Kerstin Eisenreich (DIE LINKE):

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit Verlaub: Die Debatte zu dem Antrag wird hier sicherlich sehr unterschiedlich und fokussiert geführt werden. Ich bin Herrn Minister dankbar, dass er schon zu dem wirtschaftlichen Teil gesprochen hat, also hinsichtlich der Rohstoffe. Wir haben dazu gestern unseren Antrag eingebracht. Insofern verzichte ich jetzt darauf, dieses Thema weiter zu vertiefen. Es wird anklingen, aber ich denke, wir müssen den Fokus noch einmal darauf legen, was aus meiner Sicht in der Debatte eigentlich noch hätte stattfinden sollen. Meine Vorrednerin ist darauf schon eingegangen.

Ich möchte noch vorwegnehmen, dass der erste Redebeitrag in dieser Debatte nur so von Halbwahrheiten strotzte. Ich glaube, wenn man das alles auseinandernehmen würde,

(Zurufe von der AfD: Fakten! - Was denn?)

dann würde der ganze Tag dafür draufgehen.

(Zurufe von der AfD: Welche denn? - Welche ganz konkret?)

Sie werden in meinem Beitrag einige hören. Lassen Sie sich überraschen.

(Zuruf von der AfD: Na, dann!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die derzeitige Inflation von 7,4 % ist das Ergebnis der seit mehr als einem Jahr ansteigenden Preise. Angefangen bei Rohstoffpreisen geht es natürlich bis hin zu den Verbraucherpreisen im Supermarkt.

(Zuruf von der AfD: Wissen wir!)

Doch während das Thema in der Politik erst jetzt so richtig angekommen zu sein scheint, litten die Menschen bereits kurz nach Beginn der Coronapandemie darunter. Zwar stiegen zum damaligen Zeitpunkt die Preise nicht oder nicht so sehr.

Dafür mussten aber aufgrund von Kurzarbeit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erhebliche Einkommensverluste in Kauf nehmen. Das war und ist gerade für die Arbeitnehmerinnen in Sachsen-Anhalt erheblich. Liegen doch die Einkommen nach wie vor unter dem Bundesdurchschnitt und das Armutsrisiko ist besonders hoch. Darauf hat meine Fraktion im Übrigen mit allen Anträgen zum Ausgleich pandemiebedingter Risiken immer und immer wieder aufmerksam gemacht. Die kann ich jetzt gar nicht alle aufzählen.

Die vorgeschlagenen Maßnahmen und die Hinweise auf die prekäre Situation vieler Menschen, insbesondere auch der Kinder, fanden hier aber kaum Beachtung. Das in der Antragsbegründung angeführte Zitat der Präsidentin des Sozialverbandes VdK Verena Bentele zu einer sich verfestigenden Armut besagt demnach ganz klar, dass die Armut und das Armutsrisiko bereits vorher ein sehr großes Problem waren.

Das heißt, Millionen Menschen in Deutschland hatten bereits vor und während der Pandemie keinen Zugang zu ausreichender und gesunder Ernährung, zu ausreichender Energie- und Wärmeversorgung, zu Mobilität, zu Sport, zu Kultur und zu Freizeitangeboten.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Das gerät leider in der jetzt durch die Inflation sehr zugespitzten Situation in Vergessenheit. Unbestritten ist, dass immer mehr Menschen in Deutschland und in Sachsen-Anhalt davon betroffen und auf Hilfen angewiesen sind. Insofern sind die Entlastungspakete der Bundesregierung grundsätzlich richtig, aber ich zitiere: „Am stärksten entlastet würden die mit dem ganz großen Portemonnaie.“ - Das kritisiert Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des paritätischen Wohlfahrtsverbandes.

Damit sind im Übrigen wir, so wie wir alle hier sitzen, gemeint. Wir bräuchten doch diese Unterstützung nicht, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Da hier von einem Versorgungsmangel gesprochen wird, muss ich nochmals etwas klarstellen und auch damit stehe nicht allein: Das Problem sind nicht vermeintlich fehlende Lebensmittel, sondern in erster Linie ist für viele Menschen das Problem, dass sie sich diese nicht oder nicht in ausreichendem Maße leisten können, auch in Deutschland. Dementsprechend benötigen immer mehr Menschen in Deutschland Unterstützung durch die Tafeln und diese geraten dadurch auch in Not, weil mit der gleichen Menge an Lebensmitteln nun mehr Menschen versorgt werden müssen.

Wir sollten uns einmal ganz ehrlich fragen, ob wir jeder Medienmeldung über vermeintlich drohende Engpässe wirklichen hinterherhecheln und Lebensmittel hamstern oder horten sollten, die wir gar nicht in der Menge brauchen oder in einem vernünftigen Zeitraum verarbeiten können.

(Zustimmung von Monika Hohmann, DIE LINKE, von Elrid Pasbrig, SPD, und von Olaf Meister, GRÜNE)

Meine Vorrednerin hat auch auf die Haltbarkeit verwiesen. Denn Lebensmittel, die nicht dauerhaft haltbar sind, werden am Ende doch nur weggeworfen. Da haben wir das Problem. Das ist ein absoluter Irrsinn, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Wir sollten unseren Blick über den nationalen Tellerrand hinaus werfen. Ich weiß, das fällt der einbringenden Fraktion immer sehr schwer, aber wir sollte das tun. Ich bin daher sehr froh über das Fachgespräch im Ausschuss für Landwirtschaft, Ernährung und Forsten. Denn das Thema Ernährungssicherheit und Hunger betrifft weltweit Hunderte Millionen Menschen und im Übrigen, anders als viele vermuten, die meisten in Südasien, wie Rafael Schneider von der Welthungerhilfe es im Ausschuss berichtete.

Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine   es ist eben nicht, wie im AfD-Antrag verharmlosend genannt, ein Konflikt   wird die Zahl der vom Hunger bedrohten Menschen um mehrere Dutzend Millionen erhöhen, da 30 % der Lieferungen aus dem Welternährungsprogramm aus der Ukraine kamen. Auch darüber haben wir hier schon gesprochen.

Die Auswirkungen werden allerdings erst so richtig nach der diesjährigen Ernte aufgezeigt werden. Denn noch steht die Ernte aus dem vergangenen Jahr zur Verfügung. Das Problem sind im Moment die logistischen Lieferketten. Dazu kommt aber auch, dass in den betroffenen Ländern Ernterückgänge zu verzeichnen sind und wie gesagt Lieferkettenschwierigkeiten in der ganzen Welt bestehen, unter anderem auch aufgrund der enorm gestiegenen Transportkosten oder wie im Fall der Ukraine durch den Krieg.

Das Problem ist auch hierbei nicht allein die Frage, ob Lebensmittel überhaupt verfügbar sind, sondern ob sich die Menschen die importierten Lebensmittel leisten können. Denn ein großer Teil der armen Menschen weltweit muss 60 % bis 80 % des Einkommens für Lebensmittel ausgeben. Setzen Sie das einmal zu Ihren Einnahmen in Relation.

Diese Probleme müssen kurz-, mittel und langfristig gelöst werden, wie auch das Fachgespräch ergab. Der Handel mit Lebensmitteln und die Logistik und Transportwege müssen offen gehalten werden. Es muss aber auch möglich sein, verschiedene Quellen für Importe zu aktivieren, damit nicht beim Wegfall einer Quelle eine Katastrophe droht.

Mittel- und langfristig müssen aber der Selbstversorgungsgrad in diesen Ländern erhöht sowie Strukturen vor Ort entwickelt und unterstützt werden. Dazu noch eine kleine Anmerkung von mir: Auch Deutschland erfüllt seit Jahren nicht das Ziel der Entwicklungshilfezahlungen. Das ist aber dringend notwendig, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Zustimmung von Stefan Gebhardt, DIE LINKE, und von Olaf Meister, GRÜNE)

Der Minister Schulze hat gestern bereits zur Nutzung der stillgelegten Flächen ausgeführt. Auch im Fachgespräch   er wird sich erinnern   wurde mehrfach betont, dass diese insbesondere international für die Ernährungssicherheit nicht relevant seien. Ja, man kann es ausrechnen   das haben Sie getan; danke für die Zahlen  , was diese Flächen bringen. Ich will dabei überhaupt nicht in Abrede stellen, dass wir in der angespannten Situation auf der Umsetzung dieses 4-%-Ziels nun beharren wollen, d. h., die geplanten Flächen aus der Wirtschaft herauszunehmen. Ich bin der Meinung, dass man sich bei denen, die draußen sind, gut überlegen muss, ob man eine Rolle rückwärts macht.

Bei der Versorgung in Deutschland selbst sind die Stellschrauben meines Erachtens andere als die Wiedernutzung bereits stillgelegter Flächen. Auch das wurde im Fachgespräch unterstrichen. Wir müssen uns dagegen in Europa   ich sage bewusst Europa   und auch in Sachsen-Anhalt fragen, was eigentlich wozu angebaut wird.

Denn bereits im März habe ich an dieser Stelle darauf verwiesen, dass ein großer Teil des in Europa angebauten Getreides bisher als Tierfutter verwendet wird. Auch dazu gab es klare Aussagen im Fachgespräch. Eine Reduzierung des Fleischverzehrs ist sinnvoller, als stillgelegte Flächen wieder zu kultivieren.

(Zustimmung von Dorothea Frederking, GRÜNE)

Es geht also darum, dass Interessenkonflikte zwischen Ernährungssicherheit und Naturschutz eben nicht gegeneinander ausgespielt werden und genauso wenig Klima- und Umweltziele über Bord geworfen werden dürfen.

(Zustimmung bei der LINKEN und von Dorothea Frederking, GRÜNE)

Ich möchte darauf noch einmal eingehen. Auch hierzu hat meine Vorrednerin schon kurz etwas gesagt. Solange wir hier im Land Unmengen von Lebensmitteln vernichten, dürfen wir uns wirklich nicht ständig fragen, ob es Engpässe gibt.

(Zustimmung bei der LINKEN und von Elrid Pasbrig, SPD)

Das Thema müssen wir dringend angehen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren von der FDP, Sie können sich gern schon einmal unsere Anträge zum Wegewerfverbot aus der letzten Legislaturperiode durchlesen. Wir helfen Ihnen auch gern und stellen sie vielleicht bei Gelegenheit noch einmal; vielleicht ist das sinnvoll.

(Guido Henke, DIE LINKE, lacht)

Gestern haben wir hier über unseren Antrag zu Maßnahmen gegen die Preistreiberei debattiert. Ja, der Titel zeigt schon es: Preise sind menschengemacht. Sie steigen und fallen eben nicht von allein. Dahinter stehen immer Menschen mit ihren ökonomischen Interessen und ihrem entsprechenden Handeln.

(Guido Kosmehl, FDP: Auch gut bezahlte Arbeitsplätze verstecken sich dahinter!)

Deshalb kann ich Ihnen heute nicht die folgende Frage ersparen: Wie kann es denn sein, dass Familien, Rentnerinnen, Arbeitnehmerinnen, Mieterinnen, Studierende und Gewerbetreibende hier tagtäglich um das Überleben kämpfen, während unter anderem Rohstoffkonzerne oder Eigentümer von Lebensmittelriesen wie Aldi oder Lidl beim Blick auf ihre durch die Decke schnellenden Kontostände vor Lachen nicht mehr in den Schlaf kommen.

(Beifall bei der LINKEN - Zurufe)

Da läuft doch etwas falsch, meine sehr geehrten Damen und Herren. Dagegen müssen wir als Politik endlich etwas unternehmen. Denn der Markt wird das nicht im Interesse der Menschen regeln.

(Zustimmung bei der LINKEN - Guido Kosmehl, FDP: Doch, genau wie der Wähler das regelt!)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Danke. Einen Augenblick bitte. Möchten Sie die Frage von Herrn Siegmund beantworten?


Kerstin Eisenreich (DIE LINKE):

Nein.


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Nein, Sie möchten nicht. - Dann kann Herr Scharfenort eine Intervention tätigen.


Jan Scharfenort (AfD):

Frau Eisenreich, Sie haben die Probleme wieder sehr gut und genau beschrieben. Ich muss den LINKEN zugutehalten, dass sie das genau erkennen; auch die Dringlichkeit, wie gestern auch in meiner Rede.

Ich möchte trotzdem noch einmal zu den Ursachen zurückkommen, weil Sie auch davon sprachen, über den Tellerrand, über die nationalen Grenzen hinweg zu schauen. Schauen wir doch einmal zu den Staaten in Europa, die nicht in der Europäischen Union sind. Es ist nun einmal so, dass die EZB für uns die Geldpolitik macht. Wir haben die Verantwortung vor vielen Jahren abgegeben und von der Bundesbank auf die Europäische Zentralbank übertragen. Andere europäische Länder haben das nicht gemacht. Was kann man dort sehen? Was machen jetzt die europäischen Länder? Sie haben die Zinsen auf ihre Anleihen schon drastisch angehoben, so wie es die Fed jetzt auch Schritt für Schritt machen wird.

Ich erinnere nur noch einmal daran: In Artikel 127 Abs. 1 AUEV steht, dass die Preisstabilität das oberste Ziel der EZB ist. Was macht sie? - Sie hebt die Zinsen nicht an. Warum nicht? - Weil sie es nicht mehr kann, weil dann der Euro auseinanderfliegt, die Südstaaten pleitegehen, die Zombieunternehmen pleitegehen und die Banken pleitegehen.

Aber die Ursache ist doch, dass Sie die EZB immer wieder zu einer weiteren Verschuldung ermuntert haben. Die EZB hat Ihnen durchaus auch gesagt, welche Risiken darin stecken. Nun gab es auch einen Wechsel an der Spitze mit Frau Lagarde; das war sicherlich auch eine Brüssel genehme Personalie. Und so läuft das jetzt weiter. Es gibt kaum noch einen Ausweg. 

Ich bin gespannt auf Ihre Lösungskonzepte, auf das, was Sie da ansprechen. All das ist eigentlich Makulatur; das hilft nicht weiter. Wir müssen einfach ein Signal an die Bundesregierung geben und dann nach Brüssel, damit sie die Geldpolitik endlich wieder auf vernünftige Füße stellen.

(Beifall bei der AfD - Zuruf von Guido Kosmehl, FDP)