Dr. Katja Pähle (SPD): 

Herr Präsident! Hohes Haus! Nicht erst das Abtreibungsverbot im Strafgesetzbuch, über das wir jetzt gerade diskutieren, ist Anlass für eine gesellschaftliche Debatte; denn bereits seit 1871 finden wir einen Paragrafen zum Thema Abtreibungsverbot. Es gibt immer wieder intensive gesellschaftliche Debatten darüber. Es geht um nichts weniger als das Recht von Frauen, über ihren Körper selbst zu bestimmen.

Zur Geschichte des § 218 gehört die Kampagne der proletarischen Frauenbewegung in der Weimarer Republik und ein schwerer und mehr als 20 Jahre andauernder Kampf der westdeutschen Frauenbewegung gegen die Kriminalisierung. Zu dieser Geschichte gehört ebenso, dass es in der DDR bereits ab 1972 ein liberales Abtreibungsrecht mit einer Fristenlösung für die ersten drei Monate der Schwangerschaft gab.

Im Jahr 1992 mussten beide Rechtssysteme, das DDR-System und das System der Bundesrepublik, in Einklang gebracht werden. Aus der parlamentarischen Mehrheit für eine Fristenlösung wurde aufgrund einer Klage Bayerns das heute geltende Recht, ein Kompromiss zwischen Beratungspflicht und Fristenmodell bis zur zwölften Schwangerschaftswoche. Das ist die aktuelle Rechtslage.

Schwangerschaftsabbrüche sind weiterhin ein Straftatbestand und können laut Strafgesetzbuch mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe geahndet werden. Straffreie Abbrüche sind möglich, wenn der Abbruch in den ersten zwölf Wochen vorgenommen wird, eine verpflichtende Beratung erfolgt ist und drei Tage Wartezeit danach eingehalten wurden.

Zusammengefasst: Ein Schwangerschaftsabbruch steht zwar im Strafgesetzbuch und ist damit kriminalisiert, wird aber unter bestimmten Voraussetzungen nicht bestraft. Frauen, die einen Abbruch nach den vorgeschriebenen Regeln vornehmen lassen, bleiben straffrei, aber nicht frei von Gefühlen des Unrechts und der Scham, die ihnen durch dieses Verfahren auferlegt werden. Es macht einen großen Unterschied für die Frauen, ob ein Abbruch mit dem Gefühl des Unrechts belegt ist oder nicht.

(Andreas Schumann, CDU: Na klar!)

Glauben Sie mir, keine Frau macht sich diese Entscheidung wirklich leicht.

(Andreas Schumann, CDU: Da bin ich mir nicht sicher!)

- Das habe ich gehört, Herr Schumann. - Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist klar, dass ein Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches geregelt sein soll und dass Schwangerschaftskonflikte nicht ins Strafrecht gehören. - So hieß es klar und deutlich auch in unserem Programm für die Bundestagswahl 2021.

Im Koalitionsvertrag der Ampel wurde vereinbart: Wir setzen eine Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin ein, die Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches prüfen wird.

Der Bericht der Kommission liegt nun vor und kommt zu dem Schluss, dass die derzeitigen Regelungen nach verfassungsrechtlichen, völkerrechtlichen und europarechtlichen Gesichtspunkten nicht weiter tragbar seien. Abbrüche innerhalb der ersten zwölf Wochen sollen legalisiert werden. An der Beratungspflicht dürfe der Gesetzgeber auf eigenen Wunsch jedoch festhalten - so die Empfehlung. Das haben viele Vorrednerinnen und Redner bereits gesagt.

Meine Damen und Herren! In der Aktuellen Debatte geht ein bisschen unter, was von der Ampelregierung bereits erreicht wurde, und zwar nach vielen Jahren der politischen Diskussion und Uneinigkeit, nämlich die Streichung des § 219a, der Regelung, die immer als Werbeverbot für den Schwangerschaftsabbruch beschrieben wird. Es ist fast zwei Jahre her, dass dieser Paragraf endlich gestrichen wurde.

(Zustimmung von Katrin Gensecke, SPD, von Juliane Kleemann, SPD, und von Susan Sziborra-Seidlitz, GRÜNE)

Wer glaubte, dass Frauen aufgrund einer Anzeige im Internet auf die Idee kommen, eine Schwangerschaft zu beenden, der muss schon mit einem sehr, sehr kruden Frauen- und Weltbild unterwegs sein.

(Beifall bei der SPD und bei der Linken - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Ärztinnen und Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, mussten bis vor zwei Jahren mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen, wenn sie sachliche Informationen über den Ablauf und die Methode des Schwangerschaftsabbruchs veröffentlichten. Niemand hat im Internet geschrieben: Buy one, get one free.

(Eva von Angern, Die Linke: Ja, das ist unfassbar!)

Es waren sachliche Informationen über Methode und Ablauf.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der Linken und bei den GRÜNEN)

Es scheint heute unvorstellbar, dass Frauen der Zugang zu sachgerechten Informationen über den sie betreffenden medizinischen Eingriff verweigert wurde. Frauen, die sich die schwierige Frage stellen, ob sie eine Schwangerschaft beenden, sehen sich seit Jahrzehnten stigmatisiert, kriminalisiert und Belästigungen vor Beratungsstellen ausgesetzt.

Ein Hinweis an den Kollegen von der AfD: Es gibt unterschiedlichste Gründe dafür, dass Frauen, meistens sogar mit ihrem Mann zusammen, darüber sprechen und entscheiden, dass sie ein Kind nicht bekommen wollen und können.

(Felix Zietmann, AfD: Weil ihr unser Geld in der ganzen Welt verschenkt!)

Neben unterschiedlichen Aspekten - wobei man bei der Unterstützung für Familien sicherlich immer mehr tun kann  , 

(André Schröder, CDU: Immer mehr? Überhaupt mal was!)

hat ein Kind, glaube ich, immer auch das Recht, gewollt und geliebt zu sein.

(Zustimmung bei der SPD, bei der Linken und bei den GRÜNEN)

Das darf man nicht in Abrede stellen.

Der Gesetzentwurf, der schwangere Frauen vor Belästigungen durch Abtreibungsgegnerinnen schützen soll, liegt im Bundestag zur Beratung. Künftig droht ein Bußgeld in Höhe von 5 000 €, wenn schwangere Frauen bspw. auf Gehsteigen vor Arztpraxen und Beratungsstellen bedrängt und belästigt werden. Die Meinungsfreiheit hat Grenzen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn Frauen ungewollt schwanger sind, befinden sie sich nicht nur in einer emotional schwierigen Situation, sondern stoßen auch auf Barrieren, wie den Zugang zu Informationen, Kosten für den Abbruch oder eine eingeschränkte Versorgung. Das zeigen die Ergebnisse der ELSA-Studie, über die heute bereits gesprochen wurde und die noch unter Gesundheitsminister Jens Spahn in Auftrag gegeben wurde.

Erste Ergebnisse liegen vor. Der Gesamtbericht einschließlich der Handlungsempfehlungen soll im Herbst an die Regierung übergeben werden. Es ist die erste umfassende und fundierte Erhebung für Deutschland. Die Studie verfolgt einen multidisziplinären Forschungsansatz von sechs Hochschulen und Universitäten und untersucht Lebenslagen und Bedürfnisse ungewollt Schwangerer, ihre Unterstützung und Versorgungsbedarfe sowie die Versorgungsstrukturen auf Bundes- und Landesebene.

Befragt wurden mehr als 5 000 Frauen, die gewollt oder ungewollt schwanger wurden. Erste Ergebnisse zeigen ein sehr heterogenes Bild von Lebenslagen und damit auch von Entscheidungen für den Abbruch einer Schwangerschaft. Ein Ergebnis zeigt, dass ungewollt schwangere Frauen mit vielen Barrieren konfrontiert sind, etwa die Erreichbarkeit einer Beratungs- und Versorgungseinrichtung. Besonders schlecht ist die Situation in Bayern, gut ist sie in Berlin, in Sachsen-Anhalt besteht ein hoher Versorgungsgrad. Ich finde, die Stellung für Sachsen-Anhalt in dem Bericht darf man nicht kleinreden. Wir sind im Vergleich der Bundesländer hierbei wirklich gut aufgestellt.

Wir wissen es auch aufgrund unterschiedlicher Kleine Anfragen oder aufgrund der Befassung mit dem Thema Frauengesundheit im Plenum und im Sozialausschuss. Wir haben in Sachsen-Anhalt eine Struktur. Man kann immer über mehr reden - man muss über den Schutz der Strukturen reden  , aber wir haben, was Versorgungs- und Arztpraxen sowie Kliniken betrifft, eine Struktur. Davon können sich andere Bundesländer, glaube ich, wirklich eine Scheibe abschneiden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im letzten Jahr wurde im Sozialausschuss über die Finanzierung der Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen diskutiert. Ich verweise auf den Beschluss des Hohen Hauses vom 21. Februar 2024, mit welchem wir z. B. beim Thema Finanzierung der Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen einen Weg für die nächsten Haushaltsberatungen gewiesen haben. Wir wissen, dass wir hierfür eine Absicherung brauchen; das will ich nicht in Abrede stellen. Aber wie gesagt: Wir können uns mit den Strukturen, die wir bereits haben, sehen lassen.

Wie eine Gesellschaft mit dem Recht auf Abtreibung umgeht, ist immer auch ein Spiegelbild ihres Frauen- und Familienbildes. Viele Länder sind andere Wege gegangen als Deutschland. So hat Frankreich als einziges Land auf der Welt das Recht auf Abtreibung in der Verfassung verankert. Im katholisch geprägten Irland und in Spanien gibt es ein liberaleres Abtreibungsrecht als bei uns.

In Italien, das bereits seit dem Jahr 1978 über eine Fristenregelung beim Thema Schwangerschaftsabbruch verfügt, zeigt sich allerdings, was sich aktuell auch im europäischen und internationalen Kontext verändert. Am gestrigen Tag hat auf Vorschlag der die Regierung Meloni tragenden Partei eine Regelung Eingang in das Gesetz gefunden, die es den „Lebensschützern“ ermöglicht, Zugang zu den öffentlich geförderten Familienberatungsstellen zu bekommen. Das heißt, Frauen, die in diese Stellen gehen, um sich z. B. über einen Abbruch informieren zu lassen, werden dort sofort mit den „Lebensschützern“ konfrontiert, und das ist in einem Gesetz geregelt.

In den USA wurde vom konservativ besetzten Obersten Gerichtshof die Grundsatzentscheidung auf einen Schwangerschaftsabbruch im Urteil „Roe gegen Wade“ im Jahr 2022 aufgehoben. Die Bundesstaaten können nun darüber entscheiden. Einige, z. B. Texas, haben sofort Verschärfungen und Verbote auf den Weg gebracht.

In Polen trat im Jahr 2021 unter der mittlerweile abgewählten PiS-Regierung ein verschärftes Abtreibungsrecht in Kraft. Seither dürfen Frauen eine Schwangerschaft nur dann beenden, wenn das Leben und die Gesundheit der Mutter gefährdet ist. Die neue Regierung unter Donald Tusk will das Abtreibungsrecht liberalisieren.

Die Beispiele zeigen, dass überall dort, wo rechte Kräfte erstarken, zuerst die Frauenrechte fallen. Es wäre an der Zeit, auch in Deutschland eine Neuordnung der Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen vorzunehmen, ohne Verbote, ohne Angst und Stigmatisierung. Auf jeden Fall müssen wir allen Verschärfungsideen zum Schwangerschaftsabbruch entgegentreten. Ich glaube, das sind wir den Frauen in dieser Republik einfach schuldig. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der SPD, bei den GRÜNEN und von Angela Gorr, CDU)