Dr. Falko Grube (SPD):

Aha, alles klar. Ich habe hier schon andere Erfahrungen gemacht - deswegen.

(Zuruf)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir reden heute über die Fortsetzung des 9 € -Tickets. Die Bundesregierung hat das in ihrer Erklärung nach der Klausur in Meseberg als Erfolg bezeichnet. Das war es ohne Zweifel. Aber bezüglich der Frage, was das 9 € -Ticket geleistet hat und was ein Nachfolger leisten kann, lohnt ein differenzierter Blick.

Das Thema der Aktuellen Debatte nennt als Kriterium für die Bemessung des Erfolgs die Sicherung sozialer Teilhabe. Das ursprüngliche Ziel des 9 € -Tickets war es, bei den derzeitigen Energiepreisen eine ÖPNV-Alternative zum Auto gerade für Pendlerinnen und Pendler anzubieten. Das zweite Kriterium war der Klimaschutz und, weil es bei dem Thema offensichtlich nicht anders geht, als Drittes das Etikett „Freiheitsgarant“.

Der vielleicht eindeutigste Befund zuerst. Das 9-€-Ticket hat gezeigt: Es geht. Ein Ticket bundesweit, preislich attraktiv, leicht zu erwerben, auch digital und zugleich einfach verständlich. Das hat gut funktioniert. Ticket kaufen, einsteigen und losfahren. Keine Wagen mehr zählen, keine Lupe mehr für endlose Preistabellen, Tarifdschungel ade, keine Diskussionen mehr, welches Ticket wo gilt. Das, meine Damen und Herren, ist, unabhängig von der Preisgestaltung eines Nachfolgetickets, auf jeden Fall eine dringende Hausaufgabe: Der Tarifdschungel muss weg.

(Beifall bei der SPD)

Es muss möglich sein, ein Ticket von A nach B zu kaufen, und zwar egal, wo A und B liegen. Dafür muss es einen Fahrschein geben. Was dann wo wie in welcher Tarifzone gilt, muss in Zukunft Sache der Verkehrsunternehmen sein, aber nicht mehr der Fahrgäste.

Was hat das 9-€-Ticket noch gebracht? - Nach Zahlen des VDV wurden seit dem Verkaufsstart bis Ende August 2022 rund 52 Millionen 9 € -Tickets verkauft. Hinzu kommen die zehn Millionen Abonnentinnen und Abonnenten, die das vergünstigte Ticket automatisch über die gesamten drei Monate erhalten haben.

Um zu ermessen, wie groß die tatsächliche Entlastung war, will ich einmal die jetzigen Preise für ein Monatsticket nennen: Halle 72,10 €, Magdeburg   das preiswerteste, nicht ermäßigte Ticket   47,99 €, Dessau 27 €. Im Marego-Verbund kostet das teuerste Ticket, das man für einen Monat bekommen kann, 275,84 € und im MDV 303,30 €. Das gilt dann für alle Tarifzonen.

Damit hat das 9-€-Ticket in der aktuellen Situation das geliefert, was es sollte. Es hat gehalten, was es versprochen hat. Es hat die Inflation abgefedert, es hat soziale Teilhabe ermöglicht und es hat preiswerte Mobilität ermöglicht. Damit, meine Damen und Herren, war das 9-€-Ticket ein voller Erfolg.

Deshalb ist es auch gut, dass es eine Nachfolge für das 9 €-Ticket gibt. Denn wir leben in Zeiten, wo wir gerade Menschen, die weite Pendelwege haben, einen Umstieg ermöglichen und sie von den Kosten für den Arbeitsweg entlasten müssen. Es muss sich auch in Zeiten hoher Energiepreise noch lohnen, arbeiten zu gehen, und nicht die ganze Kohle für den Arbeitsweg auszugeben. Sachsen-Anhalt   das wissen Sie   ist ein Pendlerland. Deswegen ist ein Nachfolgeticket im originären Interesse eines großen Teils der Menschen in Sachsen-Anhalt. Oder   um es anders zu sagen  : Ein Nachfolgeticket, ob für 49 € oder für 69 €, ist ein Entlastungsticket für den ländlichen Raum.

(Beifall bei der SPD)

Für Menschen, die im ländlichen Raum wohnen und die Verbünde nutzen   ich habe die Zahlen gerade genannt  , sind 49 € oder auch 69 € eine erhebliche Entlastung. Für Menschen, die in den Oberzentren wohnen   auch diese Zahlen habe ich gerade genannt  , bietet es gar keine, kaum eine oder eine geringe Entlastung. - Das ist die eine Seite.

Die andere Seite ist die Frage: Was hat das 9 €-Ticket für die Themen Klimaschutz und Verkehrswende getan? Da ist die Bilanz   das sehe ich ein bisschen anders als die Kollegin Lüddemann   durchaus durchwachsen. Ja, das Ticket hatte auch ein Nebennutzen für den ÖPNV; es hat Nutzerinnen und Nutzer wieder zurückgebracht, die aufgrund von Corona den ÖPNV gemieden haben oder weniger genutzt haben. Laut VDV war jeder fünfte Käufer bzw. jede fünfte Käuferin ein Neukunde, der bzw. die den ÖPNV zuvor normalerweise nie genutzt hat. 27 % der Käufer sind aktivierte Kunden, die den ÖPNV zuvor seltener als einmal im Monat genutzt haben. Ja, das ist grundsätzlich ein Erfolg für den ÖVPN.

Aber, der Effekt war nicht so groß, wie der eine oder die andere gehofft hat und wie es durch die Debatte um das Ticket bisweilen vermittelt wird. Die Untersuchung des VDV hat ergeben, dass jeder zehnte Nutzer des Tickets mindestens eine Fahrt mit dem ÖPNV gemacht hat, die er ohne das Ticket im Auto zurückgelegt hätte. Dadurch sind nach Berechnungen des VDV über die drei Monate hinweg rund 1,8 Millionen t CO2 eingespart worden. Das ist erst einmal gut. Jede Tonne CO2, die eingespart wird, ist gut. Die Einsparung von 1,8 Millionen t CO2 klingt erst einmal nach viel, das ist es aber nicht, wenn man es denn an den Kosten bemisst.

Die Einsparung hat den Bund in drei Monaten 2,5 Milliarden € gekostet. Das sind 1 388,89 € pro Tonne. Das ist das 46-Fache dessen, was das Ganze im Emissionshandel gekostet hätte; dort kostet die Tonne CO2 30 €.

(Zustimmung bei der SPD)

Bei dem Thema Verkehrswende, bei der Frage, wie man Menschen zum Umstieg auf Bus und Bahn motiviert, gibt es die ewige Frage: Was nützt mehr? Preis oder Angebot? Die Frage ist entschieden: Der Preis allein ist es nicht.

(Zuruf: Was?)

Wir hatten jetzt drei Monate einen fast kostenfreien ÖPNV, und trotzdem ist die Zahl derer, die vom Auto auf den ÖPNV umgestiegen sind, nicht substanziell. Der Grund dafür ist einfach: Das Angebot reicht nicht aus. Das Angebot ist nicht ausreichend dafür, dass die Leute ihren Alltagsverkehr ohne oder nur zum Teil mit dem Auto bewältigen.

Meine Damen und Herren, es ist hier eben schon mannigfaltig ausgebreitet worden und das 9 €-Ticket hat die Bilder dazu geliefert. Wir erinnern uns an die Bilder von überfüllten Bahnsteigen, vollen Bussen und Bahnen mit dicht gedrängt stehenden Fahrgästen, Meldungen von Verspätungen und Ausfällen. Das waren die sichtbaren Zeichen eines überlasteten Systems. Das hat übrigens teilweise mobilitätseingeschränkte Menschen oder Nutzer mit Fahrrad von der Nutzung des ÖPNV sogar ausgeschlossen.

(Zustimmung)

Die E Bikes sind stehen geblieben und gar nicht hineingekommen. Insofern ist das auf dem Bahnsteig gar nicht so sehr das Problem gewesen. Das, meine Damen und Herren, gehört auch zur Wahrheit. Insofern ist das Thema mit dem Freiheitsgrad vielleicht doch ein bisschen viel gewesen.

Für den ländlichen Raum geht das Problem noch weiter. Auch das ist in diesem Hause bekannt. Dort geht es nicht um die Verbesserung eines bestehenden Systems, dort geht es um den Wiederaufbau eines ÖPNV-Systems. Es gibt viele Menschen in Sachsen-Anhalt, die keinen Zugang zu einem alltagstauglichen System von Bus und Bahn haben. Das muss man   darin gebe ich der Ministerin Recht   dringend ändern. Deshalb darf es nicht bei einem Nachfolger für das 9 €-Ticket bleiben. Es darf nicht bei der Fahrpreissubvention bleiben. Es braucht auch substanzielle Investitionen in Bus und Bahn.

(Zustimmung)

Um eine Zahl zu nennen: Der Bund wird zwischen 2020 und 2023 insgesamt Mittel in Höhe von 7,5 Milliarden € in das System ÖPNV gegeben haben. Corona-Hilfen in Höhe von 3,5 Milliarden €   nur der Bund!  , Mittel für das 9 € -Ticket in Höhe von 2,5 Milliarden € und Mittel für ein Nachfolgeticket in Höhe von 1,5 Milliarden € - insgesamt 7,5 Milliarden €. Jetzt dürfen Sie raten, wie viel Cent davon in die Verbesserung des Aufbaus geflossen sind.

(Zuruf: Null!)

Null. Deswegen würde ich mir wünschen, dass man jenseits des Nachfolgetickets diese Summe im Bundeshaushalt auch für die Investitionen finden würde.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich noch ein paar Fragen berühren, die beim Nachfolgeticket offengeblieben sind; denn der Teufel steckt bisweilen im Detail. Auf welcher Grundlage sollen den Verkehrsunternehmen die Kostenausfälle erstattet werden? Das frage ich auch als jemand, der im Stadtrat eines Nahverkehrsträgers sitzt und der weiß, wie die Wirtschaftspläne und die jetzt schon vorhandenen Zuschüsse für das hauseigene Verkehrsunternehmen aussehen. Schon heute stehen die Kommunen vor der Frage   ich habe die Zahlen hier: Mittel in Höhe von 30 Millionen € gibt die Stadt Magdeburg der MVB, bald sollen es Mittel in Höhe von 55 Millionen € sein; darin sind noch keine Energiepreiskosten enthalten; das ist ein Wirtschaftsplan von vor dem Krieg  : Wie sollen die Kommunen die Kosten ausgleichen?

Ob das Ticket 59,69 € kostet - die Kosten für Energie und die Kosten für eine gute Entlohnung der Beschäftigten   auch das ist uns wichtig, keine Frage   werden in den nächsten Jahren steigen. Der Subventionsbedarf wird also steigen, wenn nicht mehr Menschen in den ÖPNV einsteigen. Es gibt Beispiele, dass das 9 €-Ticket auch dabei nur bedingt geholfen hat. Ich bleibe einmal bei der MVB, auch wenn ich Sie damit ein bisschen langweile. Die geschäftsführende MVB hat im Ergebnis des 9 € -Tickets festgehalten, dass die Fahrgastzahlen denen vor Corona entsprechen. Das heißt, das 9 €-Ticket hat als Effekt nicht mehr gebracht, als auf den Status quo vor Corona zu kommen.

Wenn das eine Korrelation ist, was Preis und Zugang zu dem System betrifft, dann würde das bedeuten: Wenn wir bei 49 € landen   das wäre übrigens eine Preiserhöhung; ich habe es gerade gesagt, wenn wir bei dem gleichen Preis bleiben wie vor dem Nachfolgeticket   würden die Fahrgastzahlen sinken. Das, meine Damen und Herren, wäre ein Schlag ins Wasser.

Hoffen wir also, dass die Leute recht haben, die sagen: Auch mit einem Nachfolgeticket gibt es mehr Menschen, die den ÖPNV nutzen, wenn ein reales Szenario ein Zustiegsszenario ist. Jetzt freuen wir uns mit den Leuten, die davon profitieren können, erst einmal auf ein 49 €- oder ein 69 €-Ticket. Sie werden die Entlastung im Portemonnaie in den nächsten Monaten brauchen. Ich denke, wir sollten sie nicht zu lange darauf warten lassen.

(Zustimmung bei der SPD)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Vielen Dank, Herr Dr. Grube. - Es gibt eine Frage von Herrn Rausch. Lassen Sie sie zu?


Dr. Falko Grube (SPD):

Selbstverständlich.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Selbstverständlich. - Herr Rausch.


Tobias Rausch (AfD):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr Kollege Dr. Grube, Sie haben ausgeführt, wie wichtig das für die Menschen ist, dass aber kein Cent in den Ausbau des ÖPNV geflossen ist. Für uns war wichtig, dass der Ausbau vorangetrieben wird. Ist kann mich daran erinnern, dass wir in der letzten Legislaturperiode in Estland waren. Estland hat einen kostenlosen ÖPNV. Wir haben uns das in Tallinn angeguckt. Wenn meine Erinnerung richtig ist, waren Sie damals dabei. Damals haben wir auch die Frage gestellt: Wenn der ÖPNV kostenfrei ist, wie viele Leute benutzen das dann mehr? Wissen Sie noch, wie die prozentuale Steigerung war?


Dr. Falko Grube (SPD):

Nein, das weiß ich nicht mehr.


Tobias Rausch (AfD):

Okay, dann möchte ich das ausführen: Die prozentuale Steigerung lag bei etwa 4,3 %. Der Anteil der Leute, die das nutzten, stieg also von 19 % auf 24 %. Das heißt, in anderen Ländern hat man bewiesen, dass ein kostenloser ÖPNV nicht von viel mehr Leuten genutzt wird, solange die Infrastruktur nicht besser ausgebaut ist.

Ich habe Sie so verstanden und möchte mir das von Ihnen noch einmal bestätigen lassen, dass Sie sich in der Koalition dafür einsetzen, dass wir im Ausschuss bald darüber sprechen können, dass wir Programme entwickeln, um den ÖPNV für den ländlichen Raum auszubauen.

(Zuruf von Olaf Meister, GRÜNE


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Dr. Grube.


Dr. Falko Grube (SPD):

Wir setzen uns seit Langem dafür ein. Wir alle, egal welcher Koalition wir angehören, wissen als Verkehrspolitiker aus schmerzhafter Erfahrung, dass das am Ende nicht immer erfolgreich ist. Wir können sogar Zahlen in die Gesetze hineinschreiben, diese werden dann im Finanzausschuss   übrigens egal, welche Koalition an der Regierung ist   wieder zurückgeholt.

(Hendrik Lange, DIE LINKE: Ja!)

Sie haben übrigens eine Erinnerungslücke. Es gibt nicht in Estland einen kostenfreien ÖPNV, sondern in Tallinn. Das ist insofern auch ein bisschen geschummelt, weil die Tallinner gesagt haben: Meldet euch bei uns an, dann könnt ihr den ÖPNV kostenfrei nutzen und bekommt noch ein paar andere Vergünstigungen; für das Geld, das eurem Anteil an der Einkommensteuer entspricht, zahlen wir dann für unsere Leute in Tallinn den kostenfreien ÖPNV.

Ich glaube, es wäre kein Modell für Sachsen-Anhalt, dass die beiden Oberzentren sagen: Kommt alle zu uns, meldet euch bei uns an; uns ist egal, wie ihr eure Kommunen vor Ort finanziert; wir machen dafür den ÖPNV kostenfrei. Das gehört zur Wahrheit dazu.

Ansonsten brauchen wir, wenn wir einen substanziellen Umstieg der Leute haben wollen, einen Ausbau der Infrastruktur. Ja, das haben Sie richtig verstanden. Wenn kein Bus fährt, ist es egal, ob er 9 €, 99 € oder 9 000 € kostet. Dann fährt man nicht.

Und: Die Frage der Mobilität ist immer eine Frage von Lebenszeit, ist immer eine Frage von Lebensphasen, ist immer eine Frage von täglicher Logistik, die ich zu bewältigen habe. Wenn ich in einer Flächengemeinde wohne, ein Kind geht in die Kita und das andere in die 10 km entfernte Grundschule und ich muss beide Kinder fahren, dann kommt dieses System irgendwann an Grenzen. Um diese Grenzen positiv zu verschieben, brauchen wir ein besseres Angebot. Ja, das haben Sie richtig verstanden.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Dr. Grube, das haben Sie auch in Ihrer Rede schon ausgeführt. - Weitere Nachfragen gibt es nicht, Kurzinterventionen auch nicht.