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Plenarsitzung

Jedes Opfer birgt ein menschliches Schicksal

Der Landtag und die Landesregierung von Sachsen-Anhalt haben am Dienstag, 27. Januar, in einer gemeinsamen Gedenkveranstaltung der Opfer des Holocausts und der Nazi-Diktatur in Europa gedacht. Der 27. Januar wird seit 1996 als Holocaustgedenktag begangen, an dem an die Millionen Toten in den NS-Vernichtungslagern und an die bei Massakern und Pogromen Getöteten erinnert wird. Die zentrale Veranstaltung in Sachsen-Anhalt fand in diesem Jahr in der ehemaligen NS-„Euthanasie“-Anstalt (heute eine Gedenkstätte) in Bernburg statt. Allein hier wurden 9 835 Menschen aufgrund einer Krankheit oder Behinderung vergast, zudem fanden etwa 5 000 kranke KZ-Häftlinge hier den Tod in der Gaskammer.

Vertreter/innen aus Politik, Religion und Gesellschaft legten an der Gedenkstätte in der Bernburger Olga-Benario-Straße Blumen und Kränze nieder. Die Heilanstalt war Anfang der 1940er Jahre zur Tötungsanstalt für Menschen mit einer Behinderung geworden – „man hatte sie zu ‚unwertem‘ Leben bestimmt“, erinnerte Kultusminister Stephan Dorgerloh an den Grund ihrer Vernichtung.

Die 9 835 Opfer waren Kinder und Erwachsene im Alter von vier bis 86 Jahren. In der Gedenkstätte zeugen heute einige Portraitfotos von den wehrlosen Opfern. „Die Geschichte der Gewalt ist unmittelbar mit der Geschichte unseres Landes verbunden“, erklärte Landtagspräsident Detlef Gürth. Versagen und Schuld der Täter und der Tätergeneration dürften nicht vergessen werden; aus dem Wissen über die Vergangenheit müsse das Gewissen für die Zukunft erwachsen, betonte Gürth. Dann sprach er das Totengedenken; mit einer Schweigeminute wurde der Opfer gedacht.

Auschwitz ist Synonym für den Völkermord

Die eigentliche Gedenkfeier fand im Bernburger Carl-Maria-von-Weber-Theater statt. Als Hauptredner wurde Andrzej Matuszewicz, Direktor des polnischen Regionalmuseums in Siedlce (Gedenkstätte Treblinka), begrüßt. Das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz sei zum Synonym für den Völkermord geworden, sagte Bernburgs Oberbürgermeister Henry Schütze: „Es ist nicht leicht, sich mit den Schrecken der Vergangenheit auseinanderzusetzen.“

Die von den Opfern durchlebte Hölle könne man als Nachgeborener nur schwer nachvollziehen. Wichtig sei, das Wissen um das Gewesene an die jungen Generationen weiterzugeben und die Erinnerung daran zu bewahren und zu verbreiten. Rassismus sei auch heute in unserer Gesellschaft zu finden, erinnerte Schütze mit Blick auf die aktuellen Ereignisse. „Deutschland ist ein vergleichsweise reiches Land – wir haben genug, um anderen einen Teil dieses Wohlstands abzugeben“, so Schütze.

Eine jede Zahl eine menschliche Tragödie

Für Ministerpräsident Reiner Haseloff bedeuten die Schrecken von Auschwitz einen Zivilisationsbruch. Die unvorstellbaren Todeszahlen ließen das Leid, die Qualen und das Sterben der Opfer mehr als erahnen. Hinter jeder Zahl stecke eine menschliche Tragödie, sagte Haseloff, auch und ganz besonders hinter denen der 200 000 Kinder, die in Auschwitz ermordet wurden. Es sei eine staatsbürgerliche Pflicht, die Erinnerung an die Opfer aufrechtzuerhalten; sie müsse schon im Elternhaus und in der Schule beginnen.

Die Täter und ihre Taten sollten beim Namen genannt werden, forderte Haseloff. Die Nazis hätten ihr Unwesen nicht nur in den Konzentrationslagern getrieben, sondern auch mitten unter uns. Der sogenannte „Gnadentod“ in den „Euthanasie“-Anstalten wie die in Bernburg zeige, wie perfide und perfekt die Tötungsmaschinerie der Nazis funktioniert habe. Die Frage nach dem Warum werde vermutlich nie vollständig beantwortet werden können, mutmaßte der Ministerpräsident – „aber es ist besser, immer wieder zu fragen als teilnahmslos zu schweigen.“ Es sei an uns Menschen heute, den Opfern von damals unser Gedächtnis zu schenken.

Treblinka – Todesort für 800 000 Menschen

Andrzej Matuszewicz, Direktor der Gedenkstätte des Vernichtungslagers Treblinka, betonte, dass die Menschen in ihrer Trauer vereint seien. Die Todesfabriken hätten perfekt funktioniert, und das auch, weil die Nazis mit ihrem System aus pseudowissenschaftlichen Theorien eine Veränderung des gesellschaftlichen, politischen und menschlichen Bewusstseins allen voran der Deutschen bewirkt hätten. Neben dem Arbeits- und Straflager Treblinka I war 1942 das Vernichtungslager Treblinka II errichtet worden. Am 23. Juli 1942 erreichte der erste Transport mit 7 400 Juden aus Warschau den Todesort. Etwa 800 000 Menschen fanden in den folgenden Monaten hier den Tod in den eigens konstruierten Gaskammern. Die Hunderttausenden Leichen wurden auf großen Leichenrosten kremiert. Die Gaskammern waren für ein Kontingent von 6 000 zu tötenden Menschen am Tag konzipiert.

Nicht selten vergingen lediglich zwei Stunden von der Ankunft der Menschen in Viehwaggons bis zu ihrer Vergasung. Die Selektion dauerte etwa eine Viertelstunde, nur wenige durften am Leben bleiben, hauptsächlich junge Menschen, deren berufliche Fähigkeiten man im Lager benötigte. Die Todgeweihten mussten sich entkleiden und ihre Wertgegenstände abgeben. Durch den sogenannten Schlauch (ein enger Weg) ging es direkt in die Gaskammer; unter den Lagerinsassen trug der Weg die zynische Bezeichnung „Himmelfahrtsstraße“. Während die Vergasung betrieben wurde, machte man sich an anderer Stelle schon an die Sortierung des Gepäcks. Den Getöteten wurden die Goldzähne ausgebrochen, bevor man sie verbrannte. Die Opfer verloren ihr Leben, die Täter jedoch keine Zeit, um sich auf den nächsten eintreffenden Transport vorzubereiten.

Nach 1943 – das Lager wurde vollständig liquidiert, die Asche- und Leichenstätte wurde umgepflügt und mit Lupinen bestellt – war Treblinka für gut 20 Jahre aus dem Gedächtnis verschwunden. Erst 1964 wurde ein erster Gedenkstein aufgestellt. Die Gedenkstätte in Treblinka zählt heute jedes Jahr rund 50 000 Besucher aus aller Welt. Mit Ausstellungen, Vorträgen und Museumsunterricht wird an die Vernichtung von 800 000 Menschen erinnert.