Dr. Heide Richter-Airijoki (SPD): 

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Hohes Haus! Vor einem Jahr, im April 2023, sind die letzten Coronaschutzmaßnahmen nach § 28b des Infektionsschutzgesetzes ausgelaufen. Mehr als zwei Jahre lang hat das Coronavirus unser Leben bestimmt und es bis heute verändert. In Deutschland gab es rund 38 Millionen registrierte Infektionen und etwa 64 Millionen Menschen wurden per Impfung grundimmunisiert,

(Lothar Waehler, AfD: Grundimmunisiert!)

in Sachsen-Anhalt rund 1,6 Millionen. Wir hatten deutschlandweit aber auch 164 000 Infizierte, die an der Infektion verstorben sind. In Sachsen-Anhalt waren es 6 000 Menschen.

Die Coronaschutzmaßnahmen haben uns allen viel abverlangt, aber sie waren insgesamt notwendig, um Menschen zu schützen und Leben zu retten.

(Lothar Waehler, AfD: Na, das eben nicht!)

Keine der weitreichenden Einschränkungen, die oft auch einen Eingriff in die Grundrechte bedeuteten, wurde leichtfertig getroffen, sondern es wurde immer abgewogen. Das zeigen übrigens auch die RKI-Protokolle, entgegen verschwörungstheoretischer Skandalisierung.

(Gordon Köhler, AfD: Haben Sie die ungeschwärzten?)

Grundlage war durchgehend eine sehr umfassende Analyse des jeweils aktuellen Stands der Forschung mit Berücksichtigung nicht nur von Einzelstudien, sondern auch dessen, was in der Wissenschaft zusammenfassend mit Body of Evidence, Gesamtheit der Evidenz, bezeichnet wird.

Das Zusammenwirken von Impfschutz und der Gesamtheit der Infektionsschutzmaßnahmen war ausschlaggebend dafür, dass wir in Deutschland und in Sachsen-Anhalt nicht noch viel mehr Leben an Covid 19 verloren haben und nicht noch viel mehr Menschen gesundheitliche Einschränkungen durch Long Covid erleiden.

(Zustimmung bei der SPD, bei der Linken und bei den GRÜNEN - Jan Scharfenort, AfD: Diese Argumentation ist schlicht falsch!)

Wenn wir heute auf die damals getroffenen Entscheidungen blicken, tun wir das mit dem Blick der Wissenden, die in den letzten drei Jahren nahezu täglich an Erkenntnis hinzugewonnen haben.

(Florian Schröder, AfD, lachend: Was?)

Daher erscheint die eine oder andere getroffene Maßnahme in einem anderen Licht. Deshalb ist es gut, dass sich sowohl die Bundesregierung als auch einige Länder auf den Weg machen oder bereits gemacht haben, diese Zeit aufzuarbeiten.

Der unabhängige Sachverständigenausschuss zur Evaluierung der Rechtsgrundlagen und Maßnahmen der Pandemiepolitik der Bundesregierung hat seinen Bericht bereits im Jahr 2022 vorgelegt. Viele weitere Studien und Auswertungen folgten.

Vor wenigen Tagen hat sich die Regierungskommission Pandemievorsorge konstituiert, deren Zusammensetzung und Aufgaben eben schon vorgestellt wurden. Diese Aufarbeitung ist wesentlich, um auf ähnliche Situationen gut vorbereitet zu sein, aber sie wird keine Blaupausen liefern, die uns künftige Abwägungen abnehmen.

Denn im Umgang mit einer neuen Krisensituation gibt es immer beides: Auf der einen Seite den Ruf nach mehr gesicherten Erkenntnissen, auf der anderen Seite die Forderung nach schnellen und klaren Entscheidungen, um Gefahren abzuwenden. Es ist in der Realität nicht immer möglich, nur auf der Grundlage hundertprozentiger Gewissheiten zu handeln.

(Zustimmung bei der SPD und von Olaf Meister, GRÜNE)

Pandemien und andere Notlagen müssen auch nicht immer nach genau dem gleichen Muster verlaufen. Wir brauchen auch Kompetenzen und Strukturen für den Umgang mit Ungewissheiten, für den gemeinsamen Umgang mit Ungewissheiten. Mit „gemeinsam“ meine ich Wissenschaft, Politik, Öffentlichkeit.

Lassen Sie mich auf das Arbeitsfeld Risikokommunikation etwas näher eingehen, das von der Kommission behandelt werden wird. Denn dies ist der Ansatzpunkt, um auch mit Ungewissheit transparent und verantwortungsvoll umzugehen, um zu wissenschaftlich gestützten und gleichzeitig gesellschaftlich gut verankerten Entscheidungen zu gelangen. 

Risikokommunikation soll nach einer Definition der Weltgesundheitsorganisation keineswegs nur in eine Richtung gehen, etwa von den Behörden an die Bevölkerung, sondern auch umgekehrt verlaufen, mit kontinuierlicher Einbeziehung der Wahrnehmungen und Rückmeldungen aus der Bevölkerung.

Den bereits deutlich gestärkten öffentlichen Gesundheitsdienst und die im Bundeskoalitionsvertrag vorgesehene Gründung eines Bundesinstituts für Öffentliche Gesundheit, kurz BIÖG, halte ich für wesentliche Säulen einer wirksamen Risikokommunikation, die für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Krisensituationen so wichtig ist.

(Zustimmung bei der SPD und von Olaf Meister, GRÜNE)

Ich bin gespannt auf die Ergebnisse und Empfehlungen der Kommission.

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ich bitte um Zustimmung zu unserem Alternativantrag.

(Zustimmung bei der SPD und von Olaf Meister, GRÜNE)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Vielen Dank, Frau Dr. Richter-Airijoki. Es gibt eine Nachfrage von Herrn Lizureck, wenn Sie die beantworten oder zulassen wollen.


Dr. Heide Richter-Airijoki (SPD): 

Ja, natürlich.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Herr Lizureck, bitte.


Frank Otto Lizureck (AfD): 

Haben Sie vielen Dank für das Zulassen der Frage. Es gibt einen Ausspruch, der heißt: Statistik ist die Hure der Politik. Das ist jetzt nicht irgendwie despektierlich gemeint.

(Zurufe von der CDU und von der SPD)

In diesem Zusammenhang erklären Sie mir doch bitte einmal, warum während der Plandemie die Zahl der Influenzatoten so drastisch gesunken ist 

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Wegen der Maßnahmen! - Susan Sziborra-Seidlitz, GRÜNE: Weil die Maßnahmen auch gegen Influenza geholfen haben! Das ist doch einfach!)

und auch niemand mehr an Influenza erkrankt ist.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Frau Dr. Richter-Airijoki.


Dr. Heide Richter-Airijoki (SPD): 

Herr Lizureck, zuerst einmal: Die Bezeichnung „Plandemie“ muss ich wirklich zurückweisen.

(Zustimmung bei der SPD, bei der Linken und bei den GRÜNEN)

Ich halte das tatsächlich für eine verschwörungstheoretische Wortkonstruktion.

(Olaf Meister, GRÜNE: Warum auch? Ergibt doch gar keinen Sinn!)

Ich habe auch sehr viel darüber nachgedacht, wie es zu solchen Interpretationen kommt. Ich habe noch einmal nachgelesen. In der Schrift des Instituts für Staatspolitik „Die Stunde des Populismus“ 

(Zuruf von Ulrich Siegmund, AfD, lacht)

steht: 

(Lothar Waehler, AfD: Das war doch gar nicht die Frage! - Jan Scharfenort, AfD: Bleiben Sie doch mal bei der Sache! - Frank Otto Lizureck, AfD: Das ist nicht meine Frage! - Jan Scharfenort, AfD: Das funktioniert nicht mehr!)

Allgemeines Unbehagen soll mobilisiert werden. - Das ist meine Erfahrung in der ganzen Diskussion gewesen. Es werden bestimmte Stücke herausgegriffen, an denen man etwas festzumachen können meint; ein allgemeines Misstrauen.

Natürlich gibt es auch weiterhin Influenza und natürlich gibt es auch weiterhin Influenza-Impfungen. Auch das muss natürlich in die Gesamtbetrachtungen einbezogen werden.

(Lothar Waehler, AfD: Warum ist die Influenza zurückgegangen? Das war doch die Frage!)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Herr Lizureck, kurz.


Frank Otto Lizureck (AfD): 

Ich hatte mich natürlich nur versprochen.

(Lachen bei den GRÜNEN)

Aber gehen Sie doch einmal darauf ein und erklären Sie, warum es in dieser Statistik keine Influenzatoten gab und auch keine  erkrankten. 

(Susan Sziborra-Seidlitz, GRÜNE: Weil die Maßnahmen gewirkt haben, auch gegen Influenza!)

Das muss doch irgendeinen Zusammenhang haben oder einen Zweck.

(Tobias Krull, CDU: Weil die Schutzmaßnahmen auch bei Influenza gewirkt haben! Mann, das ist doch nicht so schwer!)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Frau Dr. Richter-Airijoki.


Dr. Heide Richter-Airijoki (SPD): 

Ja, es gab tatsächlich Schutzmaßnahmen, die wirksam durchgeführt wurden.