Herr Krull bitte von der CDU-Fraktion.


Tobias Krull (CDU):

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren des Hohen Hauses! Erst vor Kurzem haben wir uns im Landtag mit einem Antrag beschäftigt, der die unterschiedlichen Aspekte von Armut und die Lösungsvorschläge aus der Sicht der beantragenden Fraktion aufgegriffen hat. Wie komplex dieses Thema ist, macht die Tatsache deutlich, dass wir diesen Antrag in fast alle Ausschüsse des Parlamentes überwiesen haben.

Ganz offensichtlich reicht es der Fraktion DIE LINKE nicht aus, das getan zu haben; vielmehr hat sie heute mit ihrer Aktuellen Debatte auf den Hashtag „IchBinArmutsbetroffen“ abgestellt, der die Berichte von Betroffenen aufgreift und, wie es die Medien beschreiben, zu einem viralen Aufstand der Armen geführt hat.

Wenn man sich solche Berichte durchliest, ist man natürlich betroffen von den einzelnen Schicksalen, von den einzelnen Berichten. Allerdings muss man auch die Feststellung treffen: Man sieht nur eine Seite, die geschildert wird. Wie das von anderen Seiten beurteilt wird oder wie es zu diesen Schicksalen gekommen ist, wird man entsprechend nicht sehen können.

(Eva von Angern, DIE LINKE: Das eigene Schicksal von anderen berichten lassen? Wie soll das aussehen?)

Wenn dort einmal entsprechend berichtet wird, wie das Leben ist, wie man in Armut geraten ist, dann gibt es noch eine zweite Seite der Medaille. Wie eine Behörde bei Entscheidungen das Schicksal vielleicht anders sehen würde. Das wird leider dort nicht erwähnt. Das ist aus der Sicht der Betroffenen nachvollziehbar. Aber auch das gehört zu einer Gesamtbetrachtung dazu, dass man es entsprechend nicht nur einseitig sieht.

Wir könnten vermutlich sehr lange darüber diskutieren, wie wir Armut definieren: Durchschnittseinkommen, Bezug von SGB-II-Leistungen oder, oder, oder. Für uns als CDU ist Armut vor allem eine Chancenarmut, d. h., dass die Menschen nicht in der Lage sind, mit ihren eigenen Fertig- und Fähigkeiten ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten; indem sie z. B. einer entsprechenden Beschäftigung nachgehen mit einem Einkommen, das ausreicht, um ihr Leben zu gestalten.

In diesem Sinne verstehen wir als CDU es als unsere vordringliche Aufgabe, eine solche Chancengesellschaft zu gestalten, in der die Menschen genau das tun können: ihre eigene Persönlichkeit dazu zu nutzen, ihr Leben selbst zu gestalten.

(Zustimmung von Kathrin Tarricone, FDP)

Die Stigmatisierung und das Abschreiben von Menschen widersprechen unserem christlichen Menschenbild. Und ja, es gibt leider genug TV-Formate und andere Medienberichte, die dazu führen, dass ein falsches Bild von Menschen vermittelt wird, die in Armut leben.

(Zustimmung von Dr. Heide Richter-Airijoki, SPD, und von Juliane Kleemann, SPD - Zuruf)

Diejenigen, die auf die Hilfe der Gesellschaft angewiesen sind, sollen diese auch bekommen. Dabei sehen wir den Grundsatz von Fördern und Fordern nicht als überholt an. Nein, als Union bekennen wir uns ganz deutlich dazu. Es ist manchmal schon etwas verwunderlich, dass diejenigen, die damals den politischen Mut hatten, die Reformen einzuführen, diese jetzt am liebsten negieren würden und jegliche Beteiligung aus den Geschichtsbüchern und Parlamentsprotokollen streichen möchten.

(Tobias Rausch, AfD: Richtig! SPD und GRÜNE waren das!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch wir betrachten die aktuelle Inflation mit großer Sorge. Als Mitglieder des Hohen Hauses ärgern wir uns vielleicht darüber, wenn wir Einkaufen gehen oder wenn wir tanken und dann spüren, dass der versprochene Tankrabatt gefühlt praktisch verpufft ist, ohne dass es wirklich zu Entlastungen kam. Aber schlussendlich verfügen wir im Regelfall über ausreichende Ressourcen, um uns nicht entscheiden zu müssen, ob wir uns frisches Obst und Gemüse, einen vollen Tank oder eine warme Wohnung leisten wollen. Das gilt aber nicht für alle Menschen in unserem Bundesland. Wir sprechen hierbei nicht von einer gefühlten Inflation, sondern von einer, die jeder von uns beim täglichen Einkauf spürt. 

Als ich vor wenigen Wochen vor Ihnen stand, sprach ich davon, dass eine bestimmte Buttersorte zwischen 2 € und 2,80 € kostet. Inzwischen liegt der Regelpreis bei 3,29 €.

(Markus Kurze, CDU: Stimmt! - Zustimmung von Frank Bommersbach, CDU, und von Siegfried Borgwardt, CDU - Hendrik Lange, DIE LINKE: Und wer bekommt jetzt den Gewinn daraus?)

Es gilt jetzt, die richtigen Maßnahmen zu ergreifen, den Menschen zu helfen, die diese Hilfe brauchen. Dazu hat die Ampelkoalition im Bund Entlastungsmaßnahmen beschlossen. Hier muss ich   es fällt mir, ehrlich gesagt, durchaus schwer   den LINKEN einmal darin recht geben, 

(Zuruf von Dr. Falko Grube, SPD)

dass zahlreiche Bevölkerungsgruppen nicht von diesen Entlastungen profitieren. Außerdem scheint es innerhalb der Bundesregierung durchaus Konfliktpotenzial, sogar Streit über Entscheidungen zu weiteren und notwendigen Entlastungsschritten zu geben. Man siehe sich die öffentliche Debatte zwischen Herrn Heil und Herrn Lindner zum sogenannten Klimageld an. 

(Cornelia Lüddemann, GRÜNE: Ganz anders als in der Koalition hier! - Siegfried Borgwardt, CDU: Ja, ja, ja!)

Die gestrigen Beratungen der Ampelkoalition im Bund haben ganz offensichtlich nicht zu Ergebnissen geführt - das ist sehr schade. Daher bleibt abzuwarten, ob weitere Entlastungsschritte, die notwendig sind, tatsächlich erfolgen. 

Als Union haben wir konkrete Vorschläge unterbreitet, ich zitiere aus dem Beschluss „Schutzschirm gegen Inflation“ aus dem Mai dieses Jahres:

„Erstens. Die 300 € Energiepreispauschale müssen alle bekommen. Das gilt auch für Studierende oder Rentner und Frührentner. Die Bundesregierung will die Pauschale nur einkommenssteuerpflichtigen Erwerbstätigen zukommen lassen.

Zweitens. Der Einkommenssteuertarif muss an die Lohn- und Gehaltsentwicklung angepasst werden, auch um Inflationswirkung bei den Einkommen zu dämpfen.

Drittens. Energie-, Strom- und Umsatzsteuer insbesondere auf Heiz- und Kraftstoffe müssen bis mindestens Ende 2023 runter.

Viertens. Menschen, die auf den Weg zur Arbeit auf das Auto angewiesen sind, müssen weiter entlastet werden. Dazu muss die Entfernungspauschale weiter erhöht werden.“ 

(Zustimmung bei der CDU)

„Fünftens. Bürokratie und andere Investitionshemmnisse müssen konsequent abgebaut werden.“

Die Unionsfraktionen haben gestern in den Deutschen Bundestag den Antrag „Teuerspirale beenden - Bürgerinnen und Bürger schnell und wirksam entlasten“ entsprechend eingebracht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir müssen die Sorgen und Anliegen der Menschen in unserem Land ernst nehmen und entsprechend reagieren. Als Koalition im Land haben wir    


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Herr Krull, ein kurzer Hinweis: Wenn Sie sich wirklich abwechseln wollen, dann müssen Sie daran denken, dass der andere auch noch Redezeit hat. Aber Sie können weitersprechen, weil ich noch zwei Fragen sehe. 


Tobias Krull (CDU):

Ein letzter Satz an dieser Stelle: Die CDU-geführte Landesregierung wird entsprechende Initiativen ergreifen. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der CDU und von Dr. Katja Pähle, SPD)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

So, dann ein kurzer zeitlicher Break an dieser Stelle. Jetzt erfolgen die zwei Fragen, damit diese dann zielgerichtet laufen. - Herr Lange, Sie sind der Erste.


Hendrik Lange (DIE LINKE):

Herr Krull, Sie haben gerade beschrieben, dass für die CDU die Frage von Armut eine „Frage der Chancenarmut“ ist. Jetzt will ich Ihnen in zwei Sätzen kurz das schildern, was ich bei einer Konferenz bei „ArbeiterKind.de“ erlebt habe, die sich um Arbeiterkinder kümmern, die ins Studium kommen. 

(Zuruf von der AfD)

Dort ist von einem Menschen Folgendes berichtet worden: Ich muss mich im Monat entscheiden, ob ich mir etwas zu essen kaufen möchte oder ob ich mir das nächste Buch leisten kann. 

Wie beurteilen Sie unter diesen Gesichtspunkten Ihre Aussage, dass es nur um Chancenarmut geht und nicht um existenzielle Armut?

(Zuruf von Tobias Rausch, AfD, und von Konstantin Pott, FDP)


Tobias Krull (CDU):

Ich kenne das eine Schicksal an dieser Stelle nicht. Aber ich denke, dass man dieser Person mit den unterschiedlichen Förderprogrammen helfen kann; z. B. kann bei der Konrad-Adenauer-Stiftung ein entsprechendes Stipendium beantragt werden. Ich denke, es gibt ein Hilfenetzwerk, welches an dieser Stelle unterstützt. Es gibt auch eine Sozialberatung an den Universitäten, die mithelfen kann. 

Sie waren bei der Veranstaltung von „ArbeiterKind.de“ Genau solche Initiativen brauchen wir, dass Menschen, die Erfahrungen haben, diejenigen, die keine Erfahrung im System haben, unterstützen. Es ist doch eines der großen Probleme, die wir an dieser Stelle haben, dass Menschen, die die ersten in der Familie sind, die ein Studium aufnehmen, nicht über bestimmte Netzwerke, nicht über bestimmtes Hintergrundwissen verfügen. Das bekommt man einfach nicht vermittelt. Das kriegt man dann mit, wenn die eigenen Eltern studiert haben oder wenn im Freundes- und Bekanntenkreis bereits Studierende sind. Dort kann entsprechend geholfen werden. Wenn es ein solches Schicksal gibt, dass man sich überlegen muss „Buch oder Essen?“, dann ist das nicht nur traurig, sondern dann müssen wir Möglichkeiten finden, das abzustellen.


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Danke. - Die zweite Frage kommt von Frau von Angern. - Bitte.


Eva von Angern (DIE LINKE):

Herr Krull, ich habe eine Nachfrage zu Ihren Ausführungen zur vermeintlichen Einseitigkeit der Betroffenenberichte. Ich nehme einmal das Beispiel der Alleinerziehenden. Bremen und Sachsen-Anhalt haben bundesweit die höchste Anzahl von Alleinerziehenden, überwiegend Frauen, die in Armut leben.

Die Konklusion ist: Je mehr Kinder und alleinerziehend, umso höher ist die Armutsbetroffenheit. Hinsichtlich Ihrer Äußerungen frage ich Sie: Ist der Grund für diese hohe Anzahl ein strukturelles Problem oder ein individuelles Versagen? Werden wir also zukünftig auf die Alleinerziehenden zugehen und sagen: Ihr hättet euch nicht trennen sollen; denn das war das Problem, deswegen seid ihr in Armut gefallen? 


Tobias Krull (CDU): 

Frau von Angern, was Sie jetzt hier gerade festzustellen versuchen, ist schon interessant.

(Hendrik Lange, DIE LINKE: Ist genau das Richtige! - Siegfried Borgwardt, CDU: Nein!)

Deswegen hat die Koalition auch das Thema der Alleinerziehenden und der Unterstützung von Alleinerziehenden auf ihre Agenda für diese Wahlperiode geschrieben. Denn es geht natürlich darum, diejenigen, die alleinerziehend sind und damit natürlich ein höheres Armutsrisiko haben, zu unterstützen. 

Aber auch dabei gilt es: Wir dürfen nicht pauschalisieren, sondern wir müssen uns angucken, wo wir konkret helfen können. Das Land tut das z. B. mit der Entgeltfreiheit für Kitas; denn bei Sozialbezug ist dann die Beitragsfreiheit dabei. Wir schauen uns das an. Wir haben das Arbeitsmarktprogramm STABIL auf den Weg gebracht, wo es darum geht, dass Alleinerziehende wieder in Beschäftigung kommen. Wir bieten Unterstützungsmaßnahmen an. Aber auch dabei gilt: Wir können nicht verallgemeinern. Wir können nicht sagen: Jetzt gibt es das Soundso und das ist die perfekte Lösung. Wir müssen uns tatsächlich auch um den Einzelfall kümmern. 

(Eva von Angern, DIE LINKE: Aber es ist kein individuelles Versagen!) 

- Es ist kein individuelles Versagen. Es ist so, dass Alleinerziehende strukturell ein höheres Armutsrisiko haben. Das ist eine Tatsache, das ist nicht zu bestreiten. Ich habe mit meiner Aussage zum Ausdruck bringen wollen, dass es darum geht, dass wir natürlich auch immer zwei Seiten einer Medaille haben.

(Angela Gorr, CDU: Genau!)

Unterschiedliche Schicksale haben unterschiedliche Gründe. Um diese in ihrer Komplexität zu ergründen, braucht man eben mehr als nur einen kurzen Tweet.

(Zustimmung bei der CDU)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger: 

Danke, Herr Krull. -