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Plenarsitzung

Transkript

Tagesordnungspunkt 11

Aktuelle Debatte

Schwangerschaftsabbrüche sind Teil von Frauengesundheit - Versorgung ungewollt Schwangerer in Sachsen-Anhalt sicherstellen

Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/4042


Die Redezeit beträgt zehn Minuten je Fraktion. Frau Sziborra-Seidlitz hat als Antragstellerin das Wort. - Bitte sehr.


Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE): 

Vielen Dank. - Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Lisa studiert Medizin. Sie macht das mit großer Freude und aus voller Überzeugung. Sie möchte später gern im Bereich der Gynäkologie arbeiten, auch weil sie Frauen in Notlagen helfen will. Deshalb gehört es zu ihrem Bild von Gynäkologie, auch Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen.

Doch Lisa hat Angst, dass sie das in ihrer medizinischen Ausbildung nie richtig erlernen wird. Denn nicht nur in ihrem Studium wird das Thema nur dürftig behandelt, auch in Praktika und in der Fachärzteausbildung fürchtet sie, diesen Eingriff nicht zu erlernen. Lisa sagt, dass sie sich nicht einmal traue, nachzufragen, ob sie in dem Klinikum oder in der Praxis, in der sie Praktika plane, Schwangerschaftsabbrüche erlernen könne. Denn sie hat Angst, dass sie deswegen für ihren Praktikumsplatz abgelehnt wird und sie später keinen Job findet.

Kathrin ist Frauenärztin. Für sie gehört es zu ihrem Selbstverständnis als Frauenärztin, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Doch bei der Arbeit muss sie oft Angst haben. Regelmäßig erhält sie Drohbriefe und Drohanrufe, teilweise Morddrohungen. Der Grund für diese Androhungen: Die Ärztin informiert auf ihrer Website darüber, dass sie in ihrer Praxis Schwangerschaftsabbrüche durchführt, wie sie es seit Kurzem darf.

Jana ist ebenfalls Frauenärztin. Sie ist Katholikin. Aufgrund ihrer Religion führt sie selbst keine Schwangerschaftsabbrüche durch. Dennoch ist es ihr ein wichtiges Anliegen, dass ihren Patientinnen, die ungewollt schwanger sind, geholfen wird. Denn was bringt es, diese Frauen zu Geburten zu zwingen oder zu überreden? Damit wäre weder dem Kind noch der Frau selbst geholfen. Jana hat deswegen eine selbsterstellte Liste mit Frauenärztinnen, an die sie die Frauen in ihrer Notlage verweist. Doch diese Liste wird immer kürzer und die Wege für ihre Patientinnen werden länger.

Diese drei Geschichten sind Erfahrungen, die man so von Ärztinnen und Medizinstudierenden in Sachsen-Anhalt hört, die ich selbst gehört habe. Sie machen sehr deutlich, worum es in dieser Debatte geht: Lange Zeit konnten wir uns in Sachsen-Anhalt beim Thema „Versorgung ungewollt Schwangerer“ vergleichsweise ausruhen, denn ja, die Versorgung war und ist immer noch besser als in westdeutschen Bundesländern, z. B. in Bayern.

Wir haben jahrelang davon profitiert, dass es in der DDR ein liberaleres Schwangerschaftsabbruchrecht gab als heute in Deutschland. Wir haben davon profitiert, dass in der DDR Frauenärztinnen Schwangerschaftsabbrüche regelhaft in ihrer Ausbildung erlernt haben und es zum Selbstverständnis des Berufsbildes gehörte, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen.

Diese Frauenärztinnen haben jahrelang dafür gesorgt, dass wir in Sachsen-Anhalt im bundesweiten Vergleich eine bessere Versorgungssituation bei Schwangerschaftsabbrüchen hatten. Doch diese Ärztinnen gehen langsam, aber sicher in ihren wohlverdienten Ruhestand. Allein zwischen 2017 und 2022 sind sechs Ärztinnen in Sachsen-Anhalt, die die Genehmigung zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen hatten, in den Ruhestand gegangen, ohne dass die Nachfolge geregelt war. 

Das klingt zunächst nicht viel, aber damit gab es in Sachsen-Anhalt nur noch 34 praktizierende Gynäkologinnen, die ambulant Schwangerschaftsabbrüche durchführen dürfen. Ob all diese Frauenärztinnen das tatsächlich tun, wissen wir nicht und das konnte auch die Landesregierung nicht beantworten. Wir können uns also nicht mehr darauf verlassen, dass diese Ärztinnen, die in der DDR ausgebildet wurden, bei uns die Versorgung sicherstellen. Umso besorgniserregender sind die Aussagen von zahlreichen Medizinstudentinnen und angehenden Ärztinnen in der Fachärzteausbildung, die angeben, dass sie gar nicht oder nur unzureichend auf die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen vorbereitet werden. 

Auch bei uns in Sachsen-Anhalt gibt es die Medical Students for Choice sowohl an der Uniklinik Magdeburg als auch in Halle. Diese Gruppe Studierender kämpft für eine bessere Ausbildung zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen. In ihrer Not organisieren sie sogenannte Papaya-Workshops. Ich weiß nicht, ob Sie sich das vorstellen können, wie das läuft. In diesen Workshops zeigen erfahrene Frauenärztinnen den Studierenden an Papaya-Früchten, wie ein Schwangerschaftsabbruch durchgeführt wird.

Dass es diese Gruppen in Halle und Magdeburg gibt, zeigt, dass der Bedarf da ist, dass es Medizinstudierende gibt, die das als Bestandteil ihrer gynäkologischen Ausbildung erlernen wollen, und die das Gefühl haben, dass sie darauf in ihrer Ausbildung nicht ausreichend vorbereitet werden.

Denn an der Universität werden nach Aussagen der Studierenden höchstens die moralischen und rechtlichen Aspekte von Schwangerschaftsabbrüchen gestreift, und im Rahmen der Fachärzteausbildung haben die Studierenden Angst, dass sie in einer Klinik oder Praxis ihre Facharztausbildung absolvieren, wo keine Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden und wo sie damit auch keine Erfahrungen sammeln können. Es ist nur logisch: Wenn die Anzahl an Kliniken und Praxen sinkt, in denen diese Eingriffe durchgeführt werden, dann sinkt auch die Zahl der Orte, an denen sie erlernt werden können.

Die erst kürzlich veröffentlichten Ergebnisse der ELSA-Studie zeigen ein dramatisches Bild für die Versorgung von ungewollt Schwangeren in Deutschland. Die ELSA-Studie ist eine vom Bundesministerium für Gesundheit in Auftrag gegebene Studie, die die Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt Schwangerer bundesweit untersucht.

In der Studie wird festgestellt, dass mehr als die Hälfte der befragten Frauen - 60 % - angab, dass sie Schwierigkeiten hatten, an Informationen zur Durchführung eines Schwangerschaftsabbruches zu kommen. Von diesen Frauen hatte die Hälfte wiederum Angst davor, dass andere Menschen schlecht über sie denken, wenn sie einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen. Mehr als jede vierte Frau musste mehrere Einrichtungen kontaktieren, ehe sie einen Termin für einen Schwangerschaftsabbruch erhalten hat - und das alles in einer Zeit, die sehr begrenzt ist, weil wir die Fristenregelung haben.

Ein Drittel aller in der Studie befragten Frauen konnte den Schwangerschaftsabbruch nicht auf die Art durchführen lassen, die für sie eigentlich sinnvoll gewesen wäre, weil die entsprechende Methode in der behandelnden Klinik oder Praxis entweder nicht angeboten wurde oder weil die Schwangerschaft für bestimmte Methoden wie etwa den medikamentösen Abbruch zu weit fortgeschritten war.

Ja, die ELSA-Studie stellt auch fest, dass die Versorgung in den ostdeutschen Bundesländern im bundesweiten Vergleich besser ist als in den westdeutschen Bundesländern. Aber erstens ist besser nicht unbedingt gut und zweitens verschlechtert die Versorgung sich gerade.

Auch in Sachsen-Anhalt gibt es Regionen, in denen Frauen mehr als 40 Minuten brauchen, um eine Klinik oder Praxis zu erreichen, in denen ein Schwangerschaftsabbruch durchgeführt werden kann. Die ELSA-Studie belegt auch, dass die Ausbildung von Ärztinnen im Bereich der Schwangerschaftsabbrüche bundesweit nicht ausreichend ist. Dazu ein Zitat aus der Studie: Nicht alle Ärztinnen erlernen in der Facharztweiterbildung die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen, besonders selten erlernen sie den medikamentösen Schwangerschaftsabbruch.

Es gibt also einen dringenden Handlungsbedarf, um sicherzustellen, dass betroffene Frauen in Sachsen-Anhalt einen Zugang zu sicheren, medizinisch durchgeführten Schwangerschaftsabbrüchen haben.

(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜNE)

Und ja, wir als Land können etwas tun: Wir können zumindest sicherstellen, dass die Ausbildung zu Schwangerschaftsabbrüchen in unseren landeseigenen Kliniken abgesichert ist, indem in den Stellenausschreibungen für gynäkologische Ärztinnen an landeseigenen Kliniken klargestellt wird, dass die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen und die Ausbildung dazu Teil des erwarteten Aufgabengebiets sind,

(Beifall bei den GRÜNEN)

damit wenigstens dort sichergestellt ist, das angehende Ärztinnen die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen erlernen und die Frauen wenigstens dort sichere Anlaufpunkte haben. 

Schwangerschaftsabbrüche sind und waren schon immer Bestandteil von Frauenleben. Frauen beenden ungewollte Schwangerschaften, egal ob es legal oder illegal ist, egal ob es einen Zugang zu einem medizinischen Abbruch gibt oder nicht. Was passiert, wenn sie auf sich selbst oder auf Pfuscher angewiesen sind, wissen wir aus der Geschichte, und wir können das auf der Welt wieder verstärkt beobachten. Sichere Schwangerschaftsabbrüche sind also Teil der Frauengesundheit. Ein nicht sicherer Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen schädigt die Gesundheit der Frau und kann bis zu ihrem Tod führen. Frauengesundheit hat nichts im Strafgesetzbuch zu suchen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der Linken)

Deswegen ist und bleibt eine wichtige Botschaft: § 218 muss weg. Der Schwangerschaftsabbruch muss endlich außerhalb des Strafgesetzbuches geregelt werden.

Es ist gut, dass die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung auch festgestellt hat, dass es dazu Möglichkeiten gibt und dass das internationale Recht und unsere Verfassung uns an dieser Stelle auch Aufträge geben. Denn weder dürfen Frauen in Notlagen stigmatisiert, noch dürfen sie kriminalisiert werden, noch dürfen das die Ärztinnen und Ärzte, die diese Frauen versorgen. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der Linken - Zustimmung bei der SPD)