mit hiesigen Carsharing-Unternehmen zusammenzuarbeiten. Dann kann man die Versicherungsprämie deutlich senken. Das ist das, was die Altmark macht. In der Altmark hat sich kein eigener Carsharing-Anbieter etabliert, sondern das wird sozusagen in Zusammenarbeit und Kooperation mit Niedersachsen gemacht.

Ich bin mir durchaus sicher, dass das nicht so einfach ist. Deswegen habe ich hier in dem Bewusstsein, dass Modellprojekte immer auch Ecken und Kanten haben, gesagt: Das könnte wirklich ein Modell sein, bei dem man solche Dinge tatsächlich einmal austestet. Die Welt hat sich in den letzten zwei Jahren immens verändert. Ich denke, die Ministerin wird uns Einiges dazu sagen, was sie vorhat. Denn auch bei ihrem Modellprojekt, vielleicht sogar bei ihrer Regelförderung   ich weiß nicht, was dieses Interessenbekundungsverfahren tatsächlich zum Inhalt hat  , werden solche Fragen ja zu klären sein.