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Plenarsitzung

Eine Grundlage für Staat und Gesellschaft

Vor beinahe 25 Jahren, am 15. Juli 1992, traf der Landtag von Sachsen-Anhalt eine richtungsweisende Entscheidung, die fortan das politische und gesellschaftliche Geschehen in dem neuen Bundesland bestimmen sollte. Mit der feierlichen Ausfertigung der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt am Tag darauf wurde das Fundament gelegt, auf dem das Land stabil und dauerhaft errichtet werden konnte.

Den Landtagsabgeordneten der ersten Stunde war sehr wohl bewusst, dass sie an diesem Tag den Höhepunkt der ersten Legislaturperiode erlebten. Dabei hatte das Parlament den Auftrag zur Erarbeitung einer Verfassung erhalten, als es noch gar nicht existierte: Die erste frei gewählte Volkskammer bestimmte im sogenannten Ländereinführungsgesetz vom 22. Juli 1990, dass der Landtag gleichzeitig die verfassunggebende Versammlung ist.

Landtagspräsident Dr. Klaus Keitel (r.) und Ministerpräsident Prof. Dr. Werner Münch bei der feierlichen Unterzeichnung der Verfassung für das Land Sachsen-Anhalt vor 25 Jahren. Foto: Landtagsarchiv

Die Ziele der neuen Verfassung

Die Vertreter aller Fraktionen wollten der Region zwischen Elbe und Saale, Elster und Bode eine Verfassung geben, durch die die Freiheit und Würde des Menschen gesichert, die Grundlage für ein soziales und gerechtes Gemeinschaftsleben geschaffen, die wirtschaftliche Entwicklung gefördert, die natürlichen Lebensgrundlagen erhalten und die kulturelle sowie geschichtliche Tradition in allen Landesteilen gepflegt werden kann. Sie strebten eine Verfassung an, die heute, morgen und in der Zukunft Grundlage aller staatlichen Tätigkeit sein soll, die das Wohl der Menschen zu fördern hat, die dem Frieden dient und das Land Sachsen-Anhalt zu einem lebendigen Mitglied der Bundesrepublik Deutschland und der europäischen Völkergemeinschaft werden lässt.

Es wurde eine moderne Verfassung, die das Land in den Rahmen der rechts-, sozial- und bundesstaatlichen Gesamtverfassung der Bundesrepublik einordnete. Die generelle Richtung gab das Grundgesetz vor, laut dem die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates zu entsprechen hat. In das Vorwort – die Präambel – flossen Erfahrungen aus der unmittelbar vorausgegangenen Geschichte des neuen Landes ein, das wie kaum ein anderes ein schweres Umwelterbe zu tragen hatte und sich als „Teil der Gemeinschaft aller Völker“ – also im Westen wie im Osten – verstand.

Der inhaltliche Aufbau der Verfassung

In insgesamt 101 Artikeln regelt die Verfassung mit ihren drei Hauptteilen seither die Grundlagen der Staatsgewalt, das Verhältnis zwischen Bürger und Staat sowie die Staatsorganisation. Anders als beim Grundgesetz wurde der besseren Orientierung und Lesbarkeit wegen jeder Artikel mit einer Überschrift versehen. Die ersten beiden beziehen sich auf „Grundlagen der Staatsgewalt“. So wird Sachsen-Anhalt als ein demokratischer, sozialer und „dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ verpflichteter Rechtsstaat definiert. In das Grundgesetz wurde Umweltschutz als Staatsziel erst zwei Jahre später aufgenommen, 2002 kam dort auch der Tierschutz hinzu.

Der zweite Hauptteil der Landesverfassung beinhaltet unter der Überschrift „Bürger und Staat“ Grundrechte, Einrichtungsgarantien und Staatsziele. Zu einem eigenen Grundrechtsteil, der sich zwar weitgehend an entsprechende Passagen des Grundgesetzes anlehnt, entschloss man sich in Sachsen-Anhalt wie in den anderen neuen Bundesländern, um das Identitätsbewusstsein der Menschen zu fördern.

Würde jedes Einzelnen verbrieftes Recht

Wie in ganz Deutschland ist in Sachsen-Anhalt die Unantastbarkeit der Würde des Menschen verfassungsmäßig verbrieftes Recht. Im Unterschied zum Grundgesetz hat hier jedermann aber nicht nur das „Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“, sondern auch auf seelische. Als ein Grundrecht wurde auch der Datenschutz in der Verfassung verankert, mit der Garantie zum Schutz personenbezogener Daten und dem Auskunftsrecht über Umweltdaten. Der Erfahrungen der DDR gedenkend, schließt Sachsen-Anhalts Grundrecht auf Vereinigungsfreiheit ausdrücklich die Beteiligung an Bürgerbewegungen ein. Beim Petitionsrecht wurden, Hinweisen von Bürgern folgend, die zuständigen Stellen verpflichtet, „in angemessener Frist … Bescheid zu erteilen“.

Neben Grundrechten enthält die Verfassung auch sogenannte Einrichtungsgarantien und Staatsziele. Sie sind nicht einklagbar, aber dennoch immens wichtig für die Bürger. Sie verpflichten Land und Kommunen, Bereiche von unmittelbarer Bedeutung für die Lebensqualität der Menschen zu fördern und zu unterstützen. So werden Ehe, Familie und Kindern besonderer Schutz der staatlichen Ordnung zugesichert. Staatliche Aufgabe ist es auch, öffentliche Schulen und Schulen in freier Trägerschaft, die Hochschulen, die Kirchen und die freie Wohlfahrtspflege zu fördern.

Wichtige Staatsziele werden benannt

Ferner sind Land und Kommunen verpflichtet, die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern sowie Kunst, Kultur und Sport zu fördern und älteren sowie Menschen mit Behinderungen besonderen Schutz zu gewähren. Zu den wohl wichtigsten Staatszielen zählen „Arbeit“ und „Wohnung“. Artikel 39 benennt als dauernde Aufgabe von Land und Kommunen, „allen die Möglichkeit zu geben, ihren Lebensunterhalt durch eine frei gewählte Arbeit zu verdienen“. Jedoch wurde in Sachsen-Anhalts Verfassung kein Recht auf Arbeit verankert, weil dies nicht umzusetzen wäre. Im Unterschied etwa zu Bayern, Berlin oder Bremen wurde auch darauf verzichtet, eine angemessene Wohnung als einklagbares Grundrecht aufzunehmen. Doch haben Land und Kommunen „die Bereitstellung ausreichenden, menschenwürdigen Wohnraumes zu angemessenen Bedingungen für alle zu fördern“ und dafür zu sorgen, „dass niemand obdachlos wird“.

Die Organisation des Staates

Der dritte Hauptteil der Landesverfassung regelt die Staatsorganisation – von Landtag, Landesregierung und Landesverfassungsgericht über die Gesetzgebung, Rechtspflege und Verwaltung bis zum Finanzwesen in Sachsen-Anhalt. Eine Besonderheit besteht darin, dass Fraktionen als selbstständige und unabhängige Gliederungen des Landtages verankert sind und der Opposition das Recht auf Chancengleichheit in Parlament und Öffentlichkeit zugestanden wird. Damit wollten die Väter der Verfassung ihrer DDR-Geschichte gedenkend verdeutlichen, dass Opposition keine lästige Begleiterscheinung, sondern ein Grundbaustein der Demokratie ist.

Ferner sieht die Landesverfassung das Recht des Parlaments zur Einsetzung von Untersuchungsausschüssen und Enquete-Kommissionen sowie nachdrücklich ein Frage- und Auskunftsrecht der Abgeordneten gegenüber der Landesregierung vor. Sie wird zudem verpflichtet, den Landtag „rechtzeitig“ über Gesetzesvorhaben zu unterrichten. Wie in allen neuen Ländern ist auch in Sachsen-Anhalt die direkte Einflussnahme der Bürger auf die Politik möglich – durch Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheid.

Diese sogenannten plebiszitären Elemente wurden bisher zehn Mal genutzt. Bundesweites Interesse fand zum Beispiel das Bürgerbündnis „Für ein kinder- und jugendfreundliches Sachsen-Anhalt“, das sich für die Ganztagsbetreuung aller Kinder einsetzte. Rund 270 000 Einwohner unterstützten mit ihrer Unterschrift einen solchen Gesetzentwurf, dessen Initiatoren daraufhin am 8. Juli 2004 Sitz- und Rederecht im Plenarsaal erhielten. Weil der Landtag dem Entwurf aber nicht zustimmte, kam es zum ersten und bisher einzigen Volksentscheid in der Geschichte Sachsen-Anhalts. Er scheiterte jedoch an einer zu geringen Beteiligung.

Anders als in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen wurde die Verfassung von Sachsen-Anhalt nicht durch Volksentscheid bestätigt, sondern mit einer Zweidrittelmehrheit des Landtags verabschiedet.