Tagesordnungspunkt 12

Beratung

Alternativen zum Hausbesuch - digitale Begutachtung von Antragstellungen im Pflegebereich fortführen und verstetigen

Antrag Fraktionen CDU, SPD und FDP - Drs. 8/1302


Die Einbringerin ist Frau Dr. Anja Schneider für die CDU-Fraktion.


Dr. Anja Schneider (CDU):

Es läuft schon. Ich habe noch gar nichts gesagt.


Vizepräsident Wulf Gallert:

Ich lege Ihnen die acht Sekunden drauf, keine Angst.


Dr. Anja Schneider (CDU):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen! Die Coronapandemie hat uns vor etliche Herausforderungen gestellt. Ich denke, da sind wir uns sicherlich einig.

Sie hat uns aber auch so manches Mal sehr kreativ werden lassen. Ich persönlich hoffe zum Beispiel, dass wir die Videokonferenzen niemals ganz aufgeben. Ich wüsste heute teilweise nicht mehr, wie ich meinen Arbeitsalltag schaffen sollte, wenn es sie nicht mehr gäbe. Vieles sehen wir heute einfach mit anderen Augen.

So ist es auch im Bereich der Begutachtungsformen, dem Thema des Antrages der Koalitionsfraktionen. Hier wurde dem Medizinischen Dienst während der Coronapandemie mit § 147 des Sozialgesetzbuches XI, und zwar abweichend von dem bis dahin und auch immer noch geltenden § 18 Abs. 2 des gleichen Gesetzbuches, der die Begutachtung der Versicherten ausschließlich verpflichtend im eigenen Wohnbereich vorsieht, die Möglichkeit gegeben, für die Begutachtung von Pflegebedürftigkeit alternative, digitale Begutachtungsformen zu nutzen.

Zum 30. Juni dieses Jahres endet nun diese Möglichkeit. Es stellt sich die Frage, ob die Etablierung dieser in Coronazeiten sehr sinnvollen Begutachtungsalternativen nicht dauerhaft fortgeführt werden sollte. Der Bedarf an Pflegeleistungen wird in den nächsten Jahren erheblich ansteigen - das können wir fast täglich in der Presse verfolgen  , vor allem aufgrund unserer demografischen Entwicklung, aber auch infolge eines nicht aufhaltbaren - das wollen wir auch gar nicht - medizinischen Fortschritts.

Wenn ausschließlich die Begutachtung vor Ort zugelassen ist, was § 18 vorsieht, hat dies zur Folge, dass der Medizinische Dienst dafür deutlich mehr Personal benötigt. Und dieses benötigte Fachpersonal kann er nur von dort nehmen, wo es auch vorhanden ist, und zwar in den Krankenhäusern, in Pflegeeinrichtungen und in den ambulanten Diensten.

Mit Krankenhäusern und mit Pflegeeinrichtungen haben wir gesprochen. Die haben uns in der Zielrichtung dieses Antrages deutlich bestätigt. Ich kann Ihnen sagen, dass ich als Geschäftsführerin einer Pflegeeinrichtung - ich war in der Palliativ- und in der Spezialpflege tätig - einmal eine Beatmungsexpertin an den Medizinischen Dienst verloren habe. Das tut richtig weh, das können Sie mir glauben.

Dem Abgang von Fachpersonal muss mit Möglichkeiten für eine effiziente Begutachtung in gewissem Maße entgegengewirkt werden. Eine Voraussetzung besteht natürlich darin, dass sich der Medizinische Dienst an dem Wunsch des Versicherten orientiert. Aber das ist bereits in dem erwähnten § 18 Abs. 2 manifestiert und ist auch durch § 147 nicht ausgehebelt worden. Man muss auch sagen, dass sich § 147 in Coronazeiten bewährt hat. Die dauert ja schon mehr als zwei Jahre. So bedauerlich es ist, muss ich aber auch sagen, dass wir vielleicht gezwungen sind, im Herbst wieder darauf zurückzugreifen.

Ein kleines Problem hat sich ergeben. Wir sind auch in unseren Gesprächen mit Hausärzten auf das Thema, das ich gerade erwähnt habe, angesprochen worden. Es ging darum, dass es nicht nur sein kann, dass Begutachtungen nicht nur digital oder per Telefon stattfinden. Dazu gehört es zum Beispiel auch, dass wir noch stärker informieren. Sowohl der bestehende § 18 als auch der abweichende § 147 sehen ausdrücklich vor, dass der Wunsch des Versicherten zu berücksichtigen ist.

Was sind die Vorteile der alternativen Begutachtungsformen? Wie gesagt, wir reden hier über Videokonferenzen. Wir reden über Telefoninterviews, über eine befundgestützte Aktenlage oder auch über sogenannte modulgestützte Begutachtungen in Pflegeeinrichtungen. Es ist eine absolute Ressourcenschützung. Und zwar werden Ressourcen geschützt, die das Personal betreffen und die zu mehr Effizienz führen.

Eines muss man auch zum Punkt Nachhaltigkeit sagen. Aktuell ist es so, dass bei dem Volumen, das abzuarbeiten ist, knapp 130 Gutachterinnen und Gutachter jeden Tag mit dem Auto durch Sachsen-Anhalt fahren, um diese Leistungen abarbeiten zu können.

Die Qualität der Pflegebegutachtung ist natürlich ein ganz wichtiges Kriterium. Es sagt nach Angaben des Medizinischen Dienstes aus, dass mit der Einführung der Telefoninterviews die Qualität auf gleich hohem Niveau geblieben ist. Das wird unter anderem mit der Tatsache begründet und belegt, dass sich die Verteilung der Pflegegrade mit den Möglichkeiten der alternativen Begutachtungsformen nicht verändert hat.

Es besteht eine größere Flexibilität für die Beteiligten. Das sind die Versicherten, die Angehörigen, das Pflegepersonal und das Gutachterpersonal an sich. Auch diese hat sich deutlich erhöht, unter anderem durch wegfallende Anfahrtswege, was z. B. auch den Einrichtungen und Diensten mit dem ohnehin straffen Tagesprogramm zugute kommt.

Ganz wichtig ist die Akzeptanz der neuen Begutachtungsformen, ebenfalls wieder bei allen Beteiligten. Dazu gibt es eine Versichertenbefragung hinsichtlich der Zufriedenheit. Auch diese hat ergeben, dass die alternativen Begutachtungsformen ebenso akzeptiert werden wie die davor vorrangig geführten Vor-Ort-Begutachtungen in der eigenen Häuslichkeit.

Pandemiebedingt konnten im Jahr 2021 ca. 2 700 Menschen von Angesicht zu Angesicht begutachtet werden. Telefonisch hat der Medizinische Dienst mit mehr als 60 000 Menschen gesprochen. Für beide Begutachtungswege bescheinigen die Menschen, wie gesagt, eine hohe Zufriedenheit. Bei den Face-to-Face-Begutachtungen waren es mehr als 90 %, genau gesagt 91,5 %. Bei den Telefoninterviews erzielte der Medizinische Dienst eine Zufriedenheit von ungefähr 89 %, was aber natürlich gut vergleichbar ist.

Auch auf der Bundesebene gibt es aktuell Bemühungen zur Thematik der alternativen Begutachtungsformen. Es gibt ein laufendes Gesetzfindungsverfahren für ein Pflegebonusgesetz und damit einhergehende Änderungsanträge zu § 18 Abs. 2, was ich vorhin bereits angesprochen habe. Der PKV-Verband und auch der AOK-Bundesverband haben im Rahmen dessen Stellung genommen und Änderungsvorschläge eingereicht. Rein praktisch wären in § 18 eigentlich nur die Worte „im Wohnbereich des Pflegebedürftigen“ zu streichen und entsprechende Alternativen zu manifestieren.

Die Koalitionsfraktionen möchten mit ihrem Antrag erreichen, dass alternative Begutachtungsformen zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit in Abweichung von § 18 Abs. 2 des Sozialgesetzesbuches XI über den 30. Juni hinaus fortgeführt und in der Folge verstetigt werden können.

Des Weiteren wollen wir, dass es dem Medizinischen Dienst auch möglich ist, effiziente Begutachtungen durchzuführen, die bei einem prognostizierten Mehraufwand keinen ebenso deutlichen Personalaufwuchs nach sich ziehen, was zweifellos nicht nur den Einrichtungen und Diensten zugute kommt, sondern auch unseren Finanzminister freuen wird.

Deshalb bitten wir um Zustimmung zu dem Antrag der Koalitionsfraktionen. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Danke, Frau Dr. Schneider. Sie haben noch ganz viel Zeit gehabt. Das war also nicht das Problem am Anfang. - Gut.