Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):

Vielen Dank. - Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sie bewerben sich beim Bundesministerium für Gesundheit, BMG, für das fiktive Innovationsmodellprojekt „TVZ First Contact - therapeutisch-pflegerische Versorgungszentrum als additive Alternative zur ambulanten Versorgung in strukturschwachen Gebieten“. Das Projekt stellt in einem Zeitraum von vier Jahren genügend finanzielle Mittel zur Verfügung, um in einem strukturschwachen Gebiet ein Versorgungszentrum mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Pflege- und Heilmittelberufe zur Entlastung der wenigen ansässigen Praxen aufzubauen. - So beginnt eine Prüfungsaufgabe in einem Modul eines pflege- und therapiewissenschaftlichen Studienganges an einer deutschen Hochschule. Die Aufgabe ist fiktiv, die eingereichten und vorgestellten Lösungen waren es nicht von. 

Von den Ideen, die von den berufserfahrenen Studierenden entwickelt wurden, war jede einzelne es wert, weitergedacht und vor Ort weiterentwickelt zu werden. Das kann ich bezeugen. Ich war bei der Präsentation dabei. Jede einzelne Idee hätte das Potenzial dafür, nicht nur in schwierigen Versorgungssituationen zu entlasten, sondern die Gesundheitsversorgung ganz neu organisieren. Aber diese Ideen wurden nur für Leistungspunkte produziert; denn ein solches Modellprojekt des Bundes gibt es leider nicht.

Fällt in einem Gespräch das Thema auf die Gesundheitsversorgung der Zukunft, verfinstert sich schnell der Blick. Ärztemangel, unterversorgte Regionen, arbeitsunwillige Jungärzte und leerstehende Praxen, wohin man blickt. Und es kann anscheinend nur noch schlimmer werden; denn die hohen Altersabgänge kommen erst noch, die Zahl der Studienplätze reicht nicht und junge Ärztinnen rücken nach, die statt Praxis, Bürokratie und betriebswirtschaftlicher Unternehmensführung lieber regelhafte Arbeitszeiten und Anstellungen wollen. Statt Halbgott in Weiß in eigener Niederlassung lieber Festanstellung - so lautet der eingetrübte Defizitblick. Versorgungsnotstand und Kulturverfall Hand in Hand zulasten der Patientinnen und Patienten. - So könnte man meinen. 

So wurde es erst neulich wieder im Sozialausschuss gezeichnet, das dystopische Bild des Unterganges. Als rettende Lichtgestalt einzig vorstellbar: Mehr Ärztinnen, mehr Studienplätze - dann kann es wieder so werden, wie es vermeintlich einmal war.

(Zuruf von Ulrich Siegmund, AfD)

Aber holen wir lieber einmal tief Luft, schütteln wir die dystopische Schwarzmalerei ab und fangen wir an, in dieser Krise des bestehenden Systems eine Chance zu sehen, nämlich nicht nur die Not, sondern auch die Möglichkeit für Besseres und Neues. Ja, die klassische Einzelarztpraxis in eigener Niederlassung kommt an ihre Grenze. Sie ist vielleicht nicht gleich ein Auslaufmodell. Aber sie büßt deutlich den Nimbus als alternativlose Form der ambulanten Versorgung ein. Das kann man wortreich beklagen, oder man kann die Chance beim Schopfe packen, um die ambulante Versorgung neu zu denken und neu zu gestalten. 

Es geht darum, eine Zukunft zu entwerfen mit mehr ärztlicher Teamarbeit und interprofessioneller Zusammenarbeit, mit mehr Augenhöhe über Professionsgrenzen hinweg, sodass Pflege, Therapie und Gesundheitsberufe als echte verantwortungstragende Professionen agieren können, und zwar mit einem erweiterten Verständnis von Gesundheit über die reine Pathogenese hinaus, indem wir auch die Bedingungen für die Gesundheit stärker berücksichtigen und diese als ein biologisches, psychologisches und auch soziales Phänomen begreifen. Es geht also darum, dass wir Versorgungssettings entwickeln, die auf Salutogenese ausgerichtet sind, auf die Prävention und Sozialraumgestaltung, auf die Förderung der Gesundheit und nicht nur auf die Behandlung von Krankheiten.

Es geht um eine Zukunft, in der Ärztinnen und Ärzte wieder mehr Zeit haben für ihre wirklichen ärztlichen Aufgaben, weil delegierbare und substituierbare Leistungen auf andere Professionen übertragen wurden, weil neue Versorgungsinstitutionen von Bürokratie entlasten. Ja, wir werden morgen anders versorgt werden müssen als heute. Und das ist gut so. Das kann gut werden, wenn wir die Unkenrufe der Verwalter der Gegenwart einmal ausblenden und mit mutigem Gestaltungswillen die aktuellen Herausforderungen anpacken; 

(Zustimmung bei den GRÜNEN) 

denn natürlich gibt es diese Herausforderungen zahlreich. Aber wir müssen mitnichten bei null anfangen. Die Liste der mutmachenden Beispiele für neue Versorgungsmodelle ist lang und sie wird täglich länger - Beispiele dafür, dass man hier und heute schon neue Wege geht. Ich erwähne den Medibus der Kassenärztlichen Vereinigung in Hessen, mit dem in unterversorgten Regionen die ärztliche Versorgung gesichert wird. Es gibt den Gesundheitsbahnhof in Schmölln, bei dem die Kommune einen attraktiven Standort für Praxen errichtet hat und dafür Geld in die Hand nahm. Und siehe da: Es fanden sich Ärzte, die einzogen. 

Dann gibt es noch den Gesundheitskiosk in Blankenburg als ein innovatives Beispiel der Stiftung Landleben, das Netzwerk solidarischer Gesundheitszentren mit aktuellen Vorhaben im ländlichen Raum in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Es gibt auch das Stadtteil-Gesundheitszentrum Neukölln und hierzulande z. B. das Projekt Regent, vorangebracht, man höre und staune, von einem CDU-Landrat.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der CDU)

Auch die CDU kann also Zukunft. Nicht oft, aber Sie wissen ja, 

(Tobias Krull, CDU: Ab in die Zukunft!) 

blinde Hühner und so.

Diese guten Beispiele haben wir aktuell im Sozialausschuss vorgestellt bekommen. Auf unserem grünen Landleben-Kongress Anfang April hatten wir die Gelegenheit, diese noch einmal ausführlicher zu besprechen und dabei auch noch einen Blick auf die tolle Arbeit der Beratungsstelle für Quartiersentwicklung im Land, Beqisa, zu werfen. Die Erweiterung ihres Aufgabenbereiches auf den Bereich Gesundheit, wie von der Koalition beantragt, begrüßen wir an dieser Stelle ausdrücklich. Es ist schön zu sehen, dass die programmatische Saat aus Zeiten der Kenia-Koalition nicht plattgetrampelt wird, sondern weiter aufgeht. 

(Zustimmung bei den GRÜNEN) 

In Mansfeld-Südharz sehen wir mit dem vom Landkreis getragenen MVZ im Rahmen des Regent-Projekts, wie auch hierzulande Neuland betreten wird. Aber nicht jede Kommunen hat wie Mansfeld-Südharz das Glück, Strukturwandel-Millionen in der Hand zu haben, die an dieser Stelle maßgeblich für das Gelingen dieses Projektes sind. 

Wo Neues entstehen soll, gilt es, auch einmal ein Wagnis einzugehen, über den Tellerrand hinaus und um die Ecke zu denken und zu gucken und neue, nicht bereits ausgetretene Pfade einzuschlagen. Dafür bedarf es Startkapital. Genau darauf zielt unser Antrag. 

Für eine neue Versorgungslandschaft sind auch neue Akteure gefragt. Gerade die Kommunen können hier ganz neue Gestaltungsspielräume schaffen. Das können aber auch andere Initiativen vor Ort, nämlich Ärztenetzwerke, kommunale Gesundheitskonferenzen, sowie Vereine und Stiftungen. Wir wollen einen Impuls setzen für das Entwickeln von Ideen. 

Umsetzen mit Landesgeld - damit wollen wir die nötige Anschubfinanzierung für bisher nur auf dem Papier existierende Konzepte geben. Das kann von der Auftaktveranstaltung mit Zukunftswerkstatt bis hin zu Studien und Befragungen vor Ort, um Bedarfe und Lösungsmöglichkeiten zu erfassen, sowie bis hin zu baulichen Investitionen oder Studierendenwettbewerben gehen. Der Fantasie sollen dabei keine Grenzen gesetzt werden. 

Die prämierten Ideen sollen dann nicht nur für sich stehen, sondern sie sollen auch ausstrahlen ins Land, anregen und inspirieren. Dafür braucht es eine groß angelegte Öffentlichkeitsarbeit des Landes. Ein verzagtes Verwalten der krisenhaften Gegenwart oder gar ein resigniertes Hände-in-den-Schoß-Legen darf es nicht geben. Und auch ein „Wir drehen die Zeit zurück und versuchen es einfach mit mehr Studienplätzen 

(Zustimmung bei den GRÜNEN) 

wieder genauso zu machen wie vorher“ wird angesichts des demografischen Wandels nicht funktionieren. Ärmel hochkrempeln und optimistisch nach vorn schauen; denn die Umbrüche im Gesundheitssystem können wir nutzen für eine noch mehr am Patientenwohl ausgerichtete Versorgung, für bessere Arbeitszeitmodelle, für mehr Teamspirit, ja, letztlich für mehr Gesundheit in der Gesellschaft.

Unser geforderter Ideenwettbewerb soll dazu einen kleinen, bescheidenen Beitrag liefern. Die Entwicklung neuer Modelle für die Gesundheitsversorgung ist nicht einfach. Davon kann hierzulande z. B. auch die Salus gGmbH ein Lied singen. Aber was ist schon einfach? Wenn es zu einfach wäre, könnte es ja jeder. Und Spaß machen würde es dann auch nicht. - Vielen Dank.