Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Hätten wir in der vorigen Legislaturperiode einen Finanzminister gehabt, der sich an Verabredungen im Koalitionsvertrag hält, der Landtagsbeschlüsse umsetzt und der fachliche Voten des zuständigen Ausschusses wie des Fachministeriums Gewicht bemisst - die heutige Debatte hätte sich erübrigt; denn die Heim-Mindestbauverordnung war Bestandteil des Kenia-Koalitionsvertrages samt 80-prozentiger Einzelzimmerquote. Daran hat Herr Wald gerade eindrucksvoll erinnert. Im Mai 2018 bekräftigte der Landtag dieses Anliegen mit einem entsprechenden Beschluss.

Mit der Vorlage einer neuen Heim-Mindestbauverordnung im Mai 2019 hat das Sozialministerium diesen Auftrag erfüllt. Dann stoppte der Finanzminister diese wichtige Verordnung. Nun der neue Vorlauf in neuer Version, aber ohne die so zentrale verpflichtende Einzelzimmerquote.

Ich möchte Sie heute an die Charta der Rechte für hilfe- und pflegebedürftige Menschen erinnern. Artikel 3 dieser Charta ist überschrieben mit dem zentralen Begriff „Privatheit“. Hierin heißt es:

„Sie haben das Recht, zu bestimmen, wer Ihre Räume betritt. Dazu gehört auch, dass Sie jederzeit Besuch empfangen oder abweisen können. Sie müssen die Möglichkeit haben, einige Zeit allein zu sein sowie ungestört kommunizieren zu können.“

Wie stellen Sie sich eigentlich die Umsetzung dieser Rechte in einem Doppelzimmer vor?

(Zustimmung von Olaf Meister, GRÜNE und Eva von Angern, DIE LINKE)

Nein, das wird auch der Markt nicht regeln, weil es eben diesen Markt mit freier Auswahl bei Pflegeplätzen im Land Sachsen-Anhalt nicht gibt. Dafür sind die Plätze einfach zu knapp. Der Markt wird also nicht verhindern, dass wir im Land Sachsen-Anhalt auch in Zukunft noch große Einrichtungen mit zahlreichen Doppelzimmern haben werden, und das Land will es jetzt auch nicht mehr verbindlich regeln.

Leider wurde die Zeit im Jahr 2019 auch nicht genutzt, um dazuzulernen. Die Hitzesommer 2019 und 2020 haben uns eindrucksvoll vor Augen geführt: Hitzeschutzmaßnahmen haben absolute Priorität, besonders in Senioreneinrichtungen.

Daher ist es unhaltbar, z. B. die Verpflichtung zur Temperaturregelung in den Zimmern und die Möglichkeit zur Verschattung an eine zehnjährige Übergangsfrist zu koppeln. So aufwendig, dass es diese Frist für die Träger und die Einrichtungen bräuchte, sind viele dieser Maßnahmen auch nicht. Es gibt also an diesem Verordnungsentwurf Punkte, die dringend nachgeschärft oder wieder geschärft werden müssen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Er entspricht in einem für uns hoch relevanten Punkt auch nicht fertig abgestimmten Verordnung von 2018. Deshalb teilen wir die Auffassung des Sozialministeriums, der Anhörung der Betroffenen sei mit dem Verfahren in den Jahren 2018 und 2019 entsprochen worden, nicht.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Die Verzögerung, die jetzt eintreten müsste, ist selbstverständlich frustrierend, weil der Prozess ja schon so lange läuft. Aus unserer Sicht muss aber vor dem Einvernehmen des Landtags diese erneute Anhörung stehen. Wir werden dieser Verordnung heute - das sage ich aus tiefstem Herzen: leider - nicht zustimmen können. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Frau Susan Sziborra-Seidlitz, es gibt eine Intervention von Frau Dr. Schneider. - Bitte, Frau Dr. Schneider.


Dr. Anja Schneider (CDU):

Vielen Dank. - Da wir schon am Ende der Debatte sind, möchte ich nur noch einmal an Folgendes erinnern: Die Rückmeldungen, die wir in vielen Fraktionen bekommen haben, kamen überwiegend von der Eingliederungshilfe und nicht vom Altenpflegebereich.

(Katrin Gensecke, SPD: Genau!)

Diese längst überfälligen Veränderungen werden insbesondere dort dringend erwartet. Nicht gelungen ist uns - das muss man ganz klar sagen -, die Verbindung zwischen der Eingliederungshilfe und dem Altenpflegebereich hinzubekommen. Das konterkariert sich. Wir haben in der heutigen Debatte häufig nur die Dinge gehört - die Einzelzimmer wurden genannt -, die den Altenpflegebereich betreffen. Aber in diesem Bereich passen die Regelungen des SGB IX und des SGB XI nicht gut zusammen. Darauf müssten wir schauen. Wir können nicht den einen Bereich vor den anderen schieben. Hier müssten wir noch einmal schauen. Ich denke, da haben alle Fraktionen in diesem Haus noch Hausaufgaben zu machen. - Vielen Dank.


Vizepräsident Wulf Gallert:

Sie können reagieren.


Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):

Das würde ich sehr gern. - Vielen Dank, Frau Dr. Schneider für diese Intervention. Ich glaube, wir teilen beide die Auffassung, dass das deutsche System der vielen Sozialgesetzbücher, an denen sich Rechtskreise überschneiden und an denen auch Reaktions- und Regelungsnotwendigkeiten vom Land in ungünstiger Weise, wie wir es jetzt gerade gesehen, übereinanderliegen, schwierig ist.

Das ist schwierig zu lösen, das stimmt. Nichtsdestotrotz glaube ich, dass es uns gelingen muss, beiden Ansprüchen gerecht zu werden, also den Rechten und den Bedürfnissen der Senioren und auch den Rechten und den Bedürfnissen derer, die in der Eingliederungshilfe leben. Nicht zuletzt muss man auch den Rechten und den Bedürfnissen der Träger, die dafür sorgen, dass diese Menschen gut versorgt sind, gerecht werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)